Ein teuflischer Pakt

In seinem Roman „Licht“ nimmt uns der in Neuseeland geborene Erzähler Anthony McCarten mit ins späte 19. Jahrhundert

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 4. September 1882 begann es hell zu werden in New York. Indem der Bankier, Kunstsammler und Unternehmer J.P. Morgan (1837–1913) an diesem Tag die in seinem Büro installierten Lampen einschaltete, nahm er das vom ersten Zentralkraftwerk der USA in der New Yorker Pearl Street mit Gleichstrom versorgte Elektrizitätsnetz symbolisch in Betrieb. Es war der Beginn einer epochalen Entwicklung. In John Pierpont Morgan hatte der Erfinder Thomas Alva Edison (1847–1931) ein paar Jahre zuvor den Mann gefunden, der mit seinen gewaltigen finanziellen Mitteln in der Lage dazu war, Edisons Traum, nach und nach die ganze Welt mithilfe der von ihm erfundenen Glühbirne auch nachts in Licht zu tauchen, in die Tat umzusetzen. Der schrullige Erfinder und der skrupellose, steinreiche und stets der Welt ein missgelauntes, von einer überproportionalen Nase dominiertes Gesicht zeigende Privatbankier – für einen Schriftsteller wie Anthony McCarten (geboren 1961) eine wahrlich verlockende Konstellation, mit der sich anhand eines historisch verbürgten Sujets über den Fortschritt und seinen Preis erzählen ließ.

„Ein Selfmademan, ein Held der Arbeiterklasse – keine Schulbildung, nicht einmal Grundschule, und doch in der Lage, durch schiere Verstandeskraft und harte Arbeit die großartigsten Erfindungen zu machen.“ So beschreibt McCarten den Mann, der mit knapp 200 Patenten in den Augen der amerikanischen Öffentlichkeit seiner Zeit so etwas wie einen Zauberer darstellte. Und doch reichten Thomas Edisons Einkünfte bei Weitem nicht „für angemessenen Zimmerservice in einem Kurort außerhalb der Saison“. Dass ihm in dieser Situation einer der reichsten Männer Amerikas gerade recht kam, ist nur zu verständlich. Der Pakt, auf den sich der Erfinder allerdings einließ, als er den Finanzier ins Boot holte beziehungsweise sich von Morgan in dessen auf Gewinnmaximierung hinsteuerndes Boot ziehen ließ, war von Anfang an mit einem hohen Risiko behaftet.

Anthony McCarten erzählt die Geschichte seiner beiden Helden aus zwei zeitlichen Perspektiven. Zum einen befinden wir uns im Jahr 1929, zwei Jahre vor Edisons Tod am 18. Oktober 1931. An Bord eines mit allen Annehmlichkeiten ausgerüsteten Eisenbahnzuges und in Begleitung seiner zweiten Frau Mina befindet sich der 82-jährige Erfinder auf dem Weg nach Dearborn/Michigan, wo im von Henry Ford initiierten Greenfield Village, einem Freilichtmuseum, auch Edisons allererste Werkstatt originalgetreu wiederaufgebaut wurde. Hier soll mit großem Pomp der 50. Jahrestag seiner größten Erfindung, der des elektrischen Lichts, begangen werden. Über 400 Gäste sind versammelt, Henry Ford höchstpersönlich unter ihnen und – kurz vor der Stadt und bereit, „an Bord zu springen wie ein Hobo und zusammen mit Edison die letzten paar Meilen […] zu fahren“ – Amerikas Präsident J. Edgar Hoover.

Allein Edison lässt die Sache platzen. Als der Zug unterwegs hält, steigt er unbemerkt aus dem Waggon, in dem ihn alle schlafend wähnen, aus und schaut von einer nahen Bahnsteigbank dem am Horizont langsam verschwindenden Wagen hinterher. Zeit, sich der Vergangenheit zu besinnen, sich den ihn verfolgenden Gespenstern zu stellen, Bilanz zu ziehen und sich vor allem „die Liste all der Menschen, die er im Verlaufe seines Lebens getötet hatte“, ins Gedächtnis zurückzurufen.

