Der letzte Ritter, die Theuerdank-Fraktur und der erste Medienkaiser

1517 erschien das von Kaiser Maximilian I. in Auftrag gegebene Versepos „Theuerdank“

Von Rolf SchönlauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Schönlau

Wer ime [sich] im leben kain gedechtnus macht, der hat nach seinem tod kain gedechtnus, und demselben menschen wird mit dem glockendon vergessen, und darumb so wird das Gelt, so ich auf die Gedechtnus ausgib, nit verloren.

So heißt es am Ende des Wißkunig, dem ersten Teil der autobiografischen Veröffentlichungen von Kaiser Maximilian I. (1459–1519), der allerdings erst 1775 gedruckt wurde. Der Ausspruch ist Programm: Vorbildliche Lebensführung und Heldentaten allein reichen nicht aus, um sicherzustellen, dass man der Nachwelt im richtigen Licht erscheint. Angeregt durch die humanistische Idee der memoria antiker Prägung versuchte der Kaiser selbst zu steuern, wie man sich an ihn erinnern soll. Zu diesem Zweck ließ Maximilian sich nicht nur auf Gemälden, Münzen und Grabdenkmälern verewigen, sondern gab auch literarische Gedenkwerke in Auftrag, darunter den Theuerdank. Im Langtitel: Die geuerlicheiten vnd einsteils der geschichten des loblichen streytparen vnd hochberümbten helds vnd Ritters herr Tewrdannckhs.

Wie aus erhaltenen handschriftlichen Aufzeichnungen hervorgeht, hat der Kaiser selbst an der Entstehung des Versepos mitgewirkt. Als Autor zeichnet sein enger Vertrauter Melchior Pfintzing (1481–1535), redaktioneller Mitarbeiter war sein Sekretär Marx Treitzsaurwein (ca. 1450–1527). Gedruckt wurde das mit 118 Holzschnitten ausgestattete Buch 1517, zwei Jahre vor dem Tod des Kaisers, in der Nürnberger Offizin des Hans Schönsperger d. Ä. (ca. 1455–1521). Betreut wurde das Projekt vom Augsburger Humanisten und kaiserlichen Berater Konrad Peutinger (1465–1547). Die Erstausgabe bestand aus 40 Prachtexemplaren auf Pergament, die als Geschenk für Fürsten und Könige gedacht waren, sowie 300 Exemplaren auf Papier. Weitere Auflagen folgten. In Augsburg und Ulm erschien 1679 eine Neuauflage in sprachlich modernisierter Fassung durch Matthäus Schultes, der die originalen Druckplatten der Holzschnitte aufgefunden hatte.

Erzählt wird in 118 Kapiteln die Brautwerbefahrt des Ritters Theuerdank zu Fräulein Ernreich, Tochter des verstorbenen Königs Romreich. Zur sicheren Entschlüsselung der Hauptfiguren dient ein Personenverzeichnis am Ende des Buches, in dem der Titelheld mit den Initialen K.M.E.Z.O.V.B. (Kaiser Maximilian Erzherzog zu Österreich und Burgund) umschrieben wird, König Romreich mit H.C.V.B. (Herzog Carl von Burgund) und seine Tochter Ernreich mit H.M.V.B. (Herzogin Maria von Burgund). Nach Art der mittelalterlicher Heldendichtungen hat Ritter Theuerdank, alias Maximilian, diverse Abenteuer zu bestehen, insgesamt 80 „geverlichkeiten“, in die ihn drei Hauptleute des Heeres verwickeln, alle mit sprechenden Namen versehen: Fürwittig, Unfalo und Neidelhart. Nachdem Theuerdank diese personifizierten Untugenden überwunden hat, bekommt er die angebetete Ernreich, alias Maria von Burgund, zur Frau.

Kaiser Maximilian inszenierte im diesem letzten großen Heldenepos des späten Mittelalters seine historisch verbürgte Brautfahrt von 1477 zu Maria von Burgund, der das Herzogtum Burgund nach dem Tod ihres Vaters, Karl dem Kühnen, zugefallen war. Die Heirat, schon zu Lebzeiten des Vaters beschlossen, fand einen Tag nach Maximilians Ankunft in Gent statt. Bei allem heiratspolitischen Kalkül soll es sich um eine Liebesheirat gehandelt haben. Tragischerweise verstarb die bildschöne Maria bereits 1482 nach einem Sturz vom Pferd.

Wäre allein die literarische Qualität ausschlaggebend, so hätte der Theuerdank wohl kaum einen Platz in der Literaturgeschichte gefunden. Verglichen mit einem Meisterwerk, wie dem ebenfalls 1517 erschienenen Orlando furioso des Ludovico Ariosto, wirken die Abenteuer des Helden arg konstruiert, sind die Charaktere grob holzschnitthaft gezeichnet, die Beschreibungen oft umständlich und mehr schlecht als recht in Knittelverse gepresst, wie eine Passage aus dem 11. Kapitel zeigt:

Als nun kam der morgenig tag
Theuerdannck zu sein diener sprach
Sag dem getrewen Ernholt mein
Das Er pald zu mir khom herein
Der knecht thet mit ganntzem fleys das
Sucht den Ernolden da Er was
Bracht in pald zu dem herren sein
Tewrdanck sprach lieber Ernhold mein
Guetter und hochuertrawter knecht
Vernym diese meine wort recht

Wenn der Theuerdank zu den bedeutendsten Werken deutscher Renaissancekunst zählt, dann als Buch, das ein Gesamtkunstwerk darstellt. Nicht nur die meisterhaften Holzschnitt-Illustrationen nach Entwürfen von Hans Burgkmair d. Ä., Hans Schäufelein und Leonard Beck begründen den Ruhm des Werkes. Die Dominanz der bildlichen Darstellung gegenüber dem Wort zeigt sich auch darin, dass für das Epos eigens eine Drucktype angefertigt wurde, eben die Theuerdank. Der Typograph Vinzenz Rockner, Sekretär des Kaisers, schuf einen der Kanzleihandschrift der Zeit nachempfundenen Schriftsatz, der zum Vorbild wurde für die Frakturschriften der folgenden Jahrhunderte. Charakteristisch für die Theuerdank-Fraktur sind die so genannten Elefantenrüssel, S-förmig geschwungene Zierelemente an einigen Großbuchstaben. Die ausladenden Schnörkelergänzungen wurde von Hand hinzugefügt.

Als Herrscher an der Epochenschwelle zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit nahm Maximilian I. einerseits aktiv an Ritterturnieren teil und hielt die ritterlichen Ideale hoch, andererseits war er kriegstechnisch durchaus auf dem neuesten Stand. Weshalb seinem Beinamen „Der letzte Ritter“ auch gern „und erste Kanonier“ hinzugefügt wird. Auch medientechnisch erkannte der Habsburger Kaiser die Zeichen der Zeit und nutzte den noch jungen Buchdrucks als Medium der Propaganda und für seinen Nachruhm. Mit dem Theuerdank schuf er das erste deutsche bibliophile Buch.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg