Der bessere Knausgård?

Zeitgleich erscheint der Abschluss von Karl-Ove Knausgårds „Min Kamp“-Reihe und Tomas Espedals „Biografie – Tagebuch – Briefe“

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der norwegische Schriftsteller Karl-Ove Knausgård ist ein Weltstar; einer der wenigen, welche die Literatur derzeit zu bieten hat. Nach seiner Lesung in Frankfurt am Main im Mai stürmten die Zuschauer nach deren Ende aus dem vollbesetzten Saal des „Schauspiels“, um sich in die scheinbar endlose Schlange der auf ein Autogramm wartenden einzureihen. „Kein Gespräch, keine persönliche Widmung!“, hatte der Moderator ihnen noch auf den Weg gegeben. Nicht etwa, weil der Autor zu arrogant sei, sondern, weil man dafür schlichtweg keine Zeit habe. Die das gesamte Foyer ausfüllende Warteschlange gab ihm Recht.

Und das alles nur wegen eines Autors, dessen jüngstes in Deutschland erschienenes Werk über 1200 Seiten umfasst, der sechste Teil einer autobiographischen Reihe ist (deren Bände immer dicker wurden) und dazu noch einen 500-seitigen essayistischen Exkurs über Adolf Hitler enthält, der recht unverhofft in den Text platzt und durch den man sich erst durchquälen muss, damit man erfahren kann, wie die Geschichte um die psychische Erkrankung von Knausgårds Ehefrau weiterging? Eine Frau übrigens, die sich nach vielen Jahren Ehe und vier Kindern von ihm getrennt hat, laut einigen Journalisten als Spätfolge des Buches, das schließlich bereits vor sechs Jahren in Norwegen erschienen ist. Der Verlag greift diese Steilvorlage jedenfalls sicher gerne auf, um die Nähe von Knausgårds Text zum wahren Leben nochmal zu unterstreichen.

Nun ist schon viel geschrieben worden über die vorangegangenen fünf Bände, ohne jedoch die Frage befriedigend zu beantworten, was nun die Menschen an dem im Großen und Ganzen recht banalen Leben dieses Durchschnittsnordeuropäers so reizt, dass sie ihn, wie erwähnt, zum globalen Superstar (und sehr reichen Mann) machen. Ist es Voyeurismus, Identifikationsdrang, der Kick der Normalität? Der eine identifiziert sich mit der ewigen Gereiztheit dank der quengelnden Kinder, der Abgrenzung von lächerlichen Supereltern, denen man im Kindergarten leider täglich ausgesetzt ist. Auch der jugendliche Knausgård aus Band Vier (man sollte sich den Titeln der deutschen Übersetzungen verweigern, daher geschieht dies hier auch), der endlich einmal Sex haben will und coole Indie-Musik als Distinktionsmerkmal wie ein Schutzschild vor sich herträgt, sind vielen von uns wohlbekannt. Andere fühlen sich durch das schwierige Verhältnis zum Vater oder zur Ehefrau an ihre eigenen Erlebnisse erinnert. Und gerade, weil die Bände so lang und ausführlich und scheinbar banal sind, tauchen wir ein in die Welt dieses Karl-Ove Knausgård und sehen sie immer mehr als ein Spiegel unseres eigenen Daseins. Die künstlerische Verdichtung (die viel zu selten in Kritiken erwähnt wird) ist klug eingesetzt, so wähnen wir uns der Hauptfigur stets näher, als wir ihr wirklich kommen.

