Bürgerschreck und Frauenheld

Wolfgang Martynkewicz porträtiert Gottfried Benn, der aus seiner Promiskuität Haltung und Gedichte machte

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn ein Buch mit dem Untertitel „Gottfried Benn, die Frauen und die Macht“ folgendermaßen beginnt: „Er liebte sie alle: blonde oder brünette, junge oder ältere, schlanke oder vollschlanke Fraue“, dann möchte man es gleich in die Ecke feuern, weil sich so wohl nur eine weitere chronique scandaleuse um ein Dichterleben anzukündigen scheint. Das jedoch wäre in diesem Fall ein Fehler.

Hat sich doch der Autor, Wolfgang Martynkewicz, bereits 2009 in seinem Werk Salon Deutschland. Geist und Macht 19001945 als ein vorzüglicher und an den Quellen orientierter Kenner der Epoche erwiesen, indem er der Frage nachging, warum eine geistige Elite um das Münchner Verlegerehepaar Hugo und Elsa Bruckmann auf einen Minusmann wie den jungen Adolf Hitler hereinfallen konnte. Auch in seinem jüngsten Buch geht es um nichts weniger als darum, in die Untiefen und Irrwege der deutschen Geistesgeschichte zu schauen. Dabei steht noch nicht einmal die titelgebende Person des Dichters Gottfried Benn im Vordergrund, sondern das Schicksal von einigen Frauenpersönlichkeiten, die dem Poeten mehr oder weniger nahestanden. Neben der wichtigsten Benn-Literatur bis 2013 hat Martynkewicz vor allem die Briefe und Tagebücher von Thea Sternheim (1883–1971) und ihrer Tochter Dorothea („Mopsa“, 1908 –1946) gesichtet, Zeugnisse, die zum Teil noch unveröffentlicht im Marbacher Literaturarchiv ruhen.

Ebenso wie den Münchner Hitler-Verehrern war es auch Thea und ihrem Mann Carl Sternheim ein Anliegen, zunächst in Höllriegelskreuth bei München, dann, noch vor dem Ersten Weltkrieg, in Brüssel, später wieder in Deutschland, einen künstlerisch-literarischen Salon zu gründen, in dem sie die wichtigsten Vertreter der Moderne um sich versammelten. Für Thea war zunächst die Begegnung mit ihrem zweiten Mann Carl Sternheim der Anlass, mit dem lebenslangen Tagebuchschreiben anzufangen. Sie glaubte nämlich, einem großen Künstler zu begegnen, der ihrem Leben Sinn geben würde. Dieses Muster setzte sich in gewisser Weise fort, als sie sich von Sternheim, der ein bekennender Fremdgänger war und dabei sogar der eigenen Tochter nachstellte, löste und in Brüssel auf den jungen Gottfried Benn traf, der dort in der Etappe, nachdem er gerade durch seine Morgue-Gedichte zu einiger Berühmtheit gelangt war, den Militärdienst ableistete. „Ich denke oft an diese Wochen zurück; sie waren das Leben, sie werden nicht wiederkommen, alles andere war Bruch“, schrieb er später über diese Zeit. Sie war fasziniert von dem widersprüchlichen jungen Mann, der sich radikal und destruktiv gab, dem es um „Wirklichkeitszertrümmerung und rücksichtsloses An-die-Wurzel-der-Dinge-Gehen“ ging und der gleichzeitig wie ein preußischer Offizier auftrat. Sie verkörperte für Benn, der aus kleinen Verhältnissen stammte, das herrschaftliche Bildungsbürgertum, an dem er sich zeitlebens abarbeitete.

Obwohl Thea bis zu Benns Tod im Jahre 1956 nicht von ihrem Freund, der zwischenzeitlich auch eine Beziehung zur Tochter Mopsa unterhalten hatte, lassen wollte, gelangt sie zumindest in ihren Tagebuchnotaten zu erstaunlich klarsichtigen und sprachgewaltigen Erkenntnissen über Benns Haltung zum Barbarentum der Nationalsozialisten:

Welch ein Gebräu von Eitelkeit und plattester Missgunst gegen alles Erfolgreiche. Neid auf die Grunewaldvilla, auf geistigen Einfluss, dieser eilfertige, in hymnische Form gebrachte Kotau Gottfried Benns vor dem Zeitwender. Wie er sich bemüht seine klobigen Meklenburgischen Füße in die Fußstapfen Nietzsches zu setzen. Mit welcher an Mordlust grenzender Verantwortungslosigkeit er die von dem Braunauer ausgegebene Losung nach Züchtung und Lendenaufgürtung zum Tod in den Thermopylen weitergibt.

