Zentralgestirn der Moderne

Das „Hofmannsthal-Handbuch“ schlägt Breschen in das Riesenwerk dieses kanonischen Autors

Von Tobias SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literaturwissenschaftliche Handbücher, zumal zu kanonischen Autoren, sind zuweilen von zwiespältigen Erwartungen begleitet. Da ist zum einen das Verlangen nach umfassenden Informationen zu den Kontexten der Werke, zum anderen wird aber auch eine gewisse Tiefendimension erwartet, was vor allem die Analysen einzelner Werke betrifft. Hier eine ausgewogene Balance zu finden ist nicht immer einfach. Im Falle des äußerst umfangreichen Werkes eines Solitärs wie Hugo von Hofmannsthal kommt man als Herausgeber leicht in die Bredouille, Teile zu vernachlässigen beziehungsweise eine unpassende Auswahl zu treffen. Das kann man Mathias Meyer und Julian Werlitz, den Herausgebern des Hofmannsthal-Handbuchs, jedoch nicht bescheinigen, weisen sie doch selbst auf diese Problematik hin, wenn sie schreiben, dass „der Versuch einer Bilanz, wie er hier vorgelegt wird, […] sich auf Perspektiven, auf repräsentative Auswahl und manche Andeutungen beschränken“ müsse. Letztendlich aber verweist das Handbuch immerhin auf „über 300 Hofmannsthal-Titel […], von denen indes doch nur weniger als hundert in Einzelbeiträgen vorgestellt werden“. So bleiben dem Interessierten noch genügend Anlässe, sich mit dem Hofmannsthal’schen Werk auseinanderzusetzen. Das Handbuch bietet hier nur einen ersten und guten Zugang.

Acht thematische Kapitel, die zum Teil in sich nochmals in Gattungs- und Genrekapitel unterteilt sind, strukturieren das Hofmannsthal-Handbuch und geben schon hier einen ersten Überblick des in vielerlei Hinsicht weitreichenden Werkes. In den drei einführenden Kapiteln liegt der Fokus auf den sozialen, politischen, biografischen und kulturell-kontextuellen Parametern des Werkes und seines Autors. Es folgen Kapitel zur Lyrik (Kapitel IV), den Dramen, Libretti und Balletten (Kapitel V), der Prosa, den Erfundenen Gesprächen und Briefen (Kapitel VI) sowie den Essays, Reden und autobiografischen Schriften (Kapitel VII). Den Schluss bildet ein Kapitel zur Rezeptionsgeschichte des Werkes.

Das „zitierende und collagierende Dichten“ Hofmannsthals, das man auf den ersten Blick kritisieren könnte, stellen die Beiträge des Handbuchs immer wieder als das Moderne des Hofmannsthal’schen Werkes heraus, gerade weil sich darin die künstlerische Leistung zeigt. Indem nämlich Lektürespuren fast sämtliche Texte des Autors durchziehen, vollziehen seine Texte doch immer eine eigene Bewegung, die sich nicht allein auf die Quellen beziehen lässt, sondern vielmehr das genuin Eigene des jeweiligen Textes ausmacht. Dass Hofmannsthal (wie er auch in seinen Selbstzeugnissen immer wieder betont) eine Unmenge an Lektüren, Konzepten und Ideen in seine eigenen Texte hat einfließen lassen, geben diese mitunter offensiv preis. Allerdings ist damit nie der Zwang verbunden, eine jede dieser Quellen heranzuziehen, um zu einer wie auch immer gearteten schlüssigen Interpretation zu gelangen. Friktionen, die sich aus dem Verfahren ergeben, sollten vielmehr produktiv gelesen werden. Immer wieder wird auch auf die Rolle Hofmannsthals als Vermittler internationaler Literatur im deutschsprachigen Raum verwiesen. Besonders die Beiträge zum essayistischen Werk verdeutlichen dies eindrücklich. Hofmannsthals „sagenhafte Belesenheit“ gerät so in ihrem Wirkungspotenzial vor allem für die moderne deutschsprachige Literatur zu einem Gravitationszentrum.

Neben den genannten Vorzügen des Handbuchs sind leider auch einige Schwachpunkte zu benennen, die lediglich erwähnt werden sollen, die den positiven Gesamteindruck aber nur geringfügig schmälern können. So taucht beispielsweise das Problem auf, dass Begriffe, die in Forschungsbeiträgen als zentral für Hofmannsthals Texte benannt werden, wie etwa das Allomatische, nicht in Einzelbeiträgen erläutert sind. Die Werkbeiträge, sofern sie denn darauf zu sprechen kommen, zitieren allzu häufig diese Begriffe lediglich an.

Ein zweiter kleiner Kritikpunkt ist der Eindruck, das in manchem Beitrag nicht immer auf eine kritische Distanz zwischen Werk und Autor geachtet wird, stattdessen werden Äußerungen Hofmannsthals (beispielsweise für die Analyse eines Gedichts) als Interpretationsgrundlage herangezogen. So heißt es zum Beispiel in dem Beitrag zum Gedicht Weltgeheimnis etwa, „Hofmannsthal […] verarbeitet“ eine bestimmte Stelle aus Friedrich Nietzsches Zarathustra, zudem „unterstreicht Hofmannsthal die erstarrte Formelhaftigkeit des modernen Sprachduktus“, „[i]n Wirklichkeit aber vermittelt die Dichtung Hofmannsthal zufolge zwischen der Stummheit der Vorzeit und der Sprachkorruption der Moderne“, was sogleich auch im Gedicht zu belegen versucht wird. Problematisch an solchen – überspitzt ausgedrückt – (Kurz)Schlußformeln, ist die Reduzierung des Textes, der nun nicht mehr selbst spricht, sondern aus dem eben Hofmannsthal spricht. Dass das Gedicht starke intertextuelle Bezüge (nicht nur) zu Nietzsche aufweist, muss nicht durch biografische Beglaubigungen legitimiert werden. Zudem scheint die Analyse des Gedichts Weltgeheimnis zu stark auf den Nietzsche-Bezug hin ausgerichtet zu sein. Weitere intertextuelle Verweise und andere mögliche Lesarten wären in diesem Beitrag und auch in einigen anderen wünschenswert gewesen.

Zum Schluss noch ein Wort zur Ausstattung des Buches, die in einer Hinsicht leider eklatant schlecht ist. Ein Buch, das von einem renommierten Verlag für 90 Euro verkauft wird, sollte keinen minderwertigen Eindruck hinterlassen. Das ist jedoch der Fall, denn die dürftige Qualität des Druckbildes erinnert allenfalls an die Leistung besserer Tintenstrahldrucker, sodass Buchstaben an vielen Stellen unsauber dargestellt sind und das Schriftbild generell verschwommen wirkt. Der Leseeindruck ist hierdurch nachhaltig beeinträchtigt.

Titelbild

Mathias Mayer / Julian Werlitz (Hg.): Hofmannsthal-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016.
426 Seiten, 89,95 EUR.
ISBN-13: 9783476025913

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