Alles ist möglich

Sinclair Lewis beschrieb 1935 die Machtergreifung durch ein populistisches Regime in den USA; die Blaupause dazu lieferten ihm Mussolini und Hitler

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bislang ist alles noch halb so schlimm: Donald Trump mag das große Wort führen und vielleicht sogar peinlich sein, aber einen Putsch hat er erst gar nicht versucht. Die ersten Monate seiner Präsidentschaft scheinen stattdessen zu bestätigen, dass das System von Checks and Balances, auf das die US-Amerikaner so stolz sind, funktioniert. Und das, obwohl es nicht nur Garant eines einigermaßen stabilen politischen Systems ist, sondern auch als Ausdruck jenes Establishments gilt, das von großen Teilen der Wählerschaft Trumps offenbar verachtet wird. Immerhin scheint es auch dem starken Mann Trump Grenzen zu setzen. Was der Hoffnung Raum gibt, dass auch diese Jahre schadlos an uns vorübergehen.

Für die USA in Sinclair Lewisʼ Roman Das ist bei uns nicht möglich, der in den Jahren 1936 und folgende spielt, sieht die Lage allerdings nicht so gut aus: Aus dem Großmaul Buzz Windrip wird binnen weniger Wochen ein unangreifbarer Diktator, der die gesamten USA in eine Schreckensherrschaft verwandelt. Mithilfe seiner Privatarmee, seiner Minuten-Männer, hebelt er das gesamte politische System aus und besetzt es durch seine Gefolgsleute. Aus dieser merkwürdigen und doch so großartigen Demokratie wird ein Unterdrückungsstaat mit faschistischem Antlitz.

Die Opposition wird ausgeschaltet und mundtot gemacht – mit Gewalt, mit Einschüchterung, mit Erpressung. Wer nicht mitmacht oder wenigstens schweigt, wandert in neu eingerichtete Konzentrationslager, in denen die Gefangenen der Willkür ihrer Wärter ausgesetzt sind. Eine freie Presse gibt es nicht mehr, die Gewaltenteilung ist ausgesetzt, das Volk regiert durch Buzz Windrip, und wie das so ist mit dem spontanen Ausdruck des Volkswillens, ist der nicht mehr angreifbar.

Dabei ist Buzz Windrip eine peinliche Gestalt, ein berufsmäßiger Durchschnittsmensch: Er ist „platt, ungebildet, ein oftmals überführter Lügner, seine Weltanschauung nahezu idiotisch, während seine berühmte Frömmigkeit die eines Reisenden in religiösen Artikeln und sein noch berühmterer Humor der schlaue Zynismus eines Dorfkrämers“ ist. Wer würde so jemanden wählen? Niemand! Weder hier noch in den USA. Das, was in Deutschland 1933 und Italien 1922 geschehen ist, ist in den USA nicht möglich – was zwar von einer Reihe von Figuren des Romans im Brustton der Überzeugung geäußert wird, aber leider falsch ist.

Buzz Windrip gewinnt die Wahl 1936 und erlässt sogleich ein Ermächtigungsgesetz, mit dem er sich selbst die absolute Macht zusprechen lässt. Die widerspenstigen Kongressmitglieder lässt er einfach inhaftieren, die Mitglieder des Obersten Gerichtshof stellt er unter Hausarrest. Seine Minuten-Männer besetzen die Schlüsselpositionen im System, und noch bevor es irgendeinen Widerstand gegen das geben kann, was der neue „Chef“ (wie er sich nennen lässt) durchsetzt, ist er schon niedergeschlagen. Was an Opposition noch bleibt, flieht.

Verblüffend an Lewisʼ Roman ist nicht nur, welche Parallelen er zu den historischen Vorbildern, sondern auch zu den populistischen Revolten der Gegenwart aufweist: die angeblichen Interessen des kleinen Mannes, die vertreten werden sollen, der Widerwille gegen das politische System, gegen Politik und Medien, die Skrupellosigkeit beim Umgang mit der Wahrheit (Stichwort „Fake News“), der Sexismus dieser Parteien (Frauen zurück an den Herd, Männer ab in den Krieg), ihr Rassismus (Schwarze zurück in die Sklaverei, wohin sie gehören), ihre Beschwörung einer nie dagewesenen idyllischen Vergangenheit, ihr Fremdenhass und ihr geschichtsblinder Nationalismus. Vieles von dem ist in der jüngeren Zeit wiedergekehrt. Sogar der Antisemitismus dieser neuen Rechten ziert das System Buzz Windrips.

