Islam zum Kuscheln?

Klaus von Stoschs Deutung des Islam im historischen Kontext

Von Günther RütherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Rüther

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Islam hat gegenwärtig keine gute Presse“, so leitet Klaus von Stosch sein Buch Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen ein. Er zieht einen Bogen von seiner Entstehung bis in die Aktualität unserer Tage. Sein Ziel ist es, dem Islam mehr Wertschätzung entgegenzubringen.

Der Augenblick bestimmt das Bewusstsein. Dieses Wort beschreibt in Anlehnung an Karl Marx das Verhältnis vieler Menschen in Europa zum Islam. Aber was ist der Augenblick im Angesicht einer rund 1400-jährigen gemeinsamen Geschichte? Stellt er mehr als eine Momentaufnahme dar? Der Islam wurde im frühen siebten Jahrhundert nach Christi Geburt von dem Propheten Muhammed verbreitet. Damals beherrschten das christliche Byzanz und das Sassaniden-Reich der Perser den Orient. Dabei handelte es sich um Kulturen mit einer bedeutenden Schriften-Tradition, während in dem Herkunftsland Muhammeds ein schriftloser Kult vorherrschte, zu dem die religiöse Verehrung einer Vielzahl von Göttern zählte. Seine Bestimmung erkannte er darin, seinen Zeitgenossen einen monotheistischen Glauben zur religiösen und spirituellen Grundlage ihres Lebens zu eröffnen. Von diesem Zeitpunkt an begann der gemeinsame Weg der drei monotheistischen Religionen: des Judentums, des Christentums und des Islams.

Der Orient und der Okzident, der Islam und das Christentum blicken auf eine wechselvolle gemeinsame Geschichte zurück. Es ist eine Geschichte der Kriege, aber auch eine Geschichte des Handels und eine Geschichte der wechselseitigen Bereicherung in Wissenschaft und Kultur. Geschichte kristallisiert sich allzu häufig in Augenblicken, die zum repräsentativen Teil des Ganzen werden. Solche Kristallisationspunkte sind die religiösen Kreuzzüge im elften und dreizehnten Jahrhundert, die sich nicht zuletzt aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten. Umgekehrt versuchte das im vierzehnten Jahrhundert entstandene Osmanische Reich mit seinem Streben nach Westen und in den Süden Europas bis vor die Tore Wiens und an die Küsten Italiens, Spaniens und Portugals Einfluss auf das „christliche Abendland“ zu nehmen und seine Vormachtstellung zu brechen. Zu einem Symbol für diesen Dominanz-Anspruch wurde aus westlicher Perspektive die Hagia Sophia, die ehemalige byzantinische Sophienkirche und spätere Moschee, die nach der Eroberung Konstantinopels zu einem repräsentativen Gotteshaus wurde, ausgestattet mit vier eindrucksvollen Minaretten. Aber auch die christlichen Herrscher zögerten nicht, den Einfluss des Islam in Europa zurückzudrängen und Moscheen in Kirchen umzuwandeln. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Hallenmoschee in Cordoba, die man zu einem gotischen Kirchenbau umgestaltete. Diese in unser kollektives Bewusstsein eingebrannten Augenblicke prägen unser Bild vom Islam heute wieder stärker. Doch wäre es fahrlässig angesichts von Krieg, Gewalt und Terrorismus, die in seinem Namen verübt werden, ihn aus seiner historischen Dimension herauszureißen, auch wenn von den radikalen Strömungen heute eine Bedrohung ausgeht, die bis in unseren Alltag hineinragt. Dabei geht die gemeinsame vielschichtige kulturelle, wissenschaftliche, ja auch religiöse Verbundenheit verloren, obwohl sie auf eine lange fruchtbare Geschichte des Austauschs und der Verständigung verweist.

