Wenn das Geisterhaus zum Fluch wird

Zum 75. Geburtstag der Schriftstellerin Isabel Allende

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Manchmal ist es mehr Fluch als Segen, wenn einem Schriftsteller mit dem Debütwerk gleich ein ganz großer Wurf gelingt. Günter Grass machte diese Erfahrung, weil er über lange Zeit stets an der Blechtrommel gemessen wurde. Nicht anders erging es Isabel Allende, die mit ihrem Erstling Das Geisterhaus (1982) auch gleich einen Weltbestseller landete.

Die über einen Zeitraum von rund 50 Jahren angesiedelte, mit autobiografischen Elementen versehene chilenische Familiensaga um den Protagonisten Esteban Trueba reicht bis in die politisch turbulenten 1970er-Jahre, als die Militärs unter Augusto Pinochets Führung putschten und Staatspräsident Salvador Allende (ein Großonkel der Autorin) unter nie restlos geklärten Umständen ums Leben kam.

Allendes Erfolgsroman Das Geisterhaus entstand aus einem selbstreflexiven Brief, den die Autorin 1981 nach dem Tod ihres Großvaters verfasste. Als Bille August 1993 den Roman mit Starbesetzung (Jeremy Irons, Meryl Streep, Winona Ryder, Glenn Close, Antonio Banderas, Vanessa Redgrave und Armin Müller-Stahl) kongenial verfilmte, schnellten die Verkaufszahlen des Buches noch einmal in die Höhe. Weltweit sind über 50 Millionen Exemplare von Allendes Büchern verkauft worden – allein sieben Millionen im deutschsprachigen Raum.

Isabel Allende, die am 2. August 1942 in Peru als Tochter eines chilenischen Diplomaten geboren wurde, verbrachte Kindheit und Jugend an wechselnden Orten Lateinamerikas, nachdem sich ihre Eltern 1946 getrennt hatten.

Von ihrem 18. Lebensjahr an arbeitete sie als Journalistin für verschiedene Zeitungen, später moderierte sie eine wöchentliche Fernsehsendung über die Weltkampagne gegen den Hunger. Politisch geprägt durch ihren Onkel, den sozialistischen Politiker Salvador Allende, entwickelte die Schriftstellerin schon in jungen Jahren ein starkes Engagement für politisch-gesellschaftliche Randgruppen. Mitte der 1960er-Jahre avancierte Allende zu einer der Leitfiguren der lateinamerikanischen Frauenbewegung und gründete die feministische Zeitschrift „Paula“ (benannt nach ihrer Tochter).

Erst in den frühen 1970er-Jahren folgten zaghafte literarische Gehversuche. Ihre Theaterstücke El embajador (dt. Der Botschafter), La Balada de Medio Pelo (dt. Die Ballade vom halbseidenen Aufstieg) und Yo soy la Tránsito Soto (dt. Ich bin Tránsito Soto) wurden in Santiago uraufgeführt, doch zwei Jahre nach dem Militärputsch verließ sie das Land und emigrierte nach Venezuela, wo sie sich als Lehrerin und Journalistin über Wasser hielt.

Nach Erscheinen von Das Geisterhaus veränderte sich Allendes Leben schlagartig. Sie machte ausgedehnte Lesereisen, genoss den frisch gewonnenen Ruhm und die finanzielle Unabhängigkeit in vollen Zügen. Und die „Geschichtenjägerin“ (wie sie sich einmal selbst nannte) schrieb – angespornt durch den Erfolg ihres Debütwerks – wie besessen weiter. Ihre Nachfolgeromane Von Liebe und Schatten, Eva Luna, und Der unendliche Plan wurden zwar auch zu Bestsellern, aber von der Literaturkritik eher zurückhaltend aufgenommen.

Allendes dichterische Fantasie scheint nie zu versiegen, doch stilistisch – vor allem was die Zeichnung der Figuren angeht – hat sie nicht mehr an die Brillanz ihres Erstlings anknüpfen können. Mit der für sie typischen Mischung aus schicksalhaften Lebenswegen, starken Frauenfiguren und einer gehörigen Portion erzählerischer Exotik hat die Autorin auch mit ihren späteren Romanen (Fortunas Tochter, Portrait in Sepia, Die Stadt der wilden Götter, Im Reich des Goldenen Drachen und Im Bann der Masken) weltweit ein großes Publikum erreicht. An diesem bewährten künstlerischen Strickmuster hat Allende auch in ihrem bisher letzten Roman Der japanische Liebhaber (2015) festgehalten. Im Mittelpunkt steht die einst erfolgreiche Künstlerin Alma Belasco, die die 80 überschritten hat, sich aber mit aller Macht gegen das Alter wehrt. Ihre „starken“ Frauenfiguren wirken inzwischen allerdings oft erbärmlich schwach und voller Klischees, wie aus einer Doku-Soap.

Mit einem völlig anders gearteten Buch kam die Erfolgsautorin noch einmal nahe an die literarische Meisterschaft des ihres Debüts heran – mit dem autobiografischen Bekenntnisbuch Paula (1995), in dem sie auf beklemmende Art und Weise das Schicksal ihrer gleichnamigen Tochter aufarbeitet, die 1992 an der unheilbaren Stoffwechselkrankheit Porphyrie gestorben war.

Manchmal wirkt Allende bei ihren öffentlichen Auftritten selbst wie eine exotische Figur aus ihren Romanen. Und man darf gespannt sein, was am 8. Januar des nächsten Jahres passiert: Am Todestag ihres Großvaters pflegt sie stets, ihre neuen Romane zu beginnen.