Der Blick in die Zukunft

2013 erklärte Yuval Noah Harari seinen Lesern in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“, wie der Mensch wurde, was er ist. Im Nachfolgewerk „Homo Deus“ beschreibt er nun, wie es mit der Menschheit weitergehen wird

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hunger, Krankheit, Krieg: Jahrtausende lang bedrohten den Menschen die immer gleichen drei Probleme – egal, ob im alten Ägypten, dem mittelalterlichen Indien oder im China des 20. Jahrhunderts. Doch zu Beginn des dritten Jahrtausends ist es dem Menschen gelungen, diese Probleme weitgehend in den Griff zu bekommen. Heute sterben mehr Menschen an Altersschwäche als an ansteckenden Krankheiten. Mehr Menschen begehen Selbstmord als von Soldaten, Terroristen und Kriminellen zusammen getötet werden. Es sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen als zu wenig. Haval leitet daraus in Homo Deus „die neue menschliche Agenda“ ab und stellt die Frage, was aus uns – auch und vor allem unter Berücksichtigung unserer biotechnologischen und informationstechnologischen Macht – werden soll.

Für Harari ist klar, dass der Mensch auf der Grundlage seiner neugewonnen Sicherheit als nächstes die Unsterblichkeit anvisiert. Dank Fortschritten in der Biotechnologie und künstlicher Intelligenz könnte aus dem „Homo sapiens“ so der gottähnliche „Homo deus“ werden. Ob dies tatsächlich gelingen wird, lässt Harari offen. Seine Beschreibung möglicher Lebensweisen des technologieverstärkten Menschen bleibt ein Konjunktiv. Jedoch ein sehr lebhafter, der provoziert und verstört.

Um seine Überlegungen nachvollziehbar zu machen, unterteilt der israelische Historiker sein  Buch in drei Teile: Im ersten beschreibt er den Ist-Zustand der Menschheit und mögliche künftige Entwicklungen. Im zweiten Teil geht es um die Frage, welche Motive den Menschen dabei antreiben und wie er seiner neuen Welt Sinn verleiht. Im letzten Teil schildert er schließlich, wie der „Homo sapiens“ seine derzeitigen Überzeugungen und Weltbilder hinter sich lässt und nach reiner Informations- und Wissensexistenz im Zuge von Automatisierung, künstlicher Intelligenz und Robotern strebt. Harari sieht den Menschen der Zukunft nicht als Cyborg, wie es Forscher und Entwickler im Silicon Valley propagieren, sondern will begreifbar machen, dass es die Technik ist, die den Menschen obsolet macht. Der Mensch als Auslaufmodell, die Seele als Ballast.

Hararis Ansatz mag größenwahnsinnig erscheinen. Immerhin bedient er sich zur Erklärung seiner „Geschichte von Morgen“ einer interdisziplinären Gesamtschau, bei der es zwangsläufig zu Verkürzungen, Verknappungen und Unzulänglichkeiten kommen muss. Dennoch gelingt ihm durch die Verwendung dieser breiten Perspektive ein beeindruckendes und fantastisches Werk, das Denkhorizonte öffnet und die Sinne schärft für den nächsten großen evolutionären Schritt, der der Menschheit bevorsteht. Zur Wirkung dieses Buches trägt auch die distanziert-unterhaltsame Haltung des Autors bei. Hararis Überlegungen sind weder euphorisch noch pessimistisch, sondern stets von sachlicher Neugier getrieben. Er formuliert gedankenscharf, seine Überlegungen sind transparent und von Weitsicht geprägt.

Und so ist Homo Deus sowohl eine Beschreibung des aktuellen Forschungsstandes und gegenwärtiger Forschungsinteressen als auch der mutige Versuch, aus ihnen die Zukunft zu lesen. Die sieht gespenstisch, unterkühlt und ungemütlich aus. So lange wir aber Köpfe wie Harari haben, besteht noch Hoffnung.

Titelbild

Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen.
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn.
Verlag C.H.Beck, München 2017.
576 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783406704017

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