Tacketacketack oder ein surrealistisch vögelndes Maschinengewehr

Zwei Gedichtbände Robert Bolaños erscheinen erstmalig auf Deutsch

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bis dato ist Roberto Bolaño im deutschsprachigen Raum lediglich als Romancier bekannt, seine Gedichte gab es bisher nicht auf Deutsch. Nun haben Heinrich von Berenberg und Christian Hansen, die bereits Prosa Bolanos übersetzten, zwei im Jahr 2000 auf Spanisch erschienene Gedichtbände in einem deutschen Band vereint, den titelgebenden Band Die romantischen Hunde sowie Drei. Der Aufbau der beiden Gedichtbände unterscheidet sich voneinander: Während Die romantischen Hunde 43 Einzelgedichte umfasst, zerfällt Drei in drei Teile: Herbst in Gerona Prosa liefert knappe Prosaskizzen, Die Neochilenen ist ein prosanahes Langgedicht, Ein Spaziergang durch die Literatur bietet 57 durchnummerierte Prosavignetten.

Einen charakteristischen Eindruck von Bolaños Lyrik vermittelt das Gedicht Selbstporträt mit zwanzig Jahren: „Ich ließ mich gehen, drückte aufs Gas und wusste nie/ wo ich landen würde. Ich hatte große Angst,/ der Magen zog sich mir zusammen, es brummte mir der Kopf:/ Ich glaub, es war die kalte Luft der Toten./ Keine Ahnung. Ich ließ mich ja gehen und fand, es wäre doch schade/ wenn so früh schon Schluss wär, aber andererseits/ hörte ich den Ruf, geheimnisvoll und überzeugend“. Bolaño zählt also mit 20 Jahren zu jenen „Tausende(n) junger Menschen“: „so wie ich, im ersten Flaum,/ oder schon mit Bart, aber alles Lateinamerikaner,/ dem Tod die Wange bietend.“ Wir haben einen Spätbeatnik vor uns inmitten junger Männer, die an Ecken herumlungern, ins Kino gehen und Frauen anbaggern. Auffällig ist, dass sich unter diesen Tausenden keine Frauen befinden (Wüchse denen ein Bart?). Wir sehen lateinamerikanischem Machismo beim Artikulieren zu. Frauen kommen zumeist komplexitätsreduziert vor – inklusive üblicher Stereotypen (Heilige, Hure, Verrückte). Davon singt Soni ein einförmiges Lied: „ich hielt sie an den Schultern fest und rieb/ meinen Schwanz an ihrer Hüfte […] hielt ihre Schultern fest und/ fickte sie wie ein Maschinengewehr“. Als Variante, nicht so leicht maschinengewehrartig zu vögeln, geistert eine (na klar) französische Femme fatale durch ein anderes Gedicht: „Eine kluge Frau/ Und schön./ Und kannte alle Varianten, alles, was so ging./ Las Aphorismen von Duchamp, Erzählungen von Defoe./ Normalerweise mit bewundernswerter Selbstkontrolle,/ Außer wenn sie deprimiert war oder sich betrank,/ Das konnte zwei oder drei Tage dauern,/ Ein Nacheinander von Bordeaux und Valium,/ Das frösteln machte./ Dann erzählte sie meist Geschichten, die ihr/ Passiert waren als sie 15, 18 Jahre alt war./ Ein Horror-Sexfilm,/ Nackte Körper, schmutzige Sachen am Rande des Erlaubten“. In diesem Reigen dürfen Hure und heilige Verrückte nicht fehlen. Lupe, die jugendliche Prostituierte, „arbeitete in Guerrero“, „sie war siebzehn und hatte ein Kind verloren“. Und wie das romantisch-klischeehafte Leben heiliger Nutten so spielt: „Ihr Sohn kam krank zur Welt, und Lupe versprach der Jungfrau,/ sie werde das Gewerbe an den Nagel hängen, wenn ihr Baby nur gesund blieb./ Ein, zwei Monate hielt sie ihr Gelöbnis, dann musste sie weitermachen./ Dann starb ihr Sohn, und Lupe sagte, schuld daran sei sie,/ sie hätte ihr Versprechen nicht gehalten.“ Und dann gibt es da noch Edna Lieberman, offensichtlich verrückt und mit arg metaphysischen Augen begabt, attribuiert mit großen, aus der hispanischen Lyrik zur Genüge bekannten Passepartout-Wörtern: „Atem/ und dein Blut, das zirkuliert/ so wie der Strahl eines Leuchtturms./ Aber es sind ihre Augen, dieser Leuchtturm,/ der durch deine Stille zieht. […] Und in deinem Blut erstrahlen/ die Regale voller Bücher“.

