Aufgeklärter Pazifismus und dauerhafter Frieden

Wilfried Hinsch diskutiert in „Die Moral des Krieges“ die dringende Frage nach der Legitimität militärischer Intervention

Von Sebastian EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewalttätige Auseinandersetzungen, Konflikte und Kriege werden fast täglich in den Medien thematisiert. Krisen gibt es überall auf der Welt und nicht selten wird darüber diskutiert, ob eine militärische Intervention legitim ist. Die vorgebrachten Positionen, sei es nun im Privaten am heimischen Küchentisch oder in der Öffentlichkeit der politischen Debatte, sind nur selten reflektiert. Stattdessen bedienen sie sich oft Ressentiments oder haben die Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Position nicht im Blick. Trotzdem erscheint es intuitiv einsichtiger, sich gegen eine Intervention auszusprechen – selten wird dies konsequent, beispielsweise mit einer eigenen Theorie des Pazifismus, begründet.

Der Kölner Philosophieprofessor Wilfried Hinsch macht es sich vor dem Hintergrund der stets auch in moralischen Kategorien geführten Diskussion um kriegerische Intervention zur Aufgabe, eine systematische Ausführung des Problems zu liefern. Hierbei vertritt er selbst die Position einer universalistischen politischen Ethik. Aus dieser heraus nimmt er für sich in Anspruch, einen differenzierten Blick auf das Phänomen des Krieges zu entwickeln, ohne dieses direkt radikal abzulehnen. Dafür wurde bereits ein früheres Buch von ihm stark kritisiert.

Der Anspruch, kriegerische Intervention auf ihre Legitimität hin zu befragen, ohne sie direkt zu verurteilen, mag zunächst verwirren, ist es doch erklärtes Ziel vieler Menschen, Krieg nie wieder zuzulassen. Die Alltagsmoral rebelliert gegen die Vorstellung, Menschen zu töten. Auch regulative Prinzipien wie die Menschenwürde wirken in der mindestens seit Immanuel Kant mit der Idee der individuellen Freiheit eng verflochtenen westlichen Welt als unüberwindbares Argument gegen eine solche Option.

Es mag vor dem Hintergrund dieser Prägung – den eigenen impliziten und expliziten (Vor-)Urteilen – vermessen erscheinen, zunächst dafür offen zu sein, mögliche Fälle zuzulassen, in denen ein Krieg eine begründbare Handlungsoption ist. Ganz nach dem Motto: Es darf nur das gedacht werden, was Konsens ist. Das der Konsens und auch das unpersönliche „man“ der imaginierten Alltagsmoral immer eine problematische Konstruktion sind, hat nicht zuletzt Ferdinand von Schirach mit Terror aufgezeigt – die öffentliche Diskussion und das Wanken der eigenen Moralität waren im Feuilleton und in anderen Medien präsent.

Gerade für solche Gedankenexperimente und schließlich auch für die Entwicklung von möglichen handlungsleitenden Empfehlungen ist aber die Moralphilosophie zuständig. Ein Denken nur aufgrund seiner Offenheit und seiner nicht dem eigenen Ethos entsprechenden Ergebnisse abzuschmettern – wie es die kleine Diskussion um das durchaus differenziert zu betrachtende Buch von Wilfried Hinsch in Teilen prägt, erscheint vor dieser Grundannahme nicht sinnvoll. Dies wäre auch unbequem, schließlich würde die eigene, normalisierte Position als ebenfalls zu begründen ausgewiesen werden. Und das ist schwieriger, als die Position anderer reflexhaft abzuwerten.

Aufbauend auf der Annahme, dass es sich bei Die Moral des Krieges um ein verständliches und zugleich moralphilosophisch anspruchsvolles Werk handeln soll, kann dann auch eine sinnvolle Kritik durchgeführt werden. Absehend vom Widerspruch des Rezensenten zur Position Wilfried Hinschs ist dessen Argumentation schlüssig – eine eingehende Prüfung aller Argumente würde aber sicherlich auch noch Spannungen zutage fördern. Gerade die skizzenhafte Rekonstruktion der philosophischen Gedankengänge verwischt möglicherweise vorhandene Nuancen in den einzelnen Konzepten. Ganz im Sinne des Anspruches, ein möglichst inklusives Buch zu schreiben, wurde jedoch auf ausufernde Ausführungen verzichtet. Trotzdem: Die philosophisch informierte Leserin wünscht sich noch mehr Verweise und Explikationen.

Trotz dieses Einwands geht das Konzept von Hinsch auf. Die Ideen sind nachvollziehbar und einleuchtend. In vier Kapiteln entwickelt er eine eindeutige Deskription des Problems, erläutert den moralischen Standpunkt, führt gerechtigkeitstheoretische Grundannahmen ein und entwickelt dann schließlich sein eigenes Bewertungsraster für die Beantwortung der Frage, in welchen Fällen sich Deutschland militärisch engagieren solle. Den Abschluss des Buchs bildet eine dezidiert praxisorientierte Zusammenfassung. Ganz im Sinne der Intention, Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren und Begründungen für Entscheidungen zu finden, imaginiert Hinsch zwanzig Fragen, auf die er dann auch präzise Antworten formuliert. Diese Antworten sind im Kontext seiner Vorüberlegungen schlüssig und leuchten ein, wenn man seiner Argumentation folgt.

Nicht zuletzt die von Hinsch angebotene Lösung ist einsichtig. Fünf Kriterien für eine Bewertung möglicher Kriegseinsätze können als Prüfstein für die von Hinsch zutreffend als unsystematisch bezeichneten öffentlichen Diskussionen über kriegerische Intervention dienen. Diese sind – und auch hier wird ersichtlich, dass der Standpunkt des Autors hinreichend reflektiert ist – an der jeweiligen Realität zu prüfen.

So wird auch der mögliche Einwand entkräftet, es würde sich bei Hinschs Beitrag lediglich um Philosophie aus dem akademischen Elfenbeinturm handeln. Gerade der Aktualitäts- und Realitätsbezug macht die Lektüre stets spannend und anregend. Wer sich während des Nach-Denkens über den Argumentationsgang auch in der eigenen Einstellung erschüttern lassen möchte, dem kann das Buch empfohlen werden. Wer das Buch aber nur dazu benutzt, seine eigene Position zu bestätigen, der wird enttäuscht werden.

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Wilfried Hinsch: Die Moral des Krieges. Für einen aufgeklärten Pazifismus.
Unter Mitarbeit von Peter Sprong.
Piper Verlag, München 2017.
272 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492057714

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