Auf der Skala der Gefühle von A und Z

Ein gespaltener Blick in Dorothy Parkers neu herausgegebenen Gedichtband „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dorothy Parker gilt als eine der herausragenden US-amerikanischen Schriftstellerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie war Literatur- und Theaterkritikerin, Drehbuchautorin in Hollywood und feministische Lyrikerin, die sich in ihrem Werk mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Fragen und dezidiert politischen Themen auseinandersetzte. Als damals einzige weibliche Theaterkritikerin New Yorks und einzige Frau innerhalb des literarischen Zirkels im Algonquin Hotel, berühmt als der legendäre „Round Table“, machte sie sich einen Namen und war bald weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für ihre scharfe Zunge, die vor beißendem Sarkasmus triefte. Ein bekanntes Beispiel ist ihre Theaterkritik in der „Vanity Fair“: „Katherine Hepburn beherrscht die ganze Skala der Gefühle von A bis B“, schreibt die humorvolle Schriftstellerin dort. Sie selbst wird bis heute als Lyrikerin gefeiert, welche die Skala der Gefühle, Themen und Bezüge von A bis Z vorwärts, rückwärts und spiegelverkehrt für ihre schriftstellerische Tätigkeit nutzte. Der neu herausgegebene Gedichtband stellt die Lesenden nun vor die Frage, ob dem wirklich so war.

Parkers Gedichte sind kurz und pointiert, halten sich an einen klaren formalen Rahmen in Metrum und Reim und verzichten auf alles, was man zu ihrer Zeit als avantgardistisch bezeichnet hätte. So schreibt Maria Hummitzsch im Nachwort: „Montagetechnik, imagistischen Bildgebrauch und gestylte Unpersönlichkeit wird man bei ihr ebenso wenig finden wie harte enjambements oder extreme Bilder.“ Auch freie Verse fehlen. Das ist doch seltsam und niemand gibt es zu: Wie konnte eine Frau, die als so extrem galt, sich in Roundels und Rondeaus wohlfühlen und bei aller Rundheit doch so sehr anecken, Feministin sein und trotzdem gut mit Ernest Hemingway auskommen, rebellisch bleiben und irgendwie doch in den Markt hineinpassen? Richtig ist: Der überraschende Witz funktioniert oft erst im Rahmen einer wenig überraschenden Form, „komische Gedichte müssen schnörkellos auf ihren Höhepunkt zusteuern, sie brauchen saubere Reime“, meint Hummitzsch, die im Nachwort die Zugänglichkeit und Verspieltheit Parkers lobt. Natürlich haut Parker so einiges raus, was in ihrem Umfeld weder einfach zu verteidigen noch von allen Seiten erwünscht war. Doch wer auf den über 300 Seiten des Gedichtbandes lyrischen Tiefsinn finden möchte, ist hier möglicherweise falsch – not so deep as well. Ein Beispiel für diese Zwiespältigkeit in Parkers Schaffen ist das Gedicht “Reuben’s Children”:

Accursed from their birth they be
Who seek to find monogamy,
Pursuing it from bed to bed –
I think they would be better dead.

Schon klar, hier macht sich jemand über das so oft verfehlte Konzept von Monogamie, das sich als nie erreichte Sehnsucht durch die Leben ihrer Mitmenschen zieht und ironischerweise am ständigen Partnerwechsel bei der Suche bricht, lustig. Also wären sie besser tot? Die Konklusion ist nicht ganz schlüssig, aber das ist vielleicht noch egal, denn Lyrik ist nicht Logik. Der ein oder andere muss also schmunzeln. Doch dann? Es handelt sich nicht unbedingt um Gedichte, die man sich mehrmals durchliest, um sie immer wieder anders zu lesen – den gleichen Witz erzählt man schließlich auch nicht dreimal in der Woche –, und rein formal sind sie selten überraschend. Man merkt immerhin, dass Parker Spaß beim Schreiben hatte, und bekommt sogar, weil der Ansatz weder elitär noch avantgardistisch ist, selbst Lust, auf diese scheinbar unbefangene Weise ein wenig über Liebe und Selbstmord zu reimen. Das ist schrecklich. Nach dem zehnten Gedicht, in dem das Bild des gebrochenen Herzens bedient wird oder die Liebschaften mit Männern relativiert und verschiedene Männertypen ins Lächerliche gezogen werden, fragt man sich zaghaft nach dem Grund für den literarischen Stellenwert, der Parkers Lyrik bis heute zukommt, findet die Antwort jedoch immer wieder in den historischen Umständen, den formalen Eleganz der Gedichte und der Wendigkeit ihrer Sprache.

