Von den Maßgaben der Theorie

Claas Morgenroths „Literaturtheorie“, Karl Wagners „Moderne Erzähltheorie“ und Bernd Stieglers „Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften“ geben Überblick und Hintergrund

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Wissenschaft ist es wie mit einem gelungenem Interview, einem gründlich recherchierten Artikel: Es ist grundsätzlich gut, im Speziellen auch den Hauch eines breiter angelegten Hintergrunds nicht verleugnen zu müssen. In den ursprünglichen Magisterstudiengängen der deutschen respektive europäischen philosophischen Fakultäten war dieses Relikt universaler Bildung in einer schönen Kurve geronnen – der Geistes-, Kultur- beziehungsweise philologische Wissenschaftler als umfassend aufgestellte intellektuelle Person, als Persönlichkeit des akademischen wie wirklichen Lebens, die noch das alte Ideal vermittelte und festigte.

Das hat sich im Zuge der Vereinheitlichung und der daraus folgenden, vor allem für den Kanon der philosophischen Fächer prekären Vereinzelung geändert. Wen es nun universal gelüstet, der studiert wenigstens doppelt. Überblick ist gefragt, und im Zuge der Semesterwochenstunden-Ballung nach Möglichkeit auf schnelle und stringente Weise. Da ist es gut, bewährte Standartwerke und solche, die eben den Vorteil einer fixen Hintergrundbildung ermöglichen, bei der Hand zu haben. Um eben solche Kompendien handelt es sich bei Claas Morgenroths Literaturtheorie, Bernd Stieglers Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften sowie Karl Wagners Anthologie Moderne Erzähltheorie, die mittlerweile in einer zweiten, erweiterten und aktualisierten Ausgabe vorliegt und Stimmen zum Thema sammelt.

Letztere ist dabei das am einfachsten strukturierte Buch. Große Vertreter der Literatur und der Erzählwissenschaft kommen, stratigrafisch geordnet von Henry James bis Antonia S. Byatt, zu Wort, eruieren ihren Blick auf die Felder des Narrativen wie der Narratologie – ihre Ausführungen sind im besten Sinne Heranführungