Es ist so schön – ohne uns

Rachel Kushner zeichnet ein beeindruckendes Porträt des vorrevolutionären Kubas mit leichten Schwächen in der Wahl der Protagonisten

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Himmel war neblig-violett, wie die Farbe der zarten Haut unter Mutters Augen, Halbkreise, die dunkel wurden, wenn sie müde war. Die Sonne eine verschwommene, tiefrote Kugel. Man konnte sie durch den Nebel direkt anschauen, wie einen Edelstein unter Lagen von Seidenpapier. Wahrscheinlich blühte uns eine Art seltsames Wetter. Im Osten Kubas gab es Tage, an denen ich gleich beim Aufwachen merkte, dass sich das Wetter radikal verändert hatte.

Das Wetter kündigt bereits an, dass es in K.C. Stites Kuba bald Veränderungen radikaler Art geben wird. Es ist 1958, ein Jahr bevor Fidel Castro Havanna erreicht. Der junge Erzähler des ersten Kapitels ist der Sohn eines leitenden Angestellten der United Fruit Company, die heute Chiquita heißt. Mit dem Diktator Batista pflegt K.C.s Vater ein gutes Verhältnis, versucht aber auch heimlich mit den Rebellen zu verhandeln, nur für den Fall, dass der Umsturz gelingen sollte. Doch dann brennen seine Zuckerrohrfelder, angezündet von Raúl Castros Truppe, die sich in den Bergen in der Nähe versteckt. Besonders fatal: K.C.s älterer Bruder Del hat sich den Rebellen angeschlossen und ist nicht, wie sich die Familie einredet, von ihnen entführt worden.

Rückblicke ins Jahr 1952 lassen uns in Rachel Kushners Telex aus Kuba miterleben, wie Everly Lederer die Insel erreicht. Für K.C.s Altersgenossin ist Kuba ein großes Abenteuer und weckt Assoziationen an Piraten und den Roman Die Schatzinsel von Robert Louis Stevenson. Sie beobachtet die Geschehnisse durch ihre Kinderaugen wie ein absonderliches Theater – die skurrilen Erwachsenen, die in den USA erfolglos waren, und in Kuba zu Reichtum gekommen, größenwahnsinnige Feste feiern und sich Affen als Haustiere halten.

Ein wenig irreführend ist, dass auf dem Klappentext eine Liebesgeschichte zwischen Everly und K.C. ins Zentrum gestellt wird, denn K.C.s Schwäche für sie wird nur kurz erwähnt und nicht erwidert. Der Roman hat es nicht nötig, auf eine Teenager-Romanze reduziert zu werden; davon abgesehen ist Everlys ebenfalls unerwiderte Schwärmerei für den haitianischen Hausangestellten deutlich interessanter und politisch brisanter.

Die unschuldige Sicht der Kinder ist durchaus eine interessante Perspektive auf die kubanisch-US-amerikanische Gesellschaft der 1950er-Jahre. Ihre Sicht wechselt mit der von mehreren erwachsenen Protagonisten. Im Fokus stehen eine Nachtclub-Tänzerin, Rachel K, und ein undurchsichtiger Franzose mit SS-Vergangenheit namens La Mazière.

Rachel K ist eine Meisterin der Täuschung. Ihre Nachmittage verbringt sie damit, sich Netzstrümpfe auf die Beine zu malen. Außerdem kommt sie aus Paris, auch wenn sie Kuba nie verlassen hat. Denn „Wenn sie sagt, sie kommt aus Paris, dann kommt sie aus Paris, das war ihre Haltung.“ Ihren Einfluss auf die mächtigen Männer des Landes nutzt sie geschickt aus, sie ist dabei aber keineswegs gefühlskalt.

La Mazière, der durch widrige Umstände Mitglied bei der Waffen-SS wurde, dient als Beispiel für Ausländer, die die Rebellen unterstützten. Er gibt ihnen hilfreiche Tipps, wie mit Verrätern umzugehen sei: „Nicht eliminiert … Der richtige Ausdruck lautet exekutiert.“ Seine Antwort auf die Frage eines Rebellen, ob es nicht wenigstens einen Prozess geben sollte, beantwortet er damit, das Volk spräche kein Urteil über Verräter: „Es wirft sie zurück ins Nichts.“

Das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen ist, wie Rachel Kushner eindrucksvoll schildert, voller Argwohn und Rassismus: „Und man mag es rassistisch nennen, vor allem heutzutage, aber es war nur vernünftig, bei jedem Schwarzen – ob Kubaner, Haitianer oder Jamaikaner – mit Ärger zu rechnen.“ Dieses Missverhältnis bot den Rebellen, die dadurch in der Bevölkerung breite Unterstützung erfuhren, schließlich die Möglichkeit zum Sieg. Die Situation spitzt sich im Plot immer mehr zu. Während die amerikanischen Ehrfrauen alle zurück in die USA wollen, versuchen ihre Männer, so lange wie möglich auf der Insel zu bleiben. Immerhin sind sie dort alle nur aus einem Grund: In den Staaten wären sie nicht Firmenchefs und würden nicht in Villen leben. Es ist der kubanische Traum vom Reichtum, der auf Ausbeutung gründet. Die Zuckerrohrschneider, hauptsächlich Haitianer, arbeiten 18 Stunden am Tag, in der Dunkelheit unter dem Licht von Öltöpfen. Bezahlt werden sie erst am Ende der kompletten Saison, damit sie aus lauter Erschöpfung nicht vorher nach Hause zurückkehren. Kushner zeichnet in ihrem Roman das Porträt einer zutiefst rassistischen und sexistischen Gesellschaft, die sich selbst in den Abgrund reißt.

Telex aus Kuba zentriert sich um K.C. und Everly und ihr Umfeld sowie um Rachel K und La Mazière.  Die kindlichen Protagonisten sehen passiv zu, was um sie herum passiert. Das ist eine Stärke des Romans, der so die Hilflosigkeit der US-Amerikaner verdeutlicht, gleichzeitig aber auch eine Schwäche. Gerne würde man als Leser auch einmal durch die Augen von K.C.s Bruder Del schauen, um zu verstehen, was ihn dazu gebracht hat, zu Raúl in die Berge zu gehen. War es Sympathie für die Revolution oder eine Rebellion gegen seinen Vater? Bei seinem späteren Lebenswandel, der vom erwachsenen K.C. 2004 geschildert wird, könnte man letzteres vermuten.

Das Wissen über das Kuba der 1950er-Jahre und die Revolution zeugen von umfassender Recherche der Autorin. Die Idee, das Geschehen aus Kinderperspektive zu schildern, ist interessant und gut gemacht, dennoch verliert der Plot dadurch etwas an Dynamik, die die aktiv handelnden La Mazière und Rachel K alleine nicht aufrechterhalten können. Zudem hätte es der Geschichte sicher geholfen, sich auf einen oder zwei starke Protagonisten zu konzentrieren. Everly wäre dafür eine Möglichkeit gewesen, K.C.s Charakter dagegen ist etwas zu blass gezeichnet.

Titelbild

Rachel Kushner: Telex aus Kuba. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Bettina Abarbanell.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
460 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498034467

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