Zwischen Alltagsgeschichten und rigiden Auskünften

„Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten“: Eine Auswahl von Christa Wolfs Briefen bietet Einblick in fast 60 Jahre eines Schriftstellerinnenlebens

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich habe oft gesagt, daß es über unsere Zeit leider später mal keine Briefliteratur geben wird, weil kein Mensch  mehr Briefe schreibt, aus mehreren Gründen. Auch ich nicht, oder nur selten. Mitteilungen, Anfragen, Proteste – das ja. Aber einen richtigen Brief?“ Dieser Seufzer stammt aus dem Jahr 1969 – und nicht, wie man meinen könnte, aus der Gegenwart. Ausgestoßen hat ihn Christa Wolf – und ihn zugleich schreibend widerlegt. Denn das briefstellerische Œuvre nimmt in Leben und Werk der ostdeutschen Autorin einen Rang ein, der „kaum hoch genug einzuschätzen ist“, wie Sabine Wolf feststellt, die unter dem Titel Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten eine Auswahl der Briefe der Schriftstellerin herausgegeben hat.

Nachdem bereits vier Bände mit einzelnen Briefwechseln unter anderem mit Brigitte Reimann und Franz Fühmann zu Lebzeiten Wolfs erschienen sind, hat die Leiterin des Literaturarchivs der Berliner Akademie der Künste (die nur zufällig auch den Nachnamen Wolf trägt) nun eine Gesamtschau von Briefen zusammengestellt, um zu zeigen, „wie das Briefeschreiben das Leben Christa Wolfs begleitete, wie es ihr unverzichtbares Mittel zum Ausdruck von Gefühlen, Gedanken, zum Austausch mit Menschen über geographische, politische oder Generationsgrenzen hinweg, aber auch zur Selbstverständigung war“. Die Leistung Sabine Wolfs verdient dabei höchsten Respekt. Nicht nur wählte sie aus dem Nachlass von cirka 15.000 Briefen knapp 500 Schreiben aus, die einen abwechslungsreichen Querschnitt durch die Korrespondenz darstellen, sondern versah diese auch noch zuverlässig mit kenntnisreichen Kommentaren und Hintergrundinformationen und sorgt so stets für das nötige Verständnis und die Einordnung der Schreiben und ihrer Inhalte.

Die Texte stammen aus einem Zeitraum von knapp 60 Jahren und umfassen damit praktisch das gesamte Schriftstellerinnenleben von Christas Wolf, vom ersten Brief einer jungen Studentin 1952, die dem „Neuen Deutschland“ durchaus selbstbewusst eine Rezension anbot, bis zum letzten Brief wenige Monate vor ihrem Tod, als Wolf das Gefühl beschreibt, „ausgeschrieben“ zu sein: „Weißt du, […] es [kommt] mir so vor, die Welt ist voller zum Teil grausamer Probleme, die mich wohl angehen, als Mensch und Bürgerin, aber als Autorin verspüre ich nicht den Zwang, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dieses letzte dicke Buch ist vielleicht doch etwas wie eine Bilanz.“ Der Leser der Briefedition erfährt dabei nicht nur etwas über das „letzte dicke Buch“ Stadt der Engel, sondern auch über (verworfene) Pläne und Projekte, Genese und Diskussion von literarischen Werken, über Wolfs umfangreiche Reisen, ihre (Schreib-)Schwierigkeiten und Diskussionen, Selbstzweifel und Zuversichten. Ein ernster Brief an die frühere Schulfreundin Christa Gebauer, geborene Tabbert, die der Erzählung Nachdenken über Christa T. zum Vorbild diente, findet sich neben heiteren Alltagsanekdoten, Wolfs Ermunterungen an Kolleginnen und Kollegen neben durchaus rigiden Auskünften: „Sehr geehrter Herr Schubert, ich habe noch nie gehört, daß jemand die Entscheidung, ob er Schriftsteller werden solle oder nicht, vermittels einer Art Rundbrief von anderen erbat. Meine Antwort ist kurz und bündig: Wenn Sie es aushalten zu leben ohne zu schreiben, dann werden Sie lieber Lehrer.“

Die Reaktion des Nachwuchsautors ist nicht bekannt, da anders als in den bisher veröffentlichten Briefwechseln dieser Band nur die Briefe Wolfs, nicht jedoch die Antwortschreiben enthält. Jedoch sind auch einige Briefe abgedruckt, die nie abgeschickt wurden – und die umso bemerkenswerter sind. Denn auch das Thema (Selbst-)Zensur zieht sich durch die Edition, wurde Wolf doch seit Mitte der 1960er-Jahre von der Stasi überwacht, die nicht nur ihre Telefonate belauschte, sondern auch ihre Korrespondenz mitlas. Das führte dazu, dass sich die Autorin in ihren Briefen oftmals in einem Dilemma wiederfand: „Was kann ich tun? Ich warne, wen ich kann. Ich kann ja keine Annonce in die Zeitung einrücken, daß man mir nur vorsichtig schreiben solle.“ Kein Wunder, dass der DDR-Autorin das Briefeschreiben schon bald „verleidet“ war. Ein Verzicht jedoch kam ebenso wenig in Frage. Denn obgleich Christa Wolf mit dem Briefeschreiben haderte, war es doch damals die einzige Möglichkeit der Kommunikation mit ihrem umfassenden privaten und auch offiziellen Beziehungs- und Bekanntenkreis, mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen wie Sarah Kirsch oder Günter Grass, Lektoren und Parteifunktionären, mit Ärzten und Leserinnen und Lesern. Auf über 900 Seiten ergibt diese Briefauswahl letztlich „die innere und äußere Biografie“ (Sabine Wolf) dieser Autorin. Eine lohnende Lektüre und unschätzbare Fundgrube nicht nur für Christa Wolf-Fans.

Titelbild

Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952-2011.
Herausgegeben von Sabine Wolf.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
1040 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783518425732

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