Knallige Fassaden

Ronja von Rönnes „Beschwerden ans Leben“ kritisieren viel und ändern wenig

Von Jana ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verlage fassen gerne Kolumnen von Kolumnisten zusammen. Da wären die gesammelten Texte von Autoren wie Max Goldt, Selim Özdogan, Axel Hacke oder Peter Bichsel. Mit Heute ist leider schlecht. Beschwerden ans Leben ist jetzt eine weitere Kolumnen-Sammlung erschienen: Die Schriftstellerin, Bloggerin und Journalistin Ronja von Rönne vereint darin bisher unveröffentlichte Texte sowie Beiträge für die „Welt am Sonntag“ und den Blog „Sudelheft“. Nach ihrem Debütroman Wir kommen von 2016 ist es das zweite Buch der 25-Jährigen.

So richtig viel gemein hat Rönne mit ihren oben genannten männlichen Kollegen nicht. Wenn schon ein Vergleich her muss, dann wohl am ehesten mit Sarah Kuttner. Vor rund zehn Jahren erschienen deren Beiträge aus der „Süddeutschen Zeitung“ in zwei Titeln: Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens und Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart. Beide Autorinnen suchen das Singuläre in einer medial durchwirkten Pop-Gegenwart. Beide gelten (oder galten) als Stimmen der unter Dreißigjährigen. Und die Debütromane beider Autorinnen kreisen um Angst und Depression im Leben junger Berlinerinnen. Aber wo es bei Kuttner persönlich wurde, wird es bei Rönne intim. Denkt der Leser jedenfalls auf den ersten Blick. Auf den zweiten macht sich der gegenteilige Eindruck breit: Distanz.

Sie zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Obwohl Rönnes Kolumnen innerhalb der Zeitungslandschaft außergewöhnlich nah sind, obwohl Depression und Alltagsleere immer wieder Thema sind, und obwohl sie ihr Schreiben ständig reflektiert – Subjektivität finden die Leser hier nicht. Die Kolumne „Ich bin unglücklich“ endet beispielsweise so: „Vor dem Einschlafen denke ich noch ein bisschen an unheilbare Krankheiten und schaue eine Doku über verhungernde Kinder in Afrika. Es war kein schöner Tag.“ Unheilbare Krankheiten und hungernde Kinder in Afrika als Allgemeinplätze – vielleicht ist das witzig, aber mit Sicherheit ist es auch distanzierend. Zwar ließe sich das Zitieren solcher Allgemeinplätze als Kritik daran lesen, dass sie uns nichts mehr fühlen lassen, sondern stumpfe Floskeln sind. Aber nach 58 Kolumnen wird klar, dass die Autorin keine Alternative zur Fühllosigkeit dieser Floskeln hat.

Dass manche Leserinnen und Lesern so eine Haltung pietätlos finden, reflektiert Rönne selbst. Den in der „Welt am Sonntag“ veröffentlichten Text „So werden Sie Ihre Traurigkeit los“ (eine Persiflage auf die Ratgeberliteratur) hat sie deswegen um ein Vorwort ergänzt: „Als dieser Text ursprünglich in der dicken Sonntagszeitung veröffentlicht wurde, twitterten einige Depressive, sie fühlten sich von meinem Artikel verletzt, ich nähme Depressionen nicht ernst. Dabei ist das falsch. Ich schreibe nur dann lustig über Dinge, wenn sie an sich nicht lustig sind.“ Rönne schreibt tatsächlich witzig, ihre sprachlichen Bilder sind ausdrucksstark und überraschen beim ersten Lesen. Doch über den rein ironischen Umgang mit ihrer Gegenwart führt sie den Leser nicht hinaus. Da hilft es auch nicht, dass Rönne die eigene Ironie scheinbar reflektiert – und beispielsweise schreibt, sich „von Zeit zu Zeit frech des Stilmittels der Hyperbel“ zu bedienen.

Das ist schade. Denn wer seine Gegenwart so genau wahrnimmt, wer sich selbst darin minutiös beobachtet und darüber schreibt, von dem erwarten Leser Antworten. Oder doch zumindest Reflexionen, die über das Widerspiegeln einer blinkenden Welt der Kuriositäten hinausgehen. Echte, kritische, analytische Reflexion. Doch stattdessen führt Rönne ihre Leserinnen und Leser in die gähnende Leere der Pop-Welt, nur um sie dort stehenzulassen.

Vielleicht können Leser von einer Kolumne auch gar nichts anderes erwarten. Eine Kolumne macht aus etwas Alltäglichem etwas Besonderes und ist dabei heiter. Nimmt Rönne uns mit, zum Beispiel auf die Frankfurter Buchmesse, eine Berlinale-Party oder zum Gallery Weekend, ist das sehr heiter und kurzweilig. Wir sind wirklich dabei. Wir fühlen die Aufgeregtheit, aber auch die Trivialität mit, die ihr bei solchen Events begegnet. Wir verstehen, dass diese Trivialität Grund zur Beschwerde an das Leben ist. Aber warum nimmt sie uns denn dahin mit, wo es trivial ist? Eine Antwort darauf gibt Rönne nicht.

Dass sie sich als Neu-Berlinerin in der Großstadt integriert habe, macht die Autorin daran fest, einen solchen Satz sagen zu können: „Du, zwischen dem veganen Raw-Restaurant und dem Craft-Beer-Laden hat gestern ein Pop-up-Store eröffnet, der genau den Adidas Stan Smith führt, der mir in meiner Sneaker-Sammlung noch fehlt.“ Solche trendigen Schlagworte springen Zeitungsleserinnen und -lesern natürlich ins Auge. Liest man aber 58 Kolumnen, die alle „Brisanz!“ schreien, verliert sich diese in einer Endlosschleife. Ihre Gegenwart kritisiert Rönne als Ansammlung oberflächlicher Zeichen. Aber sie zitiert diese Zeichen bloß und begegnet Trivialität mit Trivialität.

Beim ersten Lesen mögen Rönnes ungewöhnliche Bilder überraschen, beim zweiten Lesen gelingt das schon nicht mehr. Denn im Buchformat fällt auf, dass sich einige von Kolumne zu Kolumne wiederholen. So liest man des Öfteren Wendungen wie „Wikipedia auswendig lernen“ oder „das Internet durchlesen“. Das ist nicht tragisch. Aber es betont den Oberflächencharakter der Welt, die Rönne zeichnet, in der die Phänomene kommen und gehen, um dazwischen grell aufblinkend unsere Aufmerksamkeit zu fesseln: Wir lesen von Beauty-Youtubern, Farmville-Einladungen oder niedlichen Affen-Emojis. Überhaupt durchsickert das Internet fast alle Kolumnen. Vielleicht rührt daher die Distanz von Rönnes Stimme. Beim Eintauchen in die ständig neuen Phänomene dieser zweiten, virtuellen Welt vergisst es sich leicht, dass afrikanische Kinder nicht im Internet sondern in Afrika hungern, und dass Krankheiten nicht online sondern im Körper wüten.

Titelbild

Ronja von Rönne: Heute ist leider schlecht. Beschwerden ans Leben.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
205 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783596037032

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