Klare Positionen, unklare Spielregeln?

Eine von Oliver Auge herausgegeben Festschrift für Karl-Heinz Spieß beleuchtet die Welt von „König, Reich und Fürsten im Mittelalter“

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch gegenwärtig wird immer noch oder vielleicht eher wieder einmal intensiv in die Welt des royalen Glanzes geschaut, wenngleich Könige und Fürsten in Europa zumindest eher in der Yellow-Press bewundert werden, als das sie wirkliche politische Bedeutung hätten. Der Fokus der Aufmerksamkeit für diesen gesellschaftlichen Bereich war im Mittelalter sicherlich mindestens genauso ausgeprägt wie in der Gegenwart, allerdings hatten Könige und Fürsten in jener Epoche auch noch entschieden mehr Macht. Verschiedene Rechts- und Wahrnehmungstraditionen, die einerseits verloren sind, andererseits durchaus noch gegeben, prägten die Welt der Herrschenden des Mittelalters.

Dies bringt die vorliegende Festschrift für den Greifswalder Historiker Karl-Heinz Spieß, die auf einem Symposium zu dessen 65. Geburtstag zurückgeht, auf den, oder besser auf mehrere Punkte, denn in den von der Merowingerzeit bis zum konfessionellen Zeitalter reichenden Beiträgen des Bandes geht es um relevante kultur-, politik- und verfassungsgeschichtliche Fragestellungen. Der Band ist breit und umfangreich angelegt, was auf dem Buchdeckel auch entsprechend vermerkt ist. Dort heißt es: „Sie [gemeint sind offenbar die einzelnen Beiträge] lesen sich wie ein repräsentativer Querschnitt des Who is Who der gegenwärtigen Mediävistenszene und legen ebenso ein beredtes Zeugnis davon ab, welche Fragen die Mittelalterforschung gegenwärtig umtreiben.“ Dies liest sich recht eingängig und zeugt vom hohen Anspruch, den Herausgeber und Verlag an diese Publikation stellen beziehungsweise damit verbinden.

Den Beteiligten war es nach eigenem Bekunden wichtig, über das bloße Festschreiben von Erreichtem hinauszugehen. In der Einführung bemerkt der Herausgeber Oliver Auge: „Vielmehr sollten nun, im Juni 2014, mit dem Thema ‚König. Fürsten und Reich‘ auch neue Felder beackert werden und vor allem ein viel weiterer Kreis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu Wort kommen.

Dieser Anspruch ist durchaus eingelöst worden; die Beiträge sind dementsprechend allesamt lesens- und lohnenswert. Bereits der für die behandelten Themen gewählte zeitliche Umfang verdeutlicht, dass hier Traditions- und Repräsentationsgewebe in den Blick genommen werden. Die Merowingerzeit steht am Anfang der Betrachtungen, deren Reigen sich mit den Verhältnissen um die Zeit der Reformation schließt. Aber nicht nur die Epochen, sondern auch die Disziplinen werden in weitem Ausgriff umfasst. Wenn Ursula Peters in ‚Fürsten, Adel und Rittertum‘, die ‚höfische Dichtung vor dem Hintergrund der neueren Feudalismus-Debatte‘ in den Fokus stellt, findet sich hier, was geraume Zeit unvorstellbar war, ein literaturwissenschaftlicher Beitrag in den Rahmen historischer Artikel eingebettet. Diese Form von Interdisziplinarität ist auch einer der großen Pluspunkte, die die vorliegende Publikation so empfehlenswert erscheinen lassen.

Auch in Bezug auf die innerdisziplinäre Breite werden weite Themenfelder abgedeckt. So reicht der Bogen mit Stefan Weinfurters Beitrag ‚Karl der Große und die Anfänge der europäischen Wissens- und Wissenschaftskultur‘ vom Frühmittelalter hin zu den ‚Ressourcen der deutschen Königsherrschaft im Hochmittelalter‘ (Werner Rösener) über ‚Geistliche Fürstinnen im Südwesten‘ (Sigrid Hirbodian), ‚Luther und die Fürsten‘ (Andreas Ranft) bis zum Thema ‚Fürsten und städtische Prostitution im spätmittelalterlichen Reich‘ (Klaus Oschema). Dass hier explizit nur fünf von – mit Einleitung und Tagungsschlusswort – insgesamt 19 Beiträgen benannt wurden, ist keine qualitative Aussage, nur scheinen mir die hier angegebenen Aufsätze die Grenzsteine des Beitragsspektrums zu markieren.

Vier der Beiträge sind insgesamt 31, zumeist großformatige, Farbabbildungen beigegeben, wodurch der Kontext der ‚reinen Lektüre‘ durch ansprechende Visualisierung erweitert wird. Da dies auch bei höherpreisigen Publikationen keineswegs selbstverständlich ist, fällt die qualitativ ansprechende Aufmachung der der illustrierten Beiträge positiv ins Gewicht. Ein 20 Seiten umfassendes Orts- und Personenregister rundet diesen angenehmen Eindruck ab. Noch schöner wäre allerdings, wenn die Beiträge jeweils mit einem Abstract versehen wären, das zugegebenermaßen einer gewissen ‚Lesefaulheit‘ Vorschub leistete, aber auch eine schnellere Orientierung ermöglichen würde; das allerdings ist nur ein kleines Manko, das die positiven Aspekte nur bedingt zu trüben vermag.

Wer sich also von historischer, soziologischer oder auch literaturwissenschaftlicher Warte aus mit ‚König, Reich und Fürsten im Mittelalter‘ befasst, dem sei das Buch empfohlen. Gleichwohl möchte ich doch eines noch kritisch anmerken: Gemeint ist die etwas marktschreierisch daherkommende Formulierung vom ‚Who is Who der derzeitigen Mediävistenszene‘: Ganz ohne Frage sind die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes in ihren Feldern herausragend, und es soll hier in keiner Weise die Qualität der Beiträge oder derjenigen, die sie verfasst haben, geschmälert oder gar in Abrede gestellt werden. Dennoch stellt sich bei einem derlei absolut definierten Anspruch die Frage, warum Namen wie etwa Hans-Werner Goetz, Gerd Althoff oder Johannes Fried nicht vertreten sind. Das mag jetzt wohl beckmesserisch klingen, erscheint mir aber eben angesichts dieser absolut gehaltenen Aussage notwendig anzusprechen, ohne die Leistungen des vorliegenden Werks in Abrede zu stellen!

Zusammenfassend sei folgendes gesagt: Der Anschaffungspreis liegt mit 94 Euro noch im Bereich des Akzeptablen und ist vom Ausstattungsstandard her gesehen insgesamt berechtigt. Damit wird das Buch sicherlich auch seinen Weg in private Bestände finden – zumindest dann, wenn die potentiellen BesitzerInnen grundsätzlich an Fragen mittelalterlicher Herrschaftsstrukturen und deren Darstellung interessiert sind. Dies gilt umso mehr, als die Vorzüge des Buches, wie eingangs dargestellt, nicht zuletzt darin liegen, neben einer Forschungszusammenschau eben auch weiterführende Aspekte zu berücksichtigen und damit mehr als eine bloße Momentdarstellung zum Thema zu bieten.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Oliver Auge (Hg.): König, Reich und Fürsten im Mittelalter. Abschlusstagung des Greifswalder „Principes-Projekts“. Festschrift für Karl-Heinz Spieß.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017.
593 Seiten, 94,00 EUR.
ISBN-13: 9783515108959

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