Eine Frau unter Blauröcken

Der Roman „Die Zweige der Esche“ von Laird Hunt über den amerikanischen Bürgerkrieg

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Bürgerkrieg ist in der Gegenwart nicht eben häufig Thema von Filmen und Romanen. Sieht man einmal von sehr alten Bearbeitungen wie beispielsweise Vom Winde verweht oder D.W. Griffiths epochalem Film The Birth of a Nation ab, fällt mir nurmehr der 2008 in deutscher Übersetzung erschienene Roman Der Glanzrappe von Robert Olmstead ein (als Coal Black Horse 2006 im Original veröffentlicht). Ob das Sujet möglicherweise auserzählt ist oder aus anderen Gründen nicht häufiger bearbeitet wird, darüber kann nur spekuliert werden. Der amerikanische Schriftsteller Laird Hunt (Jahrgang 1968) befasst sich nun auf sehr spezielle Weise mit dem Sezessionskrieg.

Seine Hauptfigur ist Constance, die mit ihrem Mann Bartholomew eine Farm irgendwo in Indiana betreibt. Wir schreiben das Jahr 1862, der Krieg dauert schon ein Jahr. Constance hat sich entschieden: „Ich war stark und er nicht, also bin ich und nicht er in den Krieg gezogen, um die Republik zu verteidigen.“ So lakonisch beginnt ihr Bericht. Fortan nennt sie sich Ash Thompson und zieht als Soldat verkleidet für die Unionisten in den Krieg. Bereits nach kurzer Zeit hat sie sich in der Truppe einen Namen gemacht; als sie einer jungen Zivilistin, deren Kleid verrutscht war, ihre Uniformjacke gibt, um sich zu bedecken, wird sie von ihren Kameraden als „Kavalier Ash“ bezeichnet, woraus bald sogar ein Lied wird. Das bleibt auch ihrem Colonel nicht verborgen, immer wieder nimmt er Kavalier Ash zur Seite, die Beiden unterhalten sich dann und wann. Außerdem bekommt Ash gewisse besondere Aufträge, ihr Mut und ihre Treffsicherheit mit dem Gewehr festigen ihre Position. Als sie mit zwei Jünglingen losgeschickt wird, geraten sie in einen Hinterhalt, das Ende scheint nah. In dieser beinahe aussichtslosen Lage – sie sind eingesperrt, ihre Widersacher sind bewaffnet und entschlossen – zeigt sich eine weitere Qualität dieser erstaunlichen Romanheldin: ihre Intelligenz – mit einer List befreit sie sich und ihre beiden Kameraden.

Laird Hunt verschont seine Leser nicht, der Krieg ist ihm nicht Hintergrund oder gar Idylle. Im Gegenteil: Die Brutalität, das Gemetzel, das Leid, die Schmerzen und Schreie, die beinahe schon industrialisierte Amputationsmaschinerie in den verdreckten Lazaretten, die eilig verscharrten Leichen, die verstreut auf den Feldern liegenden Gliedmaßen sorgen für einen gehörigen Schrecken beim Leser; sie zeigen ungeschönt, was Menschen einander antun können und was der Krieg aus dem Einzelnen, aber auch aus einer Nation macht. Dann passiert etwas Unerwartetes, Ash trifft auf die Krankenschwester Neva Thatcher, die sie mit zu sich nach Hause nimmt, sie pflegt und aufpäppelt (Ash ist längst, wie so viele, verletzt, ihre Verkleidung aufgeflogen). Doch diese Frau will mehr von ihrem Gast, ihrem Patienten, sie nötigt Ash mit Küssen, bei ihr zu bleiben. Als diese sich widersetzt, weist Neva sie in eine Irrenanstalt ein. Die Zustände dort, die Willkür der Wärter, Aufseher und Pfleger muss jeden Menschen brechen, doch Ashs Freiheitswille, ihr unbändiger Wunsch, zu ihrem geliebten Bartholomew zurückkehren zu können, lassen sie auch dieses Martyrium ertragen. Und so darf sie schon bald – ein echtes Privileg – den Koteimer ausleeren und die Männer rasieren. Und wieder einmal gelingt ihr die Flucht. Auf ihrem Heimweg, der natürlich alles andere als einfach und ungefährlich ist, hat sie noch einmal Glück, indem sie sich an die Adresse ihres Colonels in Ohio erinnert und schließlich dessen Haus findet. Dort wird sie freundlich aufgenommen, wird umsorgt, verpflegt und eingekleidet. Nun ist es nicht mehr weit bis ins benachbarte Indiana. Allerdings erfährt sie, bevor sie zu ihrer Farm gelangt, dass sich dort seit ihrem Weggang vieles verändert hat. Kavalier Ash muss noch einmal zu den Waffen greifen.

Laird Hunt hat Die Zweige der Esche als Ashs/Constances Bericht in drei Teilen angelegt. Seine Sprache ist wie bereits erwähnt einerseits lakonisch, andererseits der Zeit verpflichtet (er verwendet Begriffe wie „Marketender“ oder „Konterfeimacher“), dabei immer auf die Ich-Erzählerin konzentriert, weswegen er ihr eine Sprache gibt, die persönlich ist, direkter, als beispielsweise die distanziertere Sprache eines auktorialen Erzählers. Eingewoben in den eigentlichen Bericht von den Geschehnissen im Krieg, den Gefechten und Grausamkeiten, hält Ash immer wieder Zwiesprache mit ihrer toten Mutter, erinnert sich an sie, an ihren Mann Bartholomew, dessen Konterfei sie an ihrer Brust trägt und dessen Briefe sie liest und beantwortet. So entsteht allmählich das komplexe Porträt einer leidgeprüften Frau, die bei Weitem nicht nur auf der Suche nach Freiheit und Abenteuern ist, sondern die versucht, ihre Dämonen zu bannen, den beschwerlichen Weg zu möglicher Erkenntnis zu gehen. Im Haus des Colonels wird sie mit einem umgekehrten literarischen Topos, den sie nicht versteht, charakterisiert: „Penelope zieht in den Krieg, und Odysseus bleibt zu Hause.“ Hier hat Laird Hunt ein großartiges Bild für die Idee seines Romans gefunden, dessen Tragik erschüttert.

Titelbild

Laird Hunt: Die Zweige der Esche. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum.
btb Verlag, München 2017.
282 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783442754885

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