Kapitalismustribunale

Bifo Berardi über den Zusammenhang zwischen Poesie und Finanzwesen

Von Markus SteinmayrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Steinmayr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit geraumer Zeit finden im Haus Bartleby zu Berlin regelmäßig Kapitalismustribunale statt. Dem Kapitalismus wird der Prozess gemacht. Wessen wird der Kapitalismus angeklagt? Wer verteidigt den Kapitalismus, wer klagt ihn an, wer fungiert als Zeuge der Anklage oder der Verteidigung? Die Anklage wirft dem Kapitalismus vor, soziale Ungerechtigkeit und Unterwerfung der Freiheit unter das Diktat des Ökonomischen zu befördern. Die Verteidigung antwortet rhetorisch geschickt mit der Gegenfrage: Ist der Kapitalismus nur eine bestimmte, historisch entstandene Form des Wirtschaftens? Wäre dem so, so könnte die Kapitalismuskritik eine rein ökonomische bleiben. Der Kapitalismus ist aber darüber hinaus eine Traummaschine: Er produziert das Menschenbild des stets seinen eigenen Vorteil suchenden Individuums. Er suggeriert den permanenten Wettbewerb, er arbeitet an Träumen des sozialen Aufstiegs durch Leistung. Wie vielleicht sonst nur die literarische Anthropologie des 18. Jahrhunderts sucht und findet der Kapitalismus den ‚ganzen Menschen‘. Möglicherweise ist es genau dies, was den Kapitalismus so erfolgreich macht. Er ist menschengemacht. Und genau dies ist möglicherweise das Problem: Der Kapitalismus schafft keinen neuen Menschen, er rechnet mit ihm. Und deswegen hat es die Anklage schwer, die Verteidigung im Tribunal möglicherweise leicht.

In die Reihe der Anklageschriften lässt sich Bifo Berardis Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwirtschaft gut einordnen. Für ihn besteht der Hauptanklagepunkt darin, dass der Kapitalismus die Kultur und damit die Art und Weise, über den Kapitalismus zu sprechen, infiziert hat. Der Kapitalismus habe es geschafft, so Berardi, die Kultur und die Imagination zu usurpieren. Sprache und Imagination haben die Aufgabe, eine andere Welt zu entwerfen, die herrschenden Verhältnisse gleichsam kontingent zu setzen. Dies versuche der Kapitalismus zu verhindern, indem er sich selbst als ‚alternativlos‘ setzt. Diese führe auch dazu, Alternativentwürfe bzw. Regulierungen des Marktgeschehens durch sozialstaatliche Interventionen vorzunehmen. Ohne es genau zu sagen, attackiert Berardi den Kapitalismus anglo-amerikanischer Observanz, also jene Spielart, die freie Märkte und Wettbewerb nicht nur als Organisationsformen feiert, sondern als anthropologische Grundkonstante. Das europäische Sozialstaatsmodell ist hierzu sicherlich ein Gegenentwurf (gewesen). Das europäische Vermächtnis bestehe darin, eine einzigartige Verbindung „zwischen Humanismus, der Demokratie und der sozialen Solidarität“ zu etablieren. Genau diese Einhegung des Marktgeschehens sei nun durch die globalisierte Spielart des anglo-amerikanischen Kapitalismus als Alternative verschwunden. In Auseinandersetzung mit den Thesen von David Graeber entwickelt Berardi den Gedanken des Aufstands als Aufstand der Langsamkeit und des Verweigerns der Zirkulation der Waren und des Kapitals: Wir zahlen erst einmal unsere Schulden nicht zurück. Wenn wir sie zurückzahlen sollten, dann nur bar.

Aber was ist mit der Sprache, ihrer Fähigkeit, Gegenwirklichkeiten zu entwickeln, ihrem Potential, über das rein Faktische hinauszugehen? Das Symbolische der Sprache ist, folgt man Berardi, durch die kapitalistische Semantik usurpiert worden. In dieser Lage hilft es, sich an das Reale der Sprache zu halten. Geschult an den klassischen Avantgarden, erinnert Berardi an die Körperlichkeit der Sprache, ihre reine Form jenseits des Inhalts. Hier genau kommt die Poesie ins Spiel. Berardis Belege reichen von Flauberts Studien zum Schriftstellerberuf, die ja genau das reflektieren, was Berardi das Ware-Werden der Sprache nennt, über Yeats Mediationen der Revolution, Arthur Schnitzlers Traumnovelle bis hin zu Jonathan Franzens Korrekturen. All diese Autoren vereint der Entwurf von Gegenwelten, die zu entwerfen immer schwieriger und komplizierter wird, da uns die Sprache nicht mehr zur Verfügung steht.

Das mag stimmen, jedoch ist die Funktionalisierung der Literatur hier problematisch. Josephs Vogls Das Gespenst des Kapitals schlägt hingegen vor, die Fiktionen, die der reale Kapitalismus als real setzt (Markt, unsichtbare Hand und anderes mehr), als solche zu analysieren. Wenn sich die Mechanismen des Kapitalismus letztlich als Fiktionen herausstellen, dann kann die Aufgabe der Kritik darin bestehen, darauf hinzuweisen, dass die Rede von der Naturgesetzlichkeit des Marktgeschehens reine Ideologie ist.

Und doch bleibt am Ende der Lektüre von Berardis Buch ein Unbehagen, ein intellektuelles Unwohlsein. Die Lektüre hinterlässt den Eindruck, dass Berardi an einigen Stellen nicht radikal genug gefragt hat. Denn ein radikales Fragen hätte sich die Frage stellen können, wie und warum der Kapitalismus als Traummaschine funktioniert, als Verfahren, global Menschen an sich zu binden und ihnen zu suggerieren, nur so sei Erfolg, Reichtum und Ansehen möglich. Die Literaturgeschichte der kapitalistischen Bindungskräfte bleibt noch zu schreiben.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Franco Berardi: Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwirtschaft.
Aus dem Englischen von Kevin Vennemann.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015.
192 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783957570925

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