Dass die Bände allerdings eine „große Erzählung“ bilden, oder auch ein großes Ganzes, entspricht jedoch nicht der Wahrheit; zu verschieden sind sie doch: Band Eins ist eine extrem verdichtete Beschreibung seines Verhältnisses zu seinem Vater und der Tage nach dessen Tod; es ist fast ein konventioneller Roman. Band Zwei, der die Beziehung zu seiner Frau behandelt, ist ein wenig langweilig, weil viele der Alltagsdetails dann doch nicht so interessant sind, wie vermutet. Band Drei allerdings ist ein Meisterwerk; er behandelt die Kindheit Knausgårds, das Verhältnis zu seinem Vater, stets beobachtet durch die Augen eines Mannes, der nun selbst Vater geworden ist. Band Vier steht in der Tradition der Coming-Of-Age-Novel á la The Catcher In The Rye, auch der deutsche Schriftsteller Wolfgang Welt blitzt auf, selbst wenn Knausgård dessen Werk vermutlich nicht kannte. Problematisch wird das Projekt nun mit den letzten beiden Bänden. Der Studentenroman, der in Band Fünf steckt, will nicht recht zünden, und auch der vorliegende sechste Band, der neben Adolf Hitler die Zeit rund um die Publikation von Band Eins behandelt, zeigt, dass es nun aber auch mal gut ist mit der autobiographischen Nabelschau. Es gibt immer noch bewegende Szenen, aber insgesamt wirkt das Ganze zu oft wie Knausgård auf Autopilot, und die 500 Seiten Hitler-Exegese braucht im Grunde niemand.

Während alle nun seit Jahren von Knausgård sprechen, bleibt sein Freund und Landsmann Tomas Espedal nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt. Sein Werk erscheint im Matthes & Seitz Verlag (zwei der Bände schafften es immerhin, Suhrkamp Taschenbücher zu werden) und wer glaubt, Knausgårds scheinbar radikale Nabelschau sei extrem, der lese bitte Espedal. Seine – im Gegensatz zum Oeuvre des Freundes – meist dünnen (und nicht selten mit kaum bedruckten Seiten ausgestatteten) Bücher kreisen stets um die wenigen, immer gleichen autobiographischen Ereignisse, die aus verschiedenen Perspektiven anhand unterschiedlicher Gattungsversuche (so beschreibt der Autor sie selbst) beleuchtet werden.

Im Mittelpunkt steht der Tod seiner Lebenspartnerin sowie seiner Mutter, die in kurzem Abstand voneinander starben. Einige Ereignisse aus dem gemeinsamen Leben. Sein Schreiben. Seine Leidenschaft, das „Gehen“ – ein fast verzweifeltes, oft monatelanges Wandern durch verschiedene europäische Länder. Seine beiden Töchter. Und immer wieder die Häuser, in denen er gewohnt und die Zimmer, in denen er geschrieben hat. Espedals Schreiben ist das Umkreisen einer verzweifelten Suche nach einem Sinn seiner Existenz, das Festhalten einiger weniger Momente in der Erinnerung, welche seine narrative Identität bedingen. Espedals Zugang ist radikal, er schont weder sich noch seine Leser. Immer wieder geht er genau dorthin, wo es wehtut, weil er genau weiß, dass er nur so seinen Schmerz lindern und seiner Existenz einen Sinn verleihen kann.

Auf Deutsch erscheinen nun drei seiner älteren Bücher in einem Band, Biografi (1999), Dagbok (2003) und Brev (2005), also Biografie – Tagebuch – Briefe, wie der Verlag das Buch nennt. Der Band folgt der Publikation von Wider die Kunst und Wider die Natur sowie dem aus unerfindlichen Gründen schon wieder vergriffenen Gehen, eigentlich sein bekanntestes Buch, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Im Juli wird zumindest eine englische Übersetzung von Bergeners erscheinen, Espedals Versuch, ein norwegisches Pendant zu Joyces Dubliners zu erschaffen. All diese Bücher sind Meisterwerke, und es steht zu hoffen, dass dieser unterschätzte Autor zumindest einen Bruchteil der Aufmerksamkeit seines Landsmannes Karl Ove Knausgård bekommt. Verdient hat er es allemal.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Tomas Espedal: Biografie, Tagebuch, Briefe.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
352 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783957573674

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Titelbild

Karl Ove Knausgård: Kämpfen. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Paul Berf und Ulrich Sonnenberg.
Luchterhand Literaturverlag, München 2017.
1277 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783630874159

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