Ein Abenteurer, aber mit vielen Facetten

Alfred Hornung legt mit „Jack London. Abenteuer des Lebens“ eine überfällige deutschsprachige Biografie vor

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist schon verwunderlich, dass lange Zeit keine aktuelle deutschsprachige Biografie zu Jack London verfügbar war. Schließlich findet der amerikanische Autor hierzulande nach wie vor ein interessiertes Publikum, wie die aktuellen Neuübersetzungen seiner Romane wie Lockruf des Goldes oder Der Ruf der Wildnis bei dtv zeigen. Auch Neuverfilmungen seiner Werke spiegeln dieses Interesse: Allein Der Seewolf wurde erst vor ein paar Jahren gleich zweimal, 2008 und 2009, fürs deutsche Fernsehen neu inszeniert.

Die deutschsprachigen Biografien dagegen, meistens aus dem Englischen übersetzt, sind Jahrzehnte alt und allenfalls noch antiquarisch zu bekommen. Im englischen Sprachraum sieht es da – natürlich – sehr viel besser aus. In den letzten Jahren sind hier gleich mehrere London-Biografien erschienen, beispielsweise Jack London: An American Life (2013) von Earle Labor oder Jack London’s racial lives: a critical biography (2009) von Jeanne Campbell Reesman. Diese beiden gelten mittlerweile als Standardwerke für London-Interessierte, da sie sich zeitgemäß kritisch und auf der Höhe der London-Forschung mit Leben und Werk des Autors auseinandersetzen, gerade im Hinblick auf dessen rassistisch anmutendes Ideengut der mittleren Schaffensphase.

Mit seiner im 100. Todesjahr von Jack London erschienenen deutschsprachigen Biografie schließt Alfred Hornung somit eine länger klaffende Lücke. Londons Vita ist wechselvoll, ereignisreich und geprägt von ebenso vielfältigen wie teils fragwürdigen Aktivitäten. 1871 geboren, war er Kinderarbeiter, Austernpirat, Fischereipolizist, Seemann, Tramp, Goldsucher, Kriegsberichterstatter, Vortragsreisender, Weltenbummler und Ökobauer. Dazwischen holte er den Schulabschluss nach, studierte kurz und erfolglos, trat aus Verbundenheit mit dem Arbeitermilieu der sozialistischen Partei bei und war zweimal verheiratet. Seine Ideenwelt war geprägt von einer merkwürdigen, aber durchaus zeittypischen Melange sozialdarwinistischer Anschauungen, sozialistischer Positionen und rassistisch gefärbten, an Friedrich Nietzsches Überlegungen zur „Blonden Bestie“ angelehnten Vorstellungen. Und natürlich die Schriftstellerei: Er verfasste 27 Romane, sechs autobiografische Schriften, vier Dramen, 196 Kurzgeschichten und daneben zahlreiche politische Essays, Reportagen und Essaysammlungen. Jeden Tag, so hatte es sich London auferlegt, wollte er 1000 Wörter schreiben. Diese Fülle an Vita und Werk passte in gerade einmal 40 Lebensjahre: London starb 1916 nach einer falsch dosierten Schmerzmitteleinnahme, diverse Krankheiten und Alkoholismus hatten ihn da bereits zum körperlichen Wrack gemacht.

Jack Londons Leben gilt als gut erforscht. Alfred Hornung nimmt erst gar nicht den Wettlauf um die größtmögliche Detaildichte oder um grundsätzliche Neubewertungen biografischer Ereignisse auf. Vielmehr entscheidet er sich für eine anti-chronologische, themenorientierte biografische Darstellung, die er in sechs größere Bereiche gliedert. In diesen variiert er, in Anlehnung an den Buchtitel, das Motiv des Abenteuerlichen: „Abenteuer der Kindheit und Jugend“, „Politische Abenteuer“, „Abenteuer zu Land“, Abenteuer zur See“, „Visionäre Abenteuer und Selbstbilder“ und „Ökologische Abenteuer und Weltgemeinschaft“.

Die für eine Biografie ungewohnte Sequenz der Darstellung sortiert den überbordenden Stoff biografischer Details zwar nach einem Ordnungsprinzip und unterstützt die kompakte Darstellung, führt jedoch ebenso zu zunächst irritierenden inhaltlichen Doppelungen und Sprüngen in der Schilderung. Wer sich jedoch auf diese Art der Anordnung einlässt, wird mit einer konzisen, gut zugänglichen Aufarbeitung von Leben, Werk und Denkweise Jack Londons belohnt, die ihren literaturwissenschaftlichen Unterbau nie verleugnen kann und von einer klaren, unprätentiösen Sprache getragen wird.

Zwei Aspekte markieren den Wert von Hornungs London-Biografie: Immer werden die politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Kontexte der an Umbrüchen reichen Zeit mit aufgeführt und zum Verständnis erläutert, sodass manches Lebensereignis Londons, zum Beispiel seine Teilnahme am Hungermarsch nach Washington im Jahr 1894, erst nachvollziehbar und bewertbar wird. Daneben lebt die Biografie von den gekonnten, in den biografischen Kontext eingewobenen Interpretationen der Werke Londons. Als kundiger und renommierter Amerikanist macht Alfred Hornung das Leben und Denken Londons auch aus dessen Werken heraus greifbar, ohne dass längere interpretatorische Passagen, etwa zu den autobiografisch gefärbten Werken Martin Eden (1909) und König Alkohol (1913), Gefahr laufen, allzu langatmig zu werden.

Hornung gelingt es, das Bild eines umtriebigen, kreativen, arbeitsbesessenen und vielseitig interessierten Autors zu entfalten, in dessen Charakter Charismatisches, Widersprüchliches und Abgründiges vereint waren. London konnte mit großem Furor über die Bedrohung durch die „asiatische Rasse“ schreiben (The Yellow Peril, 1904) und sich zugleich für die indigenen Völker Mexikos oder Hawaiis engagieren. Seiner erst zwölfjährigen Tochter Joan, die sich für ein Leben bei ihrer Mutter und gegen das Leben auf Londons Farm entschied, schrieb er bitterböse, verständnislose Briefe voller Vorwürfe, während er einfühlsam und vorbehaltlos mit den ausgestoßenen, multinationalen Bewohnern der Leprainsel Molokai umging.

Wer eine klare, prägnante und kompakte Darstellung von Londons Leben sucht, die den Stand der aktuellen Forschung reflektiert, zugleich eine fundierte Werkanalyse offeriert und eine Charakterstudie mitliefert, ist mit Hornungs Biografie, die neben dem darstellenden Teil Bibliografie, Personenregister und Werkregister bietet, gut bedient. Freilich lotet Hornung nicht jeden Aspekt in der Tiefe aus, doch zeigt er eindrucksvoll, dass Jack London weitaus mehr war als ein Draufgänger auf der Suche nach Abenteuern, der populäre See- und Wildnisromane verfasste. Insofern hält die Biografie viel mehr als der Titel – der arg am London-Klischee klebt, aber natürlich die Leser-Erwartung antizipiert – verspricht.

Titelbild

Alfred Hornung: Jack London. Abenteuer des Lebens.
Lambert Schneider Verlag, Darmstadt 2016.
320 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783650401571

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