Startschüsse der Comicwissenschaft?

Zum Einführungsband „Comics und Graphic Novels“, herausgegeben von Julia Abel und Christian Klein

Von Markus EngelnsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Engelns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ausgangsprämissen für den vorliegenden, bei Metzler 2016 veröffentlichten Einführungsband zum Thema „Comics und Graphic Novels“ könnte günstiger nicht sein: Zum einen erstarkt das gesellschaftliche Interesse an Comics zusehends. Zum anderen hat der Comicforscher Ole Frahm 2002 konstatiert, dass eine eigenständige Comicwissenschaft nicht existiere. Der mit mehr als 300 Seiten recht umfangreiche Einführungsband, in dem zahlreiche Expert*innen der Comicforschung zu Wort kommen, tritt zwar nicht den Gegenbeweis an; ganz selbstbewusst demonstriert er aber, was in der Comicforschung seit Frahms Diagnose alles passiert ist.

In drei Großkapiteln geht es um die „Bestimmung und Entwicklung“ von Comics, um Grundlagen der „Analyse und Forschung“ sowie um „Formate und Genres“. Die drei gut ausbalancierten Standbeine sind dabei Wissenserwerb, Begriffsbildung und Hinweise zu verschiedenen Formen von Comics unter Berücksichtigung kultureller Zusammenhänge. Insbesondere die historischen Kapitel, wie auch die Abschnitte zur Produktion bzw. Rezeption und zur (problematischen) Definition von Comics und Graphic Novels (Kapitel 1 bis 3) erarbeiten zunächst eine breit fundierte, dennoch gut lesbare Wissensbasis für den Umgang mit dem Gegenstand. Generell ist der Band maßgeblich dort am besten, wo er die notwendige Eingrenzung und Bestimmung von Fachbegriffen mit einer durchaus ergebnisoffenen Diskussion kombiniert. Zu nennen wären hier etwa die Beiträge zur Produktion und Definition von Comics, weil sie über einfache (und zum Scheitern verurteilte) Bestimmungsversuche hinausgehen und den damit einhergehenden Problemen verschiedene Ansatzmöglichkeiten entgegensetzen. Dieses Wechselspiel aus Definition und Argumentation führt schließlich zu dem Eindruck, dass etwa Studierende diverse Informationen erhalten, die zum Weiterdenken einladen. Dies gilt umso mehr für die gelungenen Darstellungen verschiedener Forschungspositionen (Kapitel 5) und -ressourcen (Kapitel 6).

Das Wechselspiel aus Begriffsbildung und Diskussionsoffenheit kann durchaus aber auch zum Problem werden. Der „Leitfaden zur Comicanalyse“ geht beispielsweise weniger diskutierend vor. Zwar gibt es hier viel über Strukturmerkmale von Comics und deren Identifizierung zu lernen. Allerdings stehen die Analysekriterien und die dazugehörigen Fragestellungen ohne Ankerbeispiele ein wenig verloren im Raum. Die Bestimmung von „Genres und Formaten“ erscheint darüber hinaus methodisch aus zwei Gründen wenig systematisiert: Erstens stehen Genres und Formen hier nebeneinander, obwohl beispielsweise Superheldencomics auch Literaturcomics sein können und vice versa. Eine zumindest in Ansätzen entwickelte Ordnung der aufgeworfenen Phänomene wäre also hilfreich gewesen. Zweitens demonstrieren die einzelnen Abschnitte immer wieder, dass es kaum möglich ist, ihre Gegenstände trennscharf zu bestimmen, auch, weil Genres zumeist populäre Begriffe sind und insofern nur selten einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Dies kann aber auch, wie der Beitrag zum Superheldencomic demonstriert, ein Vorteil sein, denn hier werden die Widrigkeiten bei der Bestimmung des Gegenstandes zu einem Merkmal seiner Definition umgemünzt. Eine solche Diskussionsoffenheit ist durchaus positiv zu bewerten, selbst wenn das erarbeitete Begriffsinstrumentarium im Rahmen der Lektüre selbständig geordnet und problematisiert werden muss ‒ was durchaus ein Hindernis für eine Verwendung im Lehrkontext ist. Dies schmälert den Überblickscharakter des Bandes also ein wenig, gerade auch, weil darin manche einschlägigen Forschungsbeiträge fehlen ‒ beispielhaft genannt sei Juliane Blanks bereits 2015 veröffentlichte Dissertation zu Literaturcomics (eine Rezension dazu wurde auf literaturkritik.de veröffentlicht).

Die Einführung spiegelt somit insgesamt mal bewusst, mal unbewusst die Problemfelder des interdisziplinären Feldes der Comicforschung wider ‒ etwa die Verknüpfung von populären und wissenschaftlichen Begriffen oder Schwierigkeiten bei der Definition und Positionierung. Eben deshalb ist sie sowohl als Rückschau, wie auch als Ausgangspunkt für wissenschaftliche und kritische Auseinandersetzungen mit Comics mehr als geeignet. Ob sie damit zum Startschuss für eine Comicwissenschaft wird, bleibt abzuwarten. Eine gute Grundlage für Lehre und Forschung ist sie in jedem Fall.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Julia Abel / Christian Klein (Hg.): Comics und Graphic Novels. Eine Einführung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016.
328 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783476025531

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