Jacques Callots Lebensroman

Bernd Schuchter erzählt die Geschichte hinter seinen Kupferstichen

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bernd Schuchter leitet als Verleger den österreichischen Limbus Verlag, in dem er letztes Jahr eine liebevoll und sachkundig kommentierte Ausgabe von Jacques Callots berühmten Kupferstichen Die Großen Schrecken des Krieges veröffentlichte.

Das vorliegende Buch, ebenso einladend mit einer Commedia dell’arte-Figur von Callot auf dem Cover und einer Florentiner Szene auf den Einbandseiten versehen, lädt zu einer Reise durch Jacques Callots Leben ein, wobei Fragen zum Zeitgeschehen den roten Faden bilden: Auseinandersetzungen um politischen Einfluss, Geld und die wahre Religion, die nach wie vor zu Verelendung, Mord, Flucht und Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen rund um den Erdball führen.

Die fortwirkende Aktualität von Callots Stichen der Gräuel des Dreißigjährigen Krieges wird auch aus ihrer Wirkung auf nachfolgende Künstler deutlich; insbesondere Francesco Goyas gleichnamige grafische Serie und E.T.A. Hoffmanns Fantasiestücke seien hier erwähnt. Auch technisch war Callot durch seinen meisterlichen Umgang mit der Échoppe genannten Radiernadel und den differenzierenden Hell-Dunkel-Abstufungen seiner Grafiken von großem Einfluss auf nachfolgende Künstlerkollegen. Seine Blätter wurden beispielsweise von Rembrandt gesammelt.

Der Erzähler nimmt Callot wie auch sein zeitgenössisches Umfeld einfühlsam in den Blick, wobei Schuchter sich im Wesentlichen auf die Biografien von André Félibien und Filippo Baldinucci aus dem 17. Jahrhundert als Quellen stützt und auch in Callots Heimatstadt Nancy nach Spuren des 1562 als Sohn eines Wappenherolds geborenen Künstlers suchte.

Als bestimmend für den künstlerischen Werdegang Callots erwies sich vor allem seine Florentiner Zeit, in der er bei Antonio Tempesta die Radierkunst erlernte und im Auftrag von Cosimo II. Medici das höfische Leben auf seinen Grafiken festhielt. Hierbei legte er größte Präzision und Akkuratesse in der Wiedergabe der dargestellten Personen und sozialen Milieus an den Tag, wie an seiner Serie der „Capricci“ abzulesen ist.

Nach dem Tod Cosimos kehrte er 1621 nach Nancy zurück, wo er ungefähr zwei Jahre brauchte, um sich als Hofkünstler erneut zu etablieren. Er hielt wiederum das höfische Leben wie auch das der unteren sozialen Schichten auf seinen Blättern fest. Gegen Ende des Jahrzehnts besuchte Callot Paris sowie die Niederlande und erhielt Aufträge von verschiedenen europäischen Höfen. Breiten Raum in Schuchters Darstellung nimmt Callots großformatige Grafik der Schlacht bei Breda – eines Welttheaters aus der Vogelperspektive – ein. Diese setzt Schuchter in künstlerischen Bezug zu Diego Velasquezʼ berühmtem Gemälde der Übergabe bei Breda.

Der Einfall der Truppen Richelieus in das heimatliche Lothringen gab Callot 1633 gegen Ende seines Lebens – er starb 1635 – den Impuls zu seiner Arbeit an den 18 Radierungen der Großen Schrecken des Krieges, unter denen der „Galgenbaum“ das bekannteste Blatt ist. Herauszuheben ist hierbei mit Schuchter, dass Callot nicht nur die Leiden der Zivilbevölkerung durch die Plünderungen und Brandschatzungen der Soldateska schilderte, sondern ebenso, wie deren soziales Elend zu den hier geschilderten Taten und der Verurteilung und Hinrichtung der Delinquenten am Galgen führten: ein ununterbrochener Kreislauf aus Verbrechen und Strafe. Das letzte Blatt von Callots Zyklus führt uns schließlich jene vor Augen, in deren Interesse das alles geschieht: die Großen der Welt, deren persönliche Sphäre jedoch gänzlich unberührt von den Auswirkungen ihres Handelns bleibt.

Sehr richtig bemerkt Schuchter, dass Callots Blätter nicht als soziale Anklage, sondern als Zeitdokument zu verstehen sind, denn der tiefreligiöse Künstler glaubte wie seine Zeitgenossen, dass seine Lebensrealität dem unabänderlichen göttlichen Walten unterläge. Bernd Schuchter führt uns mit Jacques Callot und die Erfindung des Individuums in eine scheinbar ferne Zeit, deren gesellschaftlich-politische Grundkonflikte uns heute nach wie vor beschäftigen.

Titelbild

Bernd Schuchter: Jacques Callot und die Erfindung des Individuums.
Braumüller Verlag, Wien 2016.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783992001682

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