Fairness statt Freiheit

Susann Hawthorne entwirft ein Manifest für „Bibliodiversität“

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der moderne Literatur- und Buchbetrieb steckt in einer Krise. Daran haben die digitalen Technologien ihren Anteil ebenso wie die neuen globalen Player sowie ein sich veränderndes Lese- und Kaufverhalten. Die Buchbranche reagiert darauf, wie man es eben tut: Bildung von großen Zusammenschlüssen, Konzentration aufs Populäre, Überschwemmung des Marktes. Und wo kleine Nischenpflänzchen bleiben, wird versucht, diese aus dem Markt zu drängen, indem man sie übernimmt, dann abschafft. Das sind gängige Praktiken, der die australische Autorin und Verlegerin Susan Hawthorne ein anderes Konzept entgegenhält: die Bibliodiversität. Diese richtet sich an der ökologischen Biodiversität aus und lässt sich wie folgt definieren: „Bibliodiversität ist ein komplexes, sich selbst unterstützendes System von Storytelling, Schreiben, Veröffentlichen und anderen Arten der Produktion von Oratur und Literatur.“

Dieser Richtschnur folgt ihr Manifest für ein unabhängiges Publizieren. Dabei geht es Susan Hawthorne nicht, wie sich aufgrund des Titels vermuten ließe, um Techniken und Strategien, mit denen heute der Krise begegnet werden könnte. Sie betont stärker die inhaltlichen Ziele mit Blick auf eine „Multiversität“, die grundlegende Benachteiligungen aufheben sollen. Im Literaturbetrieb sind Aspekte wie Gender, Hautfarbe und Sprache noch immer Faktoren der Ausgrenzung. Bibliodiversität aber zielt gerade darauf ab, dass solche Faktoren nicht länger diskriminiert werden, deshalb muss ein bibliodiverses Publizieren sorgsam auf Ausgeglichenheit achten. Susan Hawthorne legt umfangmäßig größten Wert auf diese Argumente. Wenn sie die globalen Freiheiten für Handel, Meinungsäußerung und so weiter aufs Korn nimmt, dann mit gutem Recht. Sie bilden nicht selten gesetzliche Grundlagen für haarsträubende Ungerechtigkeiten, etwa da, wie Hawthorne schreibt, wo das Recht auf Pornografie als freie Meinungsäußerung eingefordert werden kann. An die Stelle der Freiheit rückt sie daher den Begriff der Fairness. Das klingt interessant. Fairness ist aber kein valabler Ersatz, weil sie ans moralische Empfinden appelliert, ohne die rechtliche Durchsetzungskraft einer Freiheit. Insofern bleibt die Kritik an letzterer stumpf. Freiheit ist nicht ersetzbar, an ihr führt kein Weg vorbei. Es kann lediglich darum gehen, sie fair auszugestalten.

Wer ihr Buch an den Erwartungen des Titels misst, wird enttäuscht werden. Zwar betont ihr Manifest mit Recht, dass Originalität und Kreativität stets von den Rändern entstehen. Doch daraus entwickelt Susan Hawthorne keine zukunftsweisende Publikationsstrategie. Auch Bibliodversität kennt keine Antworten, wie eine „faire“ Literatur gegenwärtig an die Leserschaft gebracht werden kann, als Gegenkonzept zu den Internetkonzernen, Großverlagen und Verkaufsständen für Bücher, die sich für das spezielle Buch nicht sonderlich interessieren. Genau hier aber müssten neue Konzepte greifen, damit den herrschenden Strukturen begegnet werden kann und damit eine Literatur zu ihrem Recht kommt, die nicht nur das Stromlinienförmige verkaufen will.

In einer Rede hat der Blogger Baldur Bjarnason 2014 den Verlegern vorgehalten, sie würden handeln, „als hätten Sie das Recht zu bestimmen, was gelesen wird. Sie haben Ihre Kundinnen und Kunden nicht als Menschen mit freiem Willen behandelt“; und weiter: „Die Autorlnnen sind Ihre Arbeiterklasse, und Sie haben sie schlecht behandelt.“ Beides sind gute Argumente dafür, dass sich die Schreibenden wie ihre Leserschaft auf neues Terrain wagen. An die großen Verlage gerichtet: „Sie werden ersetzbar.“

Soweit geht Susan Hawthorne nicht. Ihre Übersetzerin Doris Hermanns belegt in einem Nachwort zwar mit Recht, dass sich die Verhältnisse im deutschen Sprachraum heute noch vielfältiger präsentieren, bis hin zum Verbrecher Verlag, der dieses Manifest herausgegeben hat. Neue Konzepte sind dennoch eine Gebot der Zeit. Bibliodiversität liefert eine begriffliche Anregung. Susan Hawthornes Manifest jedoch ist eher ein Glaubensbekenntnis als eine Handlungsanweisung.

Titelbild

Susan Hawthorne: Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren.
Übesetzt aus dem australischen Englisch und mit einem Nachwort von Doris Hermanns.
Verbrecher Verlag, Berlin 2017.
126 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783957322388

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