Ein drittes Charakteristikum bietet Herbst in Gerona. Bolaño hat die Lektionen moderner Lyrik, besonders der surrealistischen, inhaliert. Das Wort „Traum“ kommt oft vor, Traumlogik soll herrschen. Dass dabei Spiegel – Jorge Luis Borges lässt grüßen – nicht fehlen dürfen, versteht sich. Herbst in Gerona beschreibt zum Teil durchaus virtuos, scheinbar schlichte Realität, assoziative Träume, Ironie, Sarkasmus und starke Metaphern verbindend, einen Aufenthalt Bolanos in Gerona.

Die Neochilenen ist ein Roadmovie einer Band namens – ja, eben: Die Neochilenen, die von Santiago aus mit einem Kleinbus in den Norden fahren, zugedröhnt rumquatschen und, das lässt sich nicht recht entnehmen, wahrscheinlich in eher lausigen Schuppen mäßig besuchte Konzerte geben. Wiederum: Beatnikpoesie, prosanah, mit kräftig verstreuten Enjambements.

Im Spaziergang durch die Literatur führt Bolaño  seine Penaten, seine literarischen Hausgötter (und auch jene, die er nicht mag?) vor. Das beginnt lustig-verspielt: „1. Ich träumte, Georges Perec sei drei Jahre alt und käme mich besuchen. Ich umarmte ihn, ich küsste ihn, ich sagte ihm, er sein ein wunderbares Kind.“ Es folgt ein Interludium; ab Nr. 7 wird eine Traumfolge beschrieben. Die nächsten 51 Nummern sind nach gleichartigem Muster gestrickt: „Ich träumte“, dann folgt meist die Erwähnung eines Schriftstellers, einer Schriftstellerin. Das ist unterhaltsam, teilweise angenehm surrealistisch verpeilt: „Ich träumte, ich übersetzte den Marquis de Sade mit dem Hackebeil. Ich war verrückt geworden und lebte in einem Wald“. Doch sind das nicht insgesamt zu viele Versatzstücke des Surrealismus, des hymnisch-negativistischen Rimbaud-Sounds, der Tradition der Generation von 1927? In der Tat. Doch gelingen  Bolaño dabei immer wieder brillante Bilder, getrieben von Sarkasmus, Erfindungslust und Wortwitz, so im Gedicht Auf den Klippen: „In Hotels wie lebende Organismen./ Hotels wie ein Laborhund von innen.“

Kurz: Bei  Bolaños Gedichten bleibt ein eher zwiespältiger Eindruck – nicht aber bei der Lieblosigkeit dieser Ausgabe. Fremdsprachige Lyrik sollte, selbst wenn man die Sprache nicht kennt, zweisprachig publiziert werden. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Blieben die Übersetzer Heinrich von Berenberg und Christian Hansen den Originalen nah? Lesen wir eher Bolaño oder eher Nachdichtungen? Ebenso wenig lässt sich etwas über  Bolaños mögliche Klangspielereien erfahren. Des Weiteren wären Anmerkungen zu im deutschsprachigen Raum wenig bis kaum bekannten Personen hilfreich gewesen, um Anspielungen zumindest in Ansätzen erschließen zu können.

Titelbild

Roberto Bolaño: Die romantischen Hunde. Gedichte.
Übersetzt aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg und Christian Hansen.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446244665

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