Erbsünde zum Jubeljahr
Über Friedrich Christian Delius‘ Streitschrift „Warum Luther die Reformation versemmelt hat“
Von Rolf Schönlau
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Kombination von kneipentauglichem Titel und gelehrter Gattungsbezeichnung verspricht die Verhandlung eines komplexen Themas mit den Mitteln gewitzter Rhetorik. Der protestantisch gebildete Agnostiker F.C. Delius holt Luther buchstäblich vom Sockel, um mit ihm, genauer: zu ihm, auf Augenhöhe, über den Kardinalfehler der Reformation zu sprechen – die Fortschreibung der Erbsünde.
Dreh- und Angelpunkt des Gesprächs über fünf Jahrhunderte hinweg ist das Jahr 418, als Augustinus, Bischof von Hippo, auf der Synode von Karthago die Erbsünde in die christliche Theologie einführte. Als ehemaliger Augustinermönch sei Luther auch nach dem Bruch mit der römischen Kirche den Lehren seines Ordensvaters treu geblieben, hält Delius dem Reformator vor und holt sich dabei theologische und philosophische Unterstützung von Elaine Pagels und Kurt Flasch. Ohne die „augustinische Wende von der frohen Botschaft zur drohenden Botschaft“ habe auch die lutherische Erlösungslehre nicht funktionieren können.
Es begann mit einem Übersetzungsfehler: Im fünften Kapitel des Römerbriefes heißt es im griechischen Original des Paulus, der Tod sei zu den Menschen gekommen, weil (gr. eph‘ hô) sie alle gesündigt hätten. In der lateinischen Vulgata-Übersetzung wurde daraus, dass alle in ihm (lat. in quo), also in Adam, gesündigt hätten. Luther, der im Gegensatz zu Augustinus des Griechischen mächtig war, übersetzte die Stelle zwar korrekt, beließ es aber bei dem folgenschweren Fehlschluss: Wenn alle Menschen bereits in Adam gesündigt haben, dann muss die Sünde durch die Zeugung vererbt werden, ergo ist die Sexualität sündhaft.
Wie die Lehre von der Erbsünde Gesetzeskraft erlangen konnte, erzählt Delius dem Reformator, faktenkundig und ein wenig spöttisch, im Plauderton beim Bier – das Einzige, das sich seit Luthers Zeiten, seit dem Reinheitsgebot von 1516, nicht verändert hat. Eine Synchronizität der Ereignisse, die Delius gewitzt kurzschließt, wenn er Luthers Thesen als „theologisches Reinheitsgebot gegen die Panscherei mit dem Ablass“ beschreibt.
Bei der Durchsetzung der Erbsünde im 5. Jahrhundert hatte Augustinus innerkirchlichen Widerstand zu überwinden. Pelagius und Julianus von Eclanum, seine wichtigsten theologischen Gegenspieler, mussten erst als Häretiker verbannt, ihre Schriften verbrannt werden. Vor allem aber war Kaiser Honorius davon zu überzeugen, dass sich mit einer per se sündigen Menschheit bestens ein christlicher Staat errichten ließ. Verbürgt sind die 80 Araberhengste, die Augustinus dem Kaiser als „springendes Schmiergeld“ nach Ravenna schickte.
Auch die übersetzerischen Freiheiten, die erforderlich waren, damit Jesus ohne Erbsünde geboren werden konnte, breitet Delius vor Luther aus: Die „junge Frau“ in der hebräischen Bibel wurde im Griechischen zur „anmutigen Jungfrau“ und dann im Lateinischen zur „Jungfrau voll von Gnaden“, womit Maria endgültig mit den nötigen Eigenschaften ausgestattet war .
Die kleine Streitschrift endet mit dem gar nicht so unernst gemeinten Appell, die Erbsünde wegzureformieren, auch wenn der Autor Zweifel hat, ob Luthers Nachfolger den Mut dazu aufbringen. Mit Genuss und Gewinn zu lesen ist das Stück Populärphilologie allemal.
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