Du bist ein richtiger Mensch

Zum 50. Todestag des Schriftstellers Oskar Maria Graf

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

„Ja, glauben sie vielleicht, ich höre mir ihren Quatsch stundenlang kostenlos an.“ Hemdsärmelig und burschikos, mutig und geradlinig wies der Schriftsteller Oskar Maria Graf nach einigen Maß Bier und einer deftigen Portion Schmalznudeln in einem Münchener Wirtshaus Ende der 1920er Jahre bei einem Treffen den späteren „Führer“ Adolf Hitler in die Schranken. Hitler hatte schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, den urbayerischen Schriftsteller Oskar Maria Graf wegen seiner Volksnähe zu vereinnahmen versucht und holte sich eine kräftige Abfuhr.

Der gelernte Bäcker, der am 22. Juli 1894 geboren wurde und mit 17 Jahren den elterlichen Betrieb und das kleine Dorf Berg am Starnberger See verließ, der 1914 eine Geisteskrankheit vortäuschte, um für den Ersten Weltkrieg ausgemustert zu werden, wurde von den Nationalsozialisten (gegen seinen Willen) lange Zeit protegiert. Seine Bodenständigkeit und seine literarische Nähe zum Bauerntum und zum arbeitenden Volk schien dem NS-Regime gut in die „Blut-und-Boden-Ideologie“ zu passen.

Empört reagierte Oskar Maria Graf im Mai 1933, als seine Bücher nicht auf dem Scheiterhaufen landeten, sondern Goebbels‘ „weiße Liste“ zierten. „Das habe ich nicht verdient. Verbrennt mich!“, forderte Graf in der Wiener „Arbeiterzeitung“. Von Wien, wo er sich zu einer Lesereise aufhielt, kehrte er nicht wieder nach Deutschland zurück – und sein lebenslanges Exil begann. Über Brünn und Holland emigrierte Graf mit seiner jüdischen Frau Mirjam 1938 in die USA. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits einige seiner bekanntesten Werke vor: sein autobiographisches Werk „Wir sind Gefangene“ (1927), in dem er den Untergang der Weimarer Republik geradezu hellsichtig prophezeite, das Kleinbürgerportrait „Die Ehe des Herrn Bolwieser“ (1931), seine literarische Abrechnung mit den Sozialdemokraten im Roman „Der Abgrund“ (1936) und sein vielleicht bis heute gelungenstes Werk: der Roman „Anton Sittinger“ (1937). Darin wird anhand eines Postinspektors („Mei Ruah will i ham“) ein literarisches Paradigma für einen unpolitischen Opportunisten gezeichnet.

Derb und kantig sind alle Werke des Ur-Bayern, der seine Herkunft auch im Exil nie verleugnen wollte. Graf hat stets dem Volk auf den Mund geschaut, allen ästhetischen Konventionen zum Trotz. Aus diesem Grund hat er auch nie eine besonders große Affinität zu seinen großbürgerlichen Exilgenossen Thomas Mann und Lion Feuchtwanger verspürt, deren Werke er als Produkte einer „elitären Geistigkeit“ geißelte.

Erst dreizehn Jahre nach Kriegsende erhielt Graf die angestrebte US-Staatsbürgerschaft und besuchte 1958 eine Tagung des deutschen PEN-Clubs. In Lederhosen und Trachtenjanker gekleidet, erschien er so in der Heimat, wie er sie ein Vierteljahrhundert zuvor verlassen hatte. Zwar gab es danach ernsthafte Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland, aber „der latent aufkommende Antisemitismus und das wiedererwachte, engstirnig provinzielle deutsche „Tüchtigkeits-Protzentum“ hielten ihn ab. Graf blieb auch fern der Heimat ein politisch unbequemer Zeitgenosse. In seinen beiden autobiographischen Spätwerken „Die Flucht ins Mittelmäßige“ und „Gelächter von außen“ prangert er den in der Bundesrepublik sich breitmachenden „Hang zum Überdecken und Vergessen“ an.

So starb Oskar Maria Graf, der Autor von 11 Romanen, 14 Erzählungen, 3 Gedichtbänden und 8 Teil-Autobiographien, von der deutschen Öffentlichkeit fast unbeachtet am 28. Juni 1967 in New York.

Ein Jahr nach seinem Tod wurde seine Urne auf dem Münchener Friedhof in Bogenhausen beigesetzt. Weitere zwanzig Jahre später wurde nach heftigen kommunalpolitischen Diskussionen am 2. August 1988 an seinem langjährigen Wohnhaus an der Münchener Barerstraße 37 eine Gedenktafel eingeweiht. Das war die Rückkehr auf Raten eines Autors, der seine bayerische Heimat – trotz heftiger gegenteiliger Beteuerungen – über alle Maßen geliebt hat, aber lange Zeit auf wenig Gegenliebe stieß. Noch in den 1980er ließ es sich nach heftigen Anwohnerprotesten in seiner Heimatgemeinde Berg nicht durchsetzen, eine Straße nach ihm zu benennen. Erst zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 1994 errichtete die Gemeinde ihrem berühmtesten Sohn ein Denkmal.

Provinzschriftsteller, mutiger Antifaschist, Heimatdichter, sozialistischer Träumer, Nachfahre des literarischen Realismus des 19. Jahrhunderts: von all dem ist Oskar Maria Graf sicher etwas gewesen. Doch am treffendsten charakterisierte ihn der russische Dichter Tretjakow in einem Brief: „Du bist ein richtiger Mensch.“