Klaus von Stosch versucht in Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen, die bestehenden kulturellen und religiösen Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum wieder stärker hervorzuheben. Er möchte angesichts der aufgeladenen Diskussion in Deutschland durch eine christliche Würdigung des Islam „Differenzierungsarbeit leisten“. Der Autor, Professor für katholische Theologie und ihre Didaktik sowie Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität in Paderborn, geht darüber hinaus der Frage nach, was Christen von Muslimen lernen können. Das ist, und die Lektüre bestätigt dies, zweifellos ebenso gewagt wie interessant. Aber gilt nicht auch angesichts der bestehenden Verwerfungen umgekehrt: Was können Muslime von Christen lernen? Diese Fragestellung spielt in der Studie von Stoschs jedoch nur eine beiläufige Rolle. Gewagt ist der von ihm gewählte Untersuchungsansatz deshalb, weil er seiner Analyse ein Islamverständnis zugrunde legt, das sowohl unter Muslimen als auch Christen umstritten ist. Sein Vorgehen rechtfertigt er folgendermaßen: „So wie ich als katholischer Theologe immer diejenige christliche Theologie stark mache, die mich am meisten überzeugt, versuche ich auch die islamische Theologie von ihrer stärksten Seite zu zeigen.“ Diese liebevolle Zuwendung zu seinem Untersuchungsgegenstand befördert viele bisher weitgehend verborgene Aspekte zutage, aber sie blendet auch tiefgreifende Differenzen aus und biegt kaum überbrückbare Gegensätze zurecht. Dem Autor ist zugute zu halten, dass er das an keiner Stelle verschweigt, sondern stets auf seine besondere Sicht verweist, die von vielen nicht nur infrage gestellt wird, sondern zum Teil auf massive Ablehnung stößt.

Seine Studie stützt sich auf grundlegende Arbeiten der deutschen Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth, die an der Freien Universität in Berlin Arabistik lehrt. Ihrer wohlwollenden Rezension in der Wochenzeitung „Die Zeit“  haben wir es vor allem zu verdanken, dass von Stoschs Buch über Fachkreise hinaus einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass dessen Studie sich „als ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Integration des Islams und des Korans in unseren theologischen Wissenskanon erweisen“ könnte. Dies ist nun allerdings ein großer Schuh, in den sie die von Stoschs Buch stellt, denn sie blendet aus, dass es den Islam nicht gibt. Dies zeigen nicht nur die großen kulturellen und politischen Auseinandersetzungen zwischen den Schiiten und Sunniten, die den Nahen Osten erschüttern und mittlerweile die Form eines Religionskrieges angenommen haben. Unberücksichtigt bleibt dabei auch der von Stosch gewählte selektive methodische Ansatz, der die vielen profunden Studien und Übersetzungsleistungen der deutschen und internationalen Fachwelt zwar nicht übergeht, aber einseitig als Stütze seiner These nutzt.

Bemerkenswert bleibt dennoch das Bemühen des Autors, den Islam und seinen Propheten in den Kontext der Zeit des siebten Jahrhunderts zu stellen und auf die zunächst mündliche Überlieferungsform zu verweisen: „Wir dürfen deshalb mit der klassischen Tradition sagen, dass die mündliche Tradierung des Koran immer im Vordergrund stand und auch nach dem Tod Muhammeds die eigentliche autoritative Quelle blieb.“ Dem steht aus seiner Sicht auch nicht entgegen, dass bereits in den 30er-Jahren des siebten Jahrhunderts eine schriftliche Fassung des Koran entstanden ist. Für das Verständnis des Islam bleibt für ihn von grundlegender Bedeutung, dass jede Koranstelle einen zeitgeschichtlichen Hintergrund hat und sich ihr richtiges Verständnis nur aus diesem Kontext erschließen lässt. Deshalb gelte es jeweils herauszuarbeiten, was der Kern der Texte und was den geschichtlichen Umständen geschuldet und deshalb zu vernachlässigen sei. Von Stosch stellt nicht infrage, dass der Koran das Wort Gottes ist, aber er deutet es als ein dialogisches kommunikatives Gesprächsangebot, als Zeugnisse der Gespräche Muhammeds und seiner Gemeinde mit Gott. Der Koran ließe sich so als Einladung zu einem Lebensentwurf deuten und gewönne damit ethische Substanz. Wer hingegen die Konvergenz der ethischen Prinzipien des Korans mit den ethischen Prinzipien der praktischen Vernunft bestreite und betone, „dass der Koran ein höheres Ethos als die Vernunft fordert, das aus ihr nicht ableitbar ist, gerät in gefährliche Nähe zu fundamentalistischen Deutungen, die selbst Verbrechen als Willen Gottes ansehen.“