Allzu hart sollte man mit den Gedichten also nicht ins Gericht gehen – nicht immer ist ein Ansatz, der alles umstürzen und sich als hochgradig innovativ und besonders ausgeklügelt inszenieren will, der beste. Parkers Lyrik zeichnet sich in der Tat durch eine elegante formale Bescheidenheit aus und ihre Sprache ist plastisch und klar. Die Qualität ihrer Gedichte ist dennoch in keinem Falle vergleichbar mit der Schärfe ihrer Kritiken sowie der thematischen Vielfältigkeit ihrer Theaterstücke. Dass Parker in ihren Gedichten ihr handwerkliches lyrisches Können mit Verständlichkeit und „großstädtischer Schnoddrigkeit“ und ihre Sehnsucht nach Liebe mit „modernem Zynismus“ paart und damit ironische Brüche erzeugt, stimmt zwar, lenkt allerdings nicht davon ab, dass man sich auf Dauer ein wenig mit ihr langweilen könnte. Sie war eine Frau und suchte sich ihren Platz in einem Feld, das – wie nahezu alle Felder – männerdominiert war. Sie jedoch in ihrem speziellen, frechen Widerstand als feministische Lyrikerin zu bezeichnen, wäre etwas voreilig, denn die Umkehrung von Geschlechterrollen und einem gewissen ironischen, neckischen Habitus gegenüber dem anderen Geschlecht macht nicht unbedingt eine feministisch-egalitäre Haltung aus – es zeugt aber immerhin von der Stärke und dem Mut, den Parker auch in ihrem alltäglichen und politischen Handeln in mehreren Initiativen und aktivistischen Tätigkeiten bei ihrer Unterstützung von Minderheiten verwirklichte. Parker selbst hatte unter dem Ruf, stets humorvoll zu sein, zu leiden und musste zuweilen für ihr Bild als ernstzunehmende, modernistische Schriftstellerin kämpfen, neben einigen Lebenskrisen, die sie verarbeiten musste.

Eine beeindruckende Leistung in mehrfacher Hinsicht ist Ulrich Blumenbachs Übersetzung. Er behält Stimmung, Witz und Wendung bei, obwohl seine deutschen Verse inhaltlich oft stark von Parkers englischem Original abweichen. Manchmal finden sich wiederum extreme Umdeutungen, die notwendig sind, damit Reim und Metrum stimmen, aber trotz ihrer Verschiedenheit vom Original einen eigenen Charme besitzen – der zugegebenermaßen in diesem Fall nicht an den knappen, kecken und frischen Charme der englischen Sprache, wie sie bei Parker ihre Verwendung findet, heranreicht, aber dafür eigene Wortspiele entfaltet, die wiederum im Englischen nicht funktioniert hätten.

Es gibt und gab stets viele witzige und schlagfertige Menschen, die in wenigen Sätzen alle zum Lachen und Weinen zugleich bringen können. Parker war einer davon – und das ist, zu ihrem Glück, gut dokumentiert. Doch die Skala der Gefühle ist hier praktisch nicht vorhanden: Es gibt A und Z und sonst nichts, denn vorsichtige Zwischentöne, feingliedrige implizite Gesellschaftsanalysen und philosophische Ambitionen kennt Parkers Lyrik nicht. Der Kauf des Bands, im Übrigen elegant gestaltet und versehen mit ausführlichen und spannenden biografischen Daten zur Autorin, lohnt sich dennoch für diejenigen, die an dieser schillernden und provokanten Figur der US-amerikanischen Literaturgeschichte interessiert sind. Ein Dutzend davon zu bestellen und überall zu verschenken – wie dies einst Francis Wyndham getan hat –, wäre jedoch eine etwas zu überschwängliche Geste.

Titelbild

Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Gedichte.
Mit einem Nachwort von Maria Hummitzsch.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach.
Dörlemann Verlag, Zürich 2017.
400 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200444

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch