Ein aktuelles „Herz der Finsternis“

Denis Johnsons Roman „Die lachenden Ungeheuer“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer heute, zumal noch aus der westlichen Hemisphäre kommend, einen Roman schreibt, der in Afrika spielt, überwiegend im Zentrum dieses Kontinents, konkret im Kongo, der wird immer auch Joseph Conrads Herz der Finsternis (und/oder dessen Kinoadaption Apocalypse now von Francis Ford Coppola) mitdenken. Denis Johnson, vielgelobter und hoch ausgezeichneter US-Schriftsteller (2007 erschien Ein gerader Rauch, wofür der Autor den National Book Award erhielt) hat das natürlich auch getan. Seinen Roman Die lachenden Ungeheuer hat er selbst einen Spionage- und Abenteuerroman genannt, was ihn sicher noch einmal näher an die literarische Vorlage heranrückt.

Es geht in diesem komplexen, sprachlich anspruchsvollen und nicht immer leicht nachvollziehbaren Roman in erster Linie um zwei Freunde – Roland Nair und Michael Adriko –, die sich während des Bürgerkriegs im westafrikanischen Sierra Leone kennengelernt, dort viel Geld gemacht haben (womit auch immer) und auch gemeinsam in Afghanistan waren. Im weiteren Sinn aber scheint es Denis Johnson, der vielleicht auch wegen der Militärlaufbahn seines Vaters mit Themen wie Militär und Geheimoperationen relativ vertraut ist, um den afrikanischen Kontinent zu gehen, um dessen Geheimnisse, dessen Andersartigkeit, die mit nichts anderem vergleichbar zu sein scheint. Das ‚Phänomen Afrika‘ beschäftigt den ehemaligen Junkie Johnson schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Mit etwas über 40 Jahren ging er Anfang der 1990er-Jahre im Auftrag namhafter amerikanischer Magazine mehrmals nach Afrika, schrieb Texte, die zwischen journalistischer und literarischer Form changieren und drang tief ein in die von Gewalt, Terror, Willkürherrschaft und Diktatorenwahnsinn geprägten Staaten Liberia und Somalia. Nachzulesen ist all das in dem erschütternden, sprachlich brillanten Buch In der Hölle – Blicke in den Abgrund der Welt“ (2006).

Möglicherweise hat sich Johnson an seinen ersten Aufenthalt in Liberia erinnert, das an Sierra Leone grenzt, als er Die lachenden Ungeheuer schrieb, denn einer seiner Protagonisten, Roland Nair – ein angeblicher Däne, vermeintlicher Angehöriger des königlich dänischen Heers, der jedoch mit amerikanischem Pass reist –, trifft zu Beginn des Romans auf dem Flughafen von Freetown ein. Was er dort will, welche Pläne oder Befehle er hat, all das bleibt von Beginn an unklar; der Leser muss sich entweder treiben lassen und der Obhut des (verlässlichen?) Erzählers überlassen oder aber krampfhaft versuchen, Sinn und Logik zu suchen. Nair sucht einen Laden auf, in dessen verstecktem Keller es modernste Kommunikationsmittel gibt, die er benutzt, um mit unterschiedlichen Verschlüsselungstechniken kurze Nachrichten abzusetzen. An wen? Zu welchem Zweck? Außerdem ist er mit einem gewissen Hamid in Kontakt, der bereit ist, ihm zu einem späteren Zeitpunkt etwas offenbar sehr Wertvolles gegen eine Menge US-Dollar abzukaufen. Dieses Geld möchte er verwenden, um eine Weile frei und ohne Sorgen zu sein, denn Nair ist mit Tina verlobt, einer Anwältin in Amsterdam, der er mailt, sofern es für kurze Momente eine Internetverbindung in seinem Hotel oder einer der vielen Bars gibt.

Und dann ist er auf einmal da, Michael Adriko, der Mann, der Nair schon das Leben gerettet hat, der angeblich Angehöriger einer US-amerikanischen Spezialeinheit ist, sich aber unerlaubt von der Truppe entfernt hat und nun von den Amerikanern gesucht und gejagt wird. Warum treffen sich die alten Weggefährten nach so langer Zeit wieder? Ist der Grund lediglich die Auffrischung der Freundschaft? Geht es wieder um Geschäfte? Schließlich hat Nair 2001, als sie sich kennenlernten, bei der NATO beziehungsweise deren Geheimdienst, der NIIA gearbeitet, seine Kontakte sind also vielfältig. Michael Adriko hat andere Pläne. Er hat seine Verlobte Davidia mitgebracht, die Tochter des Kommandanten, dessen Stützpunkt er den Rücken gekehrt hat. Die Beiden wollen heiraten, Michael möchte seine zukünftige Frau zu seinen Wurzeln, zu seiner Sippe bringen, also reist das Trio von Sierra Leone 5.000 Kilometer ins Grenzgebiet von Uganda und Kongo. Und spätestens an diesem Punkt ist Denis Johnson auf den Spuren Joseph Conrads – auch er zeigt uns ein ‚Herz der Finsternis‘, beschreibt todbringende Landschaft, von Wahn und Suff entmenschlichte Kreaturen. Es ist ein Kaleidoskop des Schreckens, ein irrwitziger Trip, auf dem sich die Drei befinden. Michael wird immer sonderbarer, seine Verlobte erkennt ihn nicht wieder.

Am vorläufigen Ende ihrer Reise fallen sie der kongolesischen Armee in die Hände. Nair wird mit einem windigen Auftrag in die Wildnis geschickt, was eigentlich seinen sicheren Tod bedeutet. Dass dann alles doch anders kommt, als erwartet, sich Nair und Michael in Sicherheit wiedersehen, macht Die lachenden Ungeheuer nicht versöhnlich, sondern zeigt vielmehr Denis Johnsons Lust am Genre Abenteuerroman, seine literarische Kraft, dem Buch noch einmal eine bemerkenswerte Wendung zu geben. Eine Wende in Johnsons Blick auf Afrika ist ganz sicher auch 9/11. War zur Zeit seiner ersten Aufenthalte dort das nordatlantische Bündnis noch eher wenig präsent, „hatte die NATO binnen zwei Wochen Leute hier unten“, heißt es im Roman; der Autor ist also bis heute aufmerksamer Chronist und literarischer Kommentator. Das Ergebnis ist ein starker Roman, ein Buch, das wie das Wesen der Spionage keine verlässlichen Informationen anbietet, sondern seinen Reiz aus den Andeutungen zieht, das Absichten und Beziehungen hinterfragt und unsicher erscheinen lässt, das rätselhaft und geheimnisvoll ist und das über alle Ingredienzien des klassischen Agentenromans verfügt. Wie viele vorherige Johnson-Bücher hat Bettina Abarbanell auch Die lachenden Ungeheuer übersetzt. Es gelingt ihr, die nie wirklich greifbaren Situationen auch in der deutschen Sprache einerseits fragmentarisch zu belassen, sie andererseits aber soweit zu beschreiben, dass der Lesefluss und der Reiz an diesem außergewöhnlichen Text immer gewahrt bleiben. Johnsons Dialoge, oft ebenso kryptisch und knapp, gibt seine Übersetzerin perfekt wieder. Besser kann ein Buch dieses Genres derzeit nicht sein.

Titelbild

Denis Johnson: Die lachenden Ungeheuer.
Übersetzt aus dem Englischen von Bettina Abarbanell.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
272 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783498033422

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