Von Stoschs nachvollziehbares Anliegen ist es, einen klaren Trennungsstrich zwischen einer fundamentalistischen Interpretation des Islam zu ziehen und stattdessen auf seine ethische, normative und ästhetische Dimension zu verweisen. Sie ist heute nicht weniger bedeutsam als in den Gründungsjahren. Die ästhetische Dimension leitet er daraus ab, dass die Offenbarung im Islam nicht nur traditionell, sondern bis heute in erster Linie im Hören zugänglich wird. Mit dem Hören und Rezitieren der göttlichen Rede rücken ästhetische Elemente in den Vordergrund. Wie einst Annemarie Schimmel, neuerdings Navid Kermani, Zafer Senofac oder Angelika Neuwirth sieht er vor allem darin eine Hoffnung, den Islam aus seiner ästhetischen Dimension heraus zu deuten und auf diese Weise vor einseitiger fundamentalistischer Inanspruchnahme zu schützen. So verständlich das ist, stellt sich jedoch die Frage, wie belastbar die damit verbundene Betonung der Vermittlungsform gegenüber dem niedergeschriebenen Inhalt ist. Stosch ist sich bewusst, dass der hier vorgestellte Weg einer zeitgemäßen dialogischen Deutung nicht repräsentativ und selbst unter liberalen Muslimen umstritten ist.

Diese „Selbstzurechtweisungen“ hindern ihn jedoch an der einen oder anderen Stelle nicht, über das Ziel hinauszuschießen und dem Islam eine dem Christentum freundliche oder gar verwandte Deutung zu geben. Für viele beginnt dies schon bei der grundsätzlichen Frage, ob sich der muslimische und christliche Glaube auf denselben Gott beziehen, der sich von Stosch mit großer Behutsamkeit zuwendet. Im Großen und Ganzen ist aber wohl kaum zu leugnen, obwohl einige Muslime gegenwärtig bestehende Vorurteile eher verstärken als zu überwinden helfen, dass es unübersehbare Gemeinsamkeiten in beiden Religionen gibt. Die Gegensätze treffen in der öffentlichen Wahrnehmung wohl am deutlichsten im Frauenbild des Islam aufeinander. Wenn es in einer Sure heißt, dass Männer Frauen, deren Widerspenstigkeit sie fürchten, von ihrem Lager fernhalten und schlagen sollen, so tut sich damit nicht nur die feministische Theologie im Islam schwer und lehnt den Text ab. Statt ein klares Nein zu formulieren, wie es andere tun, schreibt von Stosch auf der Suche nach Konvergenz: „Muhammeds friedlicher Umgang mit seinen Frauen spricht also tatsächlich dafür“, dass diese Sure „allenfalls als ultima ratio zu verstehen ist.“ Wie bitte? Er fügt anschließend an, dass natürlich „die symbolische Erniedrigung einer Frau auch als ultima ratio keine Option“ sei, „über die man sich in einem heiligen Text freuen kann.“ Aber ein solches Geschlechterverhältnis sei den Christen auch aus biblischen Texten bekannt. Richtig, nur wurden daraus gesellschaftliche und religiöse Konsequenzen gezogen, die es in dieser Form in der islamischen Welt allenfalls in Ansätzen gibt.

Von Stoschs Sieben-Punkte-Katalog, was Christen von Muslimen lernen können, beruht zum großen Teil auf Gesprächen, die er mit Muslimen geführt hat. Wer wollte diese infrage stellen. Nur, wie repräsentativ sind sie? Ist es nicht vielleicht doch so, dass er sich den Islam in seiner Deutung so zurechtbiegt, wie es seiner These bestehender Konvergenzen zum Christentum entgegenkommt? Diesen Vorwurf greift von Stosch auch selbst auf, doch gewinnt man immer wieder den Eindruck, dass dieser begründet ist. Sein Sieben-Punkte-Katalog wirkt vor diesem Hintergrund konstruiert. Vier Beispiele: Braucht der Christ den Islam zur Neuentdeckung der Schönheit Gottes? Braucht er die Vermittlung der ästhetischen Erfahrung des Islam, um sie auch als Erfahrungen Gottes zu qualifizieren? Bedarf er des Insistierens auf die Einheit Gottes durch den Islam? Und hilft ihm der Islam, um „die Politik und das Recht wieder als Thema der Religion zu entdecken?“ Oder bedarf es vor allem der Rückbesinnung auf die Fundamente des christlichen Glaubens?

Klaus von Stoschs Studie „Herausforderung Islam“ macht es dem Leser nicht leicht. Sie wirft Fragen auf und trägt zur verbalen Abrüstung gegen den Islam bei. Sie betont Gemeinsamkeiten, aber strapaziert sie auch zum Teil erheblich. Wäre nicht schon viel gewonnen, wenn sich das Christentum und der Islam gemeinsam mit dem Judentum als monotheistische Religionen mit einer prägenden gemeinsamen Vergangenheit auf Augenhöhe und in Respekt begegnen? Bedarf es dieses hier ausgebreiteten Kuschelkurses?

Titelbild

Klaus von Stosch: Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016.
208 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783506784940

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