Der amerikanische (Alb-)Traum

Über gescheiterte Illusionen und den Mut zum Wagnis in Imbolo Mbues Debütroman „Das geträumte Land“

Von Charlotte NeuhaussRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Neuhauss

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Washington Post bezeichnete es als „the one book Donald Trump should read now“: Dieses Frühjahr erschien nun der im letzten Jahr auf Englisch publizierte, vielgelobte und mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnete Debütroman Das geträumte Land (im Original Behold the dreamers) der kamerunischen Autorin Imbolo Mbue in deutscher Übersetzung.

Mbue, die seit zehn Jahren in den USA und aktuell in New York lebt, entfaltet darin die Geschichte zweier kamerunischer Migranten, Jende und Neni Jonga, die ebenfalls nach New York auswandern und sich voller Euphorie und Tatendrang in ihr neues Leben stürzen. In der schillernden Metropole scheint alles möglich, was ihnen in ihrem Heimatland verwehrt blieb, und als Jende auch noch einen gut bezahlten Job als Chauffeur des Investmentbankers Clark Edwards ergattert, scheinen sich ihre kühnsten Erwartungen zu erfüllen.

Die wohlhabenden und attraktiven Edwards stellen dabei von Beginn an Kontrastfiguren zur ärmlichen Existenz der Jongas sowie Personifikationen des von ihnen angestrebten amerikanischen Traumes dar. Als sich die beiden Familien jedoch näherkommen, werden die Abgründe hinter der so makellos geglaubten Fassade sichtbar. Der Einbruch der Finanzkrise mitsamt ihren fatalen Folgen für Clarks Karriere scheint Auftakt dieser destruktiven Entwicklung zu sein, ist in Wahrheit jedoch nur ihr Katalysator, hängen die Beziehungen zwischen Clark, seiner Frau Cindy und ihren beiden Söhnen doch längst am seidenen Faden. Die Jongas werden im Verlaufe dieser Entwicklung zunehmend zu Therapeuten, die einen abgespannten Clark auf der Rückbank der Limousine und eine verzweifelte, alkoholkranke Cindy auf dem Küchenboden betreuen. Gleichzeitig kehren sich die so wohldefinierten Verhältnisse (zumindest vorübergehend) um und Jendes und Nenis loyaler, konservativer Lebensstil erscheint plötzlich als positiver Kontrapunkt zum Verfall der Edwards.

Mag dieser Ansatz der wechselnden Kontraste viel Potenzial haben und glaubhaft nachgezeichnet sein, so wird er doch durch einen ausbaufähigen Stil, der sich insgesamt eher einfach und ohne größeren Wiedererkennungswert präsentiert, und eine zuweilen recht stereotype Darstellung beider Familien gemindert. Besagte Kontraste würden den Leser mehr überraschen, wenn sie Altbekanntes vermeiden und dem Schema „arm, aber familienbewusst“ vs. „reich, aber sittlich verfallen“ neue Facetten hinzufügen würden. Die Geschichte vom arbeitswütigen Ehemann, der seine Familie vernachlässigt und seine Frau in den Alkohol- und Tablettenmissbrauch treibt, scheint allzu vertraut und könnte von einer Variation profitieren (z.B. indem Cindy an Clarks Stelle gesetzt würde).

Natürlich ist auch die Ambivalenz des amerikanischen Traums kein neues Thema; zumindest würde man sich hier aber tiefergehende Reflexionen vonseiten der Jongas wünschen, die kritische Fragen sowie einen differenzierten Blick auf die amerikanische Gesellschaft ermöglichen. Dies wird leider nur im Ansatz unternommen; zwischen Jendes und Nenis Luftschlössern zu Beginn der Geschichte und ihrer Nüchternheit am Ende scheinen einige interessante Zwischenstufen vergessen worden zu sein, und gerade der Schluss des Romans erscheint allzu einfach, verläuft geradezu im Sande, ohne einen bemerkenswerten Nachhall zu hinterlassen.

Die interessante Komponente verbirgt sich jedoch im Wie, in der Art und Weise und der Intensität, in der jeder Einzelne um seine ganz persönlichen Träume und Werte ringt: Clark, der trotz seines Bewusstseins um die nahende Krise bis zur Erschöpfung weiterarbeitet; Cindy, die mit Zähnen und Klauen um den Familienzusammenhalt kämpft und ihre größten Verletzungen vor allen verbirgt; Jende, der sich auf bewunderungswürdige (wenn auch beim Lesen schwer zu ertragende) Weise nicht zu schade ist, immer wieder sein Mantra von „Ja, Sir“ und „Nein, Sir“ herunterzubeten; Neni, die auch nicht vor kriminellen Methoden zurückschreckt, um ihrer Familie den Unterhalt zu sichern. Sind nahezu alle Figuren am Ende des Romans angesichts der amerikanischen Wirklichkeit, die so gar nicht ihren Wunschvorstellungen entspricht, mehr oder wenig ernüchtert, so bekräftigen diese Einzelkämpfe, die sich zu einem einzigen kollektiven Kampf zu verdichten scheinen, doch gleichzeitig den Mythos und die ungeminderte Relevanz des so heiß ersehnten „American Dream“.

In diesem Sinne scheint im Originaltitel von Imbolo Mbues Erstlingswerk, Behold the dreamers, der wörtlich übersetzt schließlich so viel wie „Siehe da, die Träumer“ bedeutet, auch eine gehörige Portion Respekt mitzuschwingen. Denn am Ende, so kristallisiert sich im Laufe des Romans heraus, geht es vielleicht gar nicht unbedingt darum, wofür genau man kämpft und ob dieser Kampf realistisch ist, sondern dass man es überhaupt versucht und für wert erachtet. Denn gerade in jenen Situationen, da Mbues Figuren an ihr Äußerstes gehen, zeigt sich ihr bemerkenswerter Mut zum Leben und zum Wagnis. Diese Verbindung illustriert Mbue auf empathische und inspirierende Weise, womit es ihr letzten Endes doch noch gelingt, dem amerikanischen Traum eine neue Facette abzugewinnen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Imbolo Mbue: Das geträumte Land.
Aus dem Englischen übersetzt von Maria Hummitzsch.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017.
432 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783462047967

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