Vom Fluch der Franken und dem Segen der Türken

Paul Cobb erklärt wie das arabische Zeitalter den Kreuzzügen zum Opfer fiel

Von Albrecht FuessRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Fuess

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ich in der Schule als kleiner Junge erstmals von den Kreuzzügen in meinen Schulbüchern las, hatte das immer etwas von einem Fußballspiel. Mal hatten wir (die christlichen Europäer) gewonnen, mal verloren und dann war es doch wieder umgekehrt. Letztendlich wurden wir aber leider wieder vertrieben, konnten dann aber durch den Kolonialismus unsere Überlegenheit wieder beweisen und so eine Art späte Rache nehmen. Jerusalem gehörte ja eigentlich doch in unseren christlichen Kulturkreis, obwohl dort Angehörige anderer Religionen in der Mehrheit sind und waren. Die Heiden waren böse und verschlagen, einzig der edle Sultan Saladin passte da nicht rein, aber er war ja auch ein guter Freund von Richard Löwenherz, der wiederum ein guter Bekannter von Robin Locksley (besser bekannt als Robin Hood) war, einem Helden meiner Kindheit.

Es dauerte eine Weile und ein Studium der Islamwissenschaft herauszufinden, dass diese Erzählung relativ einseitig war und sich in der arabischen Welt spiegeln ließ, nur dass dort Freund und Feinderzählungen in verteilten Rollen aufgeführt wurden. Arabische Kollegen haben, so berichten sie mir, auch auf Grund der Lektüre ihrer Schulbücher keinen so positiven Eindruck von Richard Löwenherz im Heiligen Land, immerhin hat er ein großes Massaker unter muslimischen Gefangenen nach der Eroberung von Akkon anrichten lassen. Die „Wiedereroberung“ von Jerusalem ging 1099 mit einem solchen unerhörten Gemetzel unter den „Ungläubigen“ ein, dass es sich tief in das kollektive Bewusstsein der Muslime eingebrannt hat. Auch zeitgenössische christliche Chronisten berichten ohne Reue davon, dass Jerusalem im Kampfe für Christi mit dem Blut der Heiden gereinigt worden sei. Das musste halt so sein. Kein Wunder, dass heutige Islamisten dieses Wissen bei ihren Mitbürgern um christlich-europäische Verbrechen voraussetzen können, wenn sie zum Kampf gegen westliche „Kreuzfahrer“ aufrufen.

Beide Narrativen, die expandierende pro-christliche und die defensive pro-islamische greifen aber zu kurz, um die Geschichten rund ums Mittelmeer zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert erfassen zu können. Für den Einzelnen ist dies aber auch schwer zu leisten, wenn es auf Basis aller Originalquellen passieren soll, denn dies würde die Kenntnis von verschiedensten Sprachen und Fachgebieten voraussetzen, so dass die umfassende Aufarbeitung dieser Epoche nur ein Kollektivunternehmen unterschiedlicher Fachkollegen sein kann. Zum aktuellen Stand des Bereichs der Kreuzzüge aus europäisch-fränkischer Sicht sei an dieser Stelle auf die hervorragende Einführung Nikolaus Jasperts verwiesen, für die Kreuzzüge aus islamischer Sicht liegt nun die Darstellung von Paul M. Cobb vor, einem ausgewiesenen Experten des islamischen Mittelalters von der University of Pennsylvania. Paul M. Cobb weitet dabei verdienstvollerweise den Blick auf die Gesamtsituation der Muslime rund um das Mittelmeer und die Regionen, in denen militärische Auseinandersetzungen zwischen dem christlichen Okzident und dem islamischen Orient stattfanden. Somit erscheinen die Kreuzzüge nicht als eine historische Ausnahme, sondern als Teil der großen christlichen Reconquista rund ums Mittelmeer nach dem Ende der arabischen Expansion im 10. Jahrhundert. Die Schauplätze, die Cobb zu verschiedenen Jahrhunderten immer wieder vergleichend nebeneinander stellt, sind dabei Spanien, Sizilien und das Heilige Land. In allen drei Regionen sind christliche Herrschaften und Gläubige durch die frühe islamische Expansion massiv unter Druck gekommen, waren dann aber in der Lage Gegenangriffe zu starten, die ihren Ausgang in Mittel- und Nordeuropa nahmen.

Diese christlichen Gegenangriffe zwangen dann arabische Herrschaften, weitere muslimische Volksgruppen zur Hilfe zu rufen: In Spanien und Sizilien die Berber des Maghrebs. Die arabischen fatimidischen Herrscher Ägyptens und der sunnitische Kalif aus Bagdad benötigen und baten türkische und kurdische Truppen zur Unterstützung. Paul Cobb gelingt es, dieses Geflecht an Interessen, an Hilferufen und Völkerverschiebungen in ein überzeugendes Ensemble zu gießen. So wird verständlich, wieso die muslimische Herrschaft Siziliens schnell kollabierte, das islamische Spanien sich länger halten konnte und im Heiligen Land letztendlich die Vertreibung der Kreuzfahrer gelingen konnte. Der Unterschied lag im jeweiligen Hinterland und der Herrschaft zur See, die zunehmend exklusiv in europäisch-christlicher Hand lag. Durch den Einfall normannischer Truppen und Schiffe wurde es unmöglich, Sizilien gegenüber überlegenen fränkischen Truppen zu halten, die nur kurz über die Meerenge von Messina zu springen hatten, während Tunis weiter weg lag. Im spanischen Kontext war dies nicht so einfach, da die großen Berberreiche der Almoraviden und Almohaden noch gewaltige Kraftanstrengungen übernehmen konnten, um die spanische Reconquista im 12. und 13. Jahrhundert zu verlangsamen. Doch hier erwies sich der kontinuierliche Druck aus Südfrankreich und Nordspanien nach zähem Ringen irgendwann dann doch als zu groß. In Palästina lagen die Sachen wieder anders, denn hier existierte ein islamisches Hinterland, das nicht durch eine See von den eroberten christlichen Gebieten getrennt war. Zudem kamen zu dieser Zeit mehrere Einwanderungswellen von Türken aus Zentralasien, die zum Islam konvertiert waren, und deren Auftauchen die Byzantiner ursprünglich veranlasst hatten, die Kreuzfahrer zu Hilfe zu rufen. Mit Hilfe dieses türkischen Inputs gelang es den arabischen Muslimen über die Jahrhunderte die Kreuzfahrer mühsam wieder zu vertreiben. Doch zu welchem Preis für die Araber! Der zeitgenössische arabische Chronist Ibn al-Furat des 13. Jahrhunderts drückt dies nach dem Fall von Akkon im Jahre 1291 folgendermaßen aus: „Lob sei Gott! Die Nation des Kreuzes ist gefallen. Durch die Türken hat die Religion der Araber gesiegt!“ Zumindest Palästina hatten die muslimischen Araber, wenn auch im Tausch für eine jahrhundertelange folgende türkische Herrschaft gegenüber den fränkischen Christen retten können.

Paul Cobb gelingt es hervorragend, diesen Prozess der Machtverschiebungen rund ums Mittelmeer in der Zeit der Kreuzzüge gut lesbar nachzuvollziehen. Dieses Buch sei jedem empfohlen, der die Zeit der Kreuzzüge noch für ein Fußballspiel hält und klare Feindbilder pflegt. Die historische Realität war zu komplex und verfügte über zu viele Facetten als das über Freund-Feind-Schemata erklären zu können.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Paul M. Cobb: Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2014.
432 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783805348843

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