Farbig, frisch und anschaulich

Lafcadio Hearn erzählt in großen Reportagen von Amerika und schwärmt von Japan

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine unbeschreibliche Verlockung liegt in der Morgenluft, etwas Kühles, die Kühle des japanischen Frühlings und der Windwellen vom schneebedeckten Kegel des Fuji. Eine Verlockung, womöglich eher sanftester Luzidität als irgendwelchen tatsächlichen Farben geschuldet – einer außerordentlichen atmosphärischen Transparenz mit nur einem Hauch Blau darin, durch die die Vielzahl der in der Ferne liegenden Objekte erstaunlich scharf umrissen erscheinen.

Mit diesen schwärmerischen Worten beginnt die erste Japanreportage von Lafcadio Hearn, des wohl einflussreichsten Japanreisenden. „Versäumen Sie nicht, Ihre ersten Eindrücke so bald als möglich zu Papier zu bringen“, hatte ihm ein Freund geraten, „denn sie sind vergänglich, und haben sie sich erst einmal verflüchtigt, werden sie sich nie wieder einstellen.“ Und so schreibt Hearn an seinem ersten Tag von einer „Elfenwelt“, wo alles klein ist, „die kleinen Häuser unter ihren blauen Dächer, die kleinen, blau verhangenen Ladenfronten und die kleinen lächelnden Menschen in ihren blauen Trachten.“ Er schreibt von seiner Verwirrung über die unbekannte Schrift, über die Freundlichkeit und das Lächeln der Japaner. Er schwärmt von ihrem Handwerk und ihrer Kunst, noch aus dem Geringsten etwas Schönes zu zaubern, ja grade die Leere, der Mangel an Dingen erzeuge den Raum für diese Schönheit.

Seine Reportagen und Bücher aus Japan zeugen von einer romantischen Sicht auf ein Land, das sich erst 1868 dem Westen geöffnet hatte und in beängstigender Geschwindigkeit modern wurde, westliche Ideen und Ideale begierig aufsog. Hearn suchte „das alte Japan“, das traditionelle: Während die jungen Japaner westliche Anzüge trugen, feierte Hearn Kimono, Haori und Hakama, in denen er sich auch fotografieren ließ. Seine über 30 Romane, Essays, Reportagen und Reiseberichte erzählen von den traditionellen Werten, von einem eher ländlichen, beschaulichen Leben. Sie haben den Blick auf dieses Land bis heute geprägt. Vor allem auch, weil er lebendig und bildhaft schreibt und so atmosphärisch, dass man die Kirschblüten fast riechen kann – diesen „einzigen, großen, duftigen Nebel aus Blüten“ –, die Glocken der Tempel dröhnen hört, die Verwirrung im eigenen Kopf spürt und die Grazie und Anmut der japanischen Frauen vor sich sieht.

In einem neuen Buch Vom Lasterleben am Kai sind jetzt zwei Reportagen aus Japan und neun aus Amerika versammelt. Auch in ihnen zeigt sich Hearn als Meister der Atmosphäre. Sei es, dass er die Erzählungen einer schwarzen „Geisterseherin“ in wörtlicher Rede wiedergibt oder von den Liedern und Tänzen der Schauermännern in Cincinatti erzählt, von den philippinischen Fischern, die in einem Dorf in der Nähe von New Orleans leben, oder von den Wäscherinnen in der Karibik – immer kann Hearn die besonderen Stimmungen wiedergeben, die Menschen lebendig schildern.

Bei Japan gelingt ihm das in besonderem Maß, hier fühlt sich der lebenslange Außenseiter wohl. Sohn einer griechischen Mutter, die die Familie früh verließ, und eines irischen Vaters, der früh starb, wurde er in Internate
gesteckt, durch einen Unfall auf einem Auge blind. 1869, mit 19 Jahren, wurde er von einer Tante nach Amerika geschickt, wo er als Journalist arbeitete. Aber erst in Japan, wo er 1890 ankam, fühlte er sich heimisch, heiratete 1891 die Japanerin Koizumi Setsu, nahm den Namen Koizumi Yakumo an und wurde japanischer Staatsbürger, Englischlehrer und sogar Universitätsprofessor in Tokyo, wo er 1904 starb. Seine Romane sowie die Sammlungen von Volkserzählungen, Märchen und Gespenstergeschichten zeigen eine impressionistische Intensität. Seine farbigen, frischen und anschaulichen Beschreibungen lassen den Leser schnell der Hearn’schen Faszination erlegen, der vom Fuji schrieb, er sei „ein einzelner, schneebedeckter Bergkegel, so duftig verschleiert, so spirituell weiß, dass man ihn, wäre einem seine Kontur nicht so unauslöschlich vertraut, ganz sicher für eine Wolke halten würde.“

Titelbild

Lafcadio Hearn: Vom Lasterleben am Kai. Große Reportagen.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Monique Truong.
Übersetzt aus dem Englischen von Johann Christoph Maass.
Verlag C.H.Beck, München 2017.
236 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406705281

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