Eine etwas gewagte These Martynkewiczʼ geht dann auch dahin, „die Revolution der expressionistischen Moderne“ (Thomas Anz) mit verantwortlich zu machen für die nationalsozialistische Revolution: „In der Expressionismusdebatte 1937/1938 wurde von den emigrierten, linken Schriftstellern genau dieser Zusammenhang zwischen Expressionismus und Nationalsozialismus aufgegriffen.“ Weil Benn bis in die 1950er-Jahre zum Expressionismus seiner Jugend gestanden habe, sei sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus keine zeitweise Verirrung, sondern die konsequente Verfolgung einer Leitlinie gewesen. Allerdings habe sich Benn, so Martynkewicz, seinen ganz privaten Expressionismus zusammengebastelt, bei dem ein antibürgerlicher Habitus und „sein Image als zupackender, subversiver Dichter“ im Vordergrund standen.

Benn wusste immerhin, wie er das liberale und erst recht das konservative Bürgertum schockieren konnte. „Eine Frau ist ein Gegenstand“, stellte er lakonisch fest. Matynkewicz meint: „Seine drei Ehen ist er, nach eigenem Bekunden, aus lebenspraktischen Gründen eingegangen.“ Erotische Bedürfnisse, „Rausch und Entgrenzung“, befriedigten „im Wesentlichen die wechselnden Freundinnen.“ Auf diese wirkte der Mann, der seinen Solipsismus gerne mit seinem Selbstverständnis als Künstler verband, offenbar wie eine Festung, die es zu erobern, oder wie der „einsame Wolf“, den es zu zähmen galt. Dass sie dabei Benn „in seinen Größen- und Omnipotenzphantasien bestärken“, wird ihnen spätestens bewusst, als sich der Dichter zum „Neuen Staat“ bekennt. In ihrem Tagebuch wird Thea Sternheim deutlich: „Man hat das Bedürfnis sich fortwährend die Hände zu waschen, jede Erinnerung auszukotzen. Mein Gott, man ist schon durch die frühere Sympathie zu solchem Abhub beschmutzt!“ Mopsa Sternheim, die ihre unglückliche Liebe zu Benn als „eine Art Gehirnvergiftung“ ansah, die sich in Frankreich der Résistance anschloss, dann 1943 in Paris verhaftet und ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert wurde, zeigt sich von Benns Nachkriegs-Autobiografie Doppelleben wie ihre Mutter schließlich nur „angewidert“ und nennt sie in ihrem Tagebuch einen „Leitfaden für Opportunisten“. Neben seinen Protagonistinnen Thea und Mopsa Sternheim behandelt Martynkewicz auch einige andere von Benns Frauenbekanntschaften näher und beschreibt den wechselseitigen Einfluss, so etwa den der Beziehung zur Schriftstellerkollegin Else Lasker-Schüler. Die Eroberungen, die der alternde Benn noch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Damenwelt erzielte, spielen indes keine Rolle mehr, da es Martynkewicz vor allem darum geht, der spannungsreichen Faszination nachzuspüren, die eine kunstsinnige und den Strömungen der frühen Moderne gegenüber aufgeschlossene, meist weibliche Elite für einen Mann aufbrachte, der radikal antidemokratisch dachte und ein dezidiert antimodernes Männerbild vertrat und etwa sein Gedicht Mann (1933) ganz zeitgemäß mit dem Vers beginnen lässt: „Mann – du alles auf Erden“. Natürlich wird hier manche psychologische Deutung, manche bereits bekannte Anekdote wiederholt. Seinem Untertitel und den Quellen folgend, beschreibt Martynkewicz den Dichter sehr einseitig aus Sicht der Frauen. Trotzdem oder gerade deshalb gelingt dem Autor insgesamt ein stimmungsvolles Sittengemälde femininer Emanzipationbemühungen vor den heraufziehenden Konflikten des 20. Jahrhunderts.

Titelbild

Wolfgang Martynkewicz: Tanz auf dem Pulverfass. Gottfried Benn, die Frauen und die Macht.
Aufbau Verlag, Berlin 2017.
408 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783351036669

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