Eine neue Sicht auf das Geschäft mit der Sünde

Eine Darstellung des mittelalterlichen Ablasswesens von Christiane Laudage

Von Bernadette BurchardRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernadette Burchard

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz vor dem Reformationsjubiläum kommt das Buch von Christiane Laudage zum Ablass und Ablasswesen im Mittelalter genau zum richtigen Zeitpunkt, um einige langlebige Vorurteile über das Ablasswesen neu zu hinterfragen. Dass dem Ablass allgemein ein eher schlechter Ruf anhängt, liegt vor allem an Martin Luthers durchaus berechtigter Kritik an dem Ablassprediger Johann Tetzel. Dieser prägte den bekannten Satz: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.“, der heute für Viele als Zusammenfassung des Ablasswesens schlechthin gilt. An dieser Stelle holt die Autorin ihren Leser mit dem etwas plakativen Titel „Das Geschäft mit der Sünde“ ab, um ihn dann in drei Schritten zu einem tieferen Verständnis, sowohl der gesellschaftlichen und ökonomischen Funktionen des Ablasswesens, als auch der mittelalterlichen Frömmigkeit zu führen. Hierfür beginnt sie sinnvollerweise bei der Entstehung des Ablasses aus der hochmittelalterlichen Bußpraxis. Dabei erfasst sie die Ursprünge nicht nur theologisch, sondern auch geographisch und zeigt wie aus einem Randphänomen eine für die ganze lateinische Christenheit gängige Praxis wurde. War der Ablass zunächst ein seltenes und außergewöhnliches Mittel des Gnadenerweises, entwickelte es sich immer mehr zur Regel, so dass im Spätmittelalter Ablässe für die verschiedensten Frömmigkeitsleistungen vergeben wurden und auch die Menge der ausgegebenen Gnaden stetig anstieg. Einen Endpunkt dieser Entwicklung stellten sicherlich die vom Papst vergebenen Plenarablässe dar, die einen vollständigen Erlass aller Bußstrafen darstellten und erstmals mit den Kreuzzügen in den Nahen Osten vergeben wurden sowie die Möglichkeit auch für bereits Verstorbene nachträglich einen Ablass zu erwerben, um deren Zeit im Fegefeuer zu verkürzen.

Es gelingt der Autorin den äußerst wichtigen Unterschied zwischen Theorie und Praxis bei der Ablassvergabe deutlich zu machen. Ein Charakteristikum des Ablasswesens ist es, dass die theoretisch-theologische Durchdringung der eher praxisorientierten Ablassvergabe hinterherhinkte. So wurde die Lehre vom Kirchenschatz als die Summe der von Christus und allen Heiligen erworbenen Gnaden, aus dem die Kirche bei der Vergabe der Ablässe schöpfen konnte, erst im 13. Jahrhundert entwickelt und erst 1343 durch die Bulle Unigenitus Dei filius zur verbindlichen Lehre der Kirche. Anschaulich werden die verschiedenen Arten und Weisen der Ablassvermittlung beschrieben, sei es durch aufwendige Inszenierungen innerhalb und außerhalb der Kirchen oder den Einsatz von neuen Medien wie der Druckerpresse. Als besonders interessant – weil eine neue Perspektive entwickelnd – erweist sich der Abschnitt über die ökonomischen Funktionsweisen des Ablasswesens. Als eine mittelalterliche Variante der „Schwarmfinanzierung“ wurde das durch die Ablässe gewonnene Geld für den Bau von Kirchen und den Unterhalt von Hospitälern eingesetzt, war aber auch entscheidend für den Ausbau und Erhalt der Infrastruktur und als Katastrophenhilfe. Als politisches Mittel wurden Ablässe benutzt, um etwa die Verbreitung von Orden oder den Kult gewisser Heiliger zu fördern. Selbst weltliche Herrscher bemühten sich um Ablässe, damit sie als Vermittler des Heils ihre Untertanen an sich binden und gleichzeitig ihr Amt sakralisieren konnten.

Diese wenigen Ausschnitte zeigen bereits, was dem Leser bei der Lektüre schnell klar wird, nämlich, dass sich das Ablasswesen keineswegs auf die einfache Formel „Geld für Gnade“ verkürzen lässt, sondern, dass es sich bei dem Ablasswesen um ein komplexes, sich mal langsam, mal sprunghaft entwickelndes Phänomen der mittelalterlichen Gesellschaft handelte, dessen Motor das Bedürfnis der Menschen nach Jenseitsvorsorge war. Dabei lag die Attraktivität des Ablasswesens unter anderem darin begründet, dass es die Gnade zählbar und somit fassbar machte. Die Ablassidee ist eine Erfolgsgeschichte. Bis zum 15. Jahrhundert wurden Ablässe mit fast allen Frömmigkeitsübungen des Christentums verknüpft. Dabei fungierte das Ablasswesen keineswegs bloß als Instrument der finanziellen Ausbeute, sondern erwies sich in vielen Bereichen als Katalysator für Innovationen, zu denen nicht zuletzt (wenn auch unbeabsichtigt) die Reformation zu zählen ist.

Die vielleicht größte Leistung des Buches ist es, dass die Autorin es vermag, dieses komplexe und vielschichtige Phänomen klar und verständlich darzulegen, so dass es sowohl dem Fachpublikum, als auch dem interessierten Laien Freude bereitet. Die Entscheidung für End- anstatt Fußnoten erleichtert dabei den Lesefluss und ermöglicht dem Leser – zusammen mit dem Anhang, der aus einem Namens- und einem Register der wichtigsten kirchlichen Dokumente besteht – eigenständig weiter zu forschen. Alles in allem handelt es sich um eine sehr gelungene Darstellung des Ablasswesens, die trotz der Komplexität des Themas kurzweilig zu lesen ist und dem geneigten Leser hiermit ans Herz gelegt sei.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Christiane Laudage: Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter.
Herder Verlag, Freiburg 2016.
351 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783451315985

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