Johannes Bobrowskis Zimmer
Zum 100. Geburtstag
Von Jenny Schon
Ich trete ein
Fußmatte im Windfang
Der Dichter
hat Staubspuren
hinterlassen
riecht aus der
alten Sofadecke
noch 40 Jahre
danachIn den Folianten
fliegen Gedanken auf
die Landkarten
zeichnen einen Lebensweg
die Ostsee liegt vor
der HaustürEr hat seinem Schattenland
nachgespürt an den
Strömen klappern
die Mühlen raschelt
das Schilf auch am
Müggelsee lockt
ein Klavier
das er erst stimmen mussWeggefährten erinnern
damals war’s
In Friedrichshagen floss
mehr Wodka als Spreewasser
erzählten wir in Westberlin
Wer einen Westpass hatte
konnte rüber nach dem
Mauerbau – in Friedrichshagen
war die Luft duftig
von Linden und Maulmeerbäumen
in der BölschestraßeDer Putz der Gründerzeit
bröckelt
und der Rost
hinterlässt
Filigranspuren im Regen
In der Ahornallee 26
hatte die Zeit innegehaltenZu seinem Hundertsten allerdings
sind seine Bücher aushäusig
liegen die Manuskripte
geordnet im Archiv
die Folianten verschwenden
sich nicht mehr im Hochformat
und die vergilbten Landkarten
haben das Land Sarmatien
in die Fantasie entlassen…[1]
Anmerkung:
[1] In der Ahornalle 26 in Berlin-Friedrichshagen/Spree, wo Bobrowski seit seiner Entlassung aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1949 zur Miete lebte, hatte seine Familie auch nach seinem Tod 1965 sein Arbeitszimmer im Originalzustand erhalten, es konnte mit vorheriger Anmeldung besichtigt werden. 2008 übernahm die Landesbibliothek Berlin die rund 2.200 Bücher des Dichters. 2011 musste dann alles aufgelöst werden und das Haus wurde verkauft.
Bobrowskis literarischer Nachlass befindet sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach, originale Gegenstände aus Bobrowskis Berliner Arbeitszimmer (die Liege, der Schreibtisch, die Schreibmaschine etc.) sind in der Bobrowski-Dauerausstellung im Evangelischen Gemeindehaus in Willkischken (Litauen) zu sehen.