Christa Wolf kompakt

Über Georg-Michael Schulzʼ kleine Einführung in das Gesamtwerk der Autorin

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einführungen zu Christa Wolf haben ein Problem: Sie müssen neben den bereits vorhandenen fundierten Werkinterpretationen der Berliner Autorin und Lektorin Sonja Hilzinger bestehen, die nicht nur die Werkausgabe zu Christa Wolf herausgegeben und kommentiert hat, sondern als ausgewiesene Kennerin der Autorin seit den 1980er-Jahren auch zahlreiche weitere Bücher über sie geschrieben hat. Freilich endet ihre besonders für Schüler und Studierende interessante kleine Einführung in Leben, Werk und Wirkung Wolfs aus dem Jahr 2007 bei Ein Tag im Jahr (2001), während Wolf selbst bis zu ihrem Tod im Jahr 2011 unermüdlich weitergeschrieben hat. Außerdem hat Christa Wolfs Mann Gerhard seither für weitere Veröffentlichungen gesorgt, sodass die Auseinandersetzung mit ihr stetig neue Impulse erhält.

Die Lücke in Bezug auf die neueren Werkinterpretationen schließt nun eine kleine Einführung im Marburger Tectum Verlag im Rahmen seiner Reihe „Literatur kompakt“. Diese will sich an den „Bedürfnissen der Studierenden literaturwissenschaftlicher und germanistischer Studiengänge“ orientieren und sich „zugleich an Schüler der gymnasialen Oberstufe und interessierte Leser“ richten. Den veränderten Lern- und Rezeptionsgewohnheiten folgend sei Optik, Layout und Visualisierung ein besonderer Stellenwert eingeräumt worden: Im handlich-quadratischen Format präsentiert sich die Reihe mit zahlreichen Bildern, Tabellen und Karten. Und im Band 11, der sich Christa Wolf widmet, mit einem Wordle zu Beginn. Die Wortwolke ist sicherlich eine schöne Idee, ebenso wie die Weltkarte mit den Ortseinträgen, die für Christa Wolfs Leben und Werk wichtig sind, oder der doppelseitige Zeitstrahl mit zentralen Einträgen zu Leben und Werk. Hier bietet die Visualisierung eine gute Orientierung und Gesamtübersicht für die Zielgruppe. Doch ist das Verhältnis von Form und Inhalt nicht immer stimmig. Die breiten Randspalten lockern zwar das Layout auf, allerdings stellt sich die Frage, ob ein hochformatiges Bändchen mit etwas größerer Schrift nicht am Ende leserfreundlicher gewesen wäre. Ebenso fällt die Zeittafel zum biografischen Überblick sehr ausführlich aus, die Relevanz von Einträgen wie „Reise nach Krakau und Gdansk mit Günter Grass“ ist jedoch für die späteren Ausführungen zu den Werken schlicht nicht gegeben. Hier wiederum hätte man sich mitunter mehr Platz für Einordnung und Hintergrundinformationen in den Kapiteln selbst gewünscht.

Mit Georg-Michael Schulz, der bis zu seiner Emeritierung eine Professur an der Universität Kassel innehatte, widmet sich für die kleine Einführung ein erfahrener Literaturwissenschaftler dem Leben und Werk der Autorin. Allerdings auch ein Germanist, der sich nicht gerade als Wolf-Spezialist einen Namen gemacht hat. Schulzʼ Einführung in Wolfs Werk kann als solide bezeichnet werden, wenngleich die Aufteilung der Kapitel oder auch Handlungsnacherzählungen (wie zum Beispiel bei Kassandra) es jungen Leserinnen und Lesern ohne entsprechende Vorkenntnisse nicht immer ganz leicht machen dürfte, alle Zusammenhänge zu erfassen. Es erfolgen auch immer wieder Rückverweise auf frühere Ausführungen („die oben erwähnte selbstkritische Bewertung ihrer Moskauer Novelle“), für die letztlich besser die Randspalte genutzt worden wäre (dann gleich mit konkreten Seitenverweisen).

Die Problematik der Aufteilung von Wolfs umfangreichem Werk in frühe Texte (Auseinandersetzung mit der Vergangenheit), Gegenwarts-Texte (Leben in der DDR), Gender-Thematik sowie autobiografische Texte ist Schulz selbst bewusst. Er schreibt: „Christa Wolfs Texte sind im Zeitraum von einem halben Jahrhundert entstanden und in thematischer Hinsicht ausgesprochen vielseitig. Das erschwert es natürlich, die zahlreichen Texte in sinnvollen Gruppen zusammenzustellen“. Letztendlich entschied sich der Germanist dann für eine Ordnung der Texte in Kapiteln beziehungsweise Gruppen, „teils nach chronologischen, teils nach thematischen Kriterien“. Eine solche Entscheidung ist nachvollziehbar, die Umsetzung jedoch erscheint diskussionswürdig, wenn beispielsweise Juninachmittag (erschienen 1967) unvermittelt als „früher Text“ unter dem thematischen Titel „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ zwischen Der geteilte Himmel (1963) und Kindheitsmuster (1976) rutscht und Schulz dann wenig überraschend feststellen muss, dass diese kleine Alltags-Erzählung – für Schulz eine „Aneinanderreihung von mehr oder minder Belanglosem“ – sich in keiner Weise mit der Vergangenheit auseinandersetzt, sondern in der Rezeption oftmals in Zusammenhang mit dem „,eigentlichen[n]‘ Beginn modernen Erzählens in der DDR“ gebracht wird.

Die inhaltlich möglichst voraussetzungslose Annäherung an die Einzelwerke, die für die Zielgruppe entscheidend ist, erfordert eine Erläuterung der Hintergründe, Themen und Werkaspekte von der Abgrenzung zur sozialistischen Literaturdoktrin über die Auseinandersetzung Wolfs mit der Frauen- und Friedensforschung bis hin zur Funktion von Literatur als Ersatzöffentlichkeit in der DDR. Schulz bietet hier eine überwiegend zuverlässige erste Einführung in Werk und Wirkung der Autorin. Allerdings keine, die die Einführungen von Sonja Hilzinger zu ersetzen vermag.

Titelbild

Georg-Michael Schulz: Literatur Kompakt: Christa Wolf.
Herausgegeben von Gunter E. Grimm.
Tectum Verlag, Marburg 2016.
216 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783828837584

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