Auch er hat einen scharfen intellektuellen Kopf als Berater, der in Windrips Fall Lee Sarason heißt und nicht Steve Bannon. Zudem stützt er sich auf eine merkwürdige „Liga der vergessenen Männer“, die nicht zuletzt an jene guten alten Männer erinnert, die noch ihren Kopf in den alten Industrien hingehalten haben und heute von den Nerds abgelöst worden sind.

Freilich wäre es angenehm, wenn damit die Parallelen aufhören würden, denn die Geschichte, die Sinclair Lewis erzählt, verspricht wenig Gutes. Das System Buzz Windrip überlebt seinen Erfinder ebenso wie ihren intellektuellen Kopf. Es überlebt auch die Widerstandsbewegung, die sich nach und nach formiert. Sogar das Abschlachten seiner eigenen Gefolgsleute überlebt es. Alles, was die Figur, die im Zentrum dieses Romans steht, ein Provinzjournalist namens Doremus Jessup, gegen den Faschismus in den USA aufbringen kann, ist die Wahrheit, die von einer freien Presse verbreitet werden kann. Aber von einer solchen Wahrheit ist nicht viel zu erwarten unter solchen Bedingungen. Hoffnung vielleicht? Die tröstet wenig. Der Roman endet immerhin unentschieden, weder mit dem Untergang des Regimes noch mit dem des Widerstands. Viel mehr kann man kaum erwarten, wenn es denn nicht kitschig werden soll.

Sinclair Lewis publizierte diesen Roman im amerikanischen Original bereits 1935 – eine bittere Zeitsatire, deren Aktualität offensichtlich war und von seinen Zeitgenossen auch angemessen wahrgenommen wurde. Jan Brandt spricht im Nachwort von einer Auflage von 320.000  Exemplaren, die der Roman in wenigen Jahren erreicht habe.1936 erschien die deutsche Übersetzung im Exil-Verlag Querido, der in Amsterdam residierte. Der Aufbau Verlag hat nun diese Fassung, die von Hans Meisel übersetzt wurde, wieder aufgenommen und neu gedruckt, nicht ohne darauf zu verweisen, dass Meisel ein idealer Übersetzer gewesen sei. Hatte er doch 1927 für seinen Roman Torstenson. Entstehung einer Diktatur den Kleist-Preis erhalten, mithin für einen Roman, der ein ähnliches Thema aufgewiesen habe. Auch wenn Meisels Roman mit Lewisʼ bitterer Satire wenig zu tun hat (in dem Text geht es um eine Militärdiktatur, die aufgrund der deutsch-lettischen Konflikte in Lettland an die Macht kommt), ist dem Verlag doch für die Entscheidung zu danken, dass er auf diese Übersetzung zurückgegriffen hat. Sie verleiht Sinclair Lewisʼ unheimlichem Roman eines unscheinbaren Faschismus ihren besonderen historischen Sound, der bei einer neuen Übersetzung wohl verloren gegangen wäre. Manchmal ist ein bisschen Patina ganz hilfreich.

Und das ist zu würdigen. Zweifelsohne ist dieser Roman nicht die stärkste, aber vielleicht die wichtigste Arbeit des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers. Lewis griff dabei neben eigenen Studien auf Informationen seiner damaligen Frau Dorothy Thompson zurück, die zeitweise in Deutschland gearbeitet hatte. Der Roman warnte davor, dass selbst eine sich als gefestigt sehende Demokratie wie die USA vor einer faschistischen Machtübernahme nicht gefeit war. Historisch gesehen spricht viel dafür, dass es guten Grund dafür gab. Aber diese Warnung ist angesichts der Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa und einem Präsidenten Trump in den USA zugleich von größter Aktualität. Gerade weil der Roman wenig Hoffnung macht, dass sich eine solche Diktatur, wenn sie einmal durchgesetzt ist, schnell wieder verabschieden würde.

Titelbild

Sinclair Lewis: Das ist bei uns nicht möglich. Roman.
Mit einem Nachwort von Jan Brandt.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans Meisel.
Aufbau Verlag, Berlin 2017.
442 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783351036966

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