Eine prächtige Ausgangssituation. Und McCarten lässt seinen Helden dort, auf seiner Holzbank, auch nicht lange allein sitzen. Hinzu gesellt sich dem erschöpften, lebensmüden alten Mann nämlich ein wissbegieriger Junge, „nicht älter als sechzehn“ und genauso bereit, die Welt ohne Furcht zu erobern, wie es der Erfinder vor Jahrzehnten selbst einmal war. Beide warten sie auf ihre Züge. Doch während der des Jungen nach vorn, in die Zukunft fährt, ist der Erfinder sicher, dass der seine, bemerkt man in ihm seine Abwesenheit, stoppen und rückwärts fahrend wieder in die kleine Station einlaufen wird, um den verlorenen Passagier einzusammeln und doch noch ans Ziel zu bringen.

Das ist erzählerisch elegant gelöst. Während Thomas Edison auf einem einsamen Bahnsteig im Nirgendwo auf den Zug wartet, der ihn seinem endgültigen Ruhm entgegenführen soll, vergegenwärtigt er sich gleichzeitig jene Lebensstationen, die ihn letzten Endes zu der Berühmtheit werden ließen, als die die Welt ihn kennt. Indem er dabei die Schattenseiten nicht ausspart, legitimiert ihn das gleichzeitig, seine junge Zufallsbekanntschaft vor allzu großer Rücksichtslosigkeit beim Erreichen ihrer großen Ziele zu warnen. Denn jeder noch so kleine Schritt nach vorn, den Edison im Laufe seines Lebens tat, kostete nicht nur Kraft, sondern auch Opfer. Opfer, die ihm jetzt, am Ende seines Lebens, als ein zu hoher Preis erscheinen für das Erreichte.

Aber kann man zurücknehmen, was einmal in die Welt gebracht wurde? Für einen kurzen Moment glaubt McCartens Held tatsächlich an diese Möglichkeit: „Wer weiß, was uns erwartet. Was da noch kommt. Macht die Experimente rückgängig, das sage ich. Zerschlagt die Erfindungen. Gebt uns das Dunkel zurück.“ Doch seine pragmatische, für den etwas weltfremden Geist die Beziehungen zur Realität herstellende Gattin bringt ihn schnell von diesem selbstzerstörerischen Gedanken wieder ab. Sodass „Es werde Licht“ als das Lebensfazit eines Mannes stehen bleibt, der mit seiner Erfindung die Welt veränderte, darüber, wie mit dieser Erfindung letzten Endes umgegangen wurde, aber keine Macht besaß.

Licht ist nicht in erster Linie ein biografischer Roman. Zwar erfährt der Leser von dem sich zurückerinnernden Greis eine Menge über die Kämpfe, die er auf seinem Lebensweg auszufechten hatte samt den Irrtümern, denen er auch zur Genüge erlag. Den Hauptakzent seines – wie immer bei McCarten wunderbar lesbaren – Buches hat der Autor freilich dort gesetzt, wo Erfindungsgabe und Kapital eine unheilige Allianz miteinander eingehen. Groß sind die Visionen des Erfinders, aber noch größer ist die Gier jener – der Bankier J.P. Morgan steht stellvertretend für sie alle –, die sich anschicken, das Genie in eine Geldmaschine zu verwandeln.

Und so erlebt der Leser Edison nicht nur als den Lichtbringer, sondern auch als denjenigen, der maßgeblich an der Entwicklung des ersten elektrischen Stuhls mitbeteiligt war. Und im Lichte seiner Glühbirnen drehte sich nicht nur die vornehme New Yorker Gesellschaft auf ihren Bällen, sondern nahm auch die kapitalistische Warenproduktion ganz neue Dimensionen an. Dass der idealistische Erfinder des Fortschritts bei dessen praktischer Ausbeutung irgendwann nur noch störte – aus der „Edison General Electric Company“ wurde 1892, zwölf Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 1880, unter Weglassung von Edisons Namen die heute noch existierende „General Electric Company“ –, scheint schließlich fast konsequent, auch wenn es einen großen Teil von Thomas Edisons persönlicher Tragik ausmachte.

Titelbild

Anthony McCarten: Licht. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
Diogenes Verlag, Zürich 2017.
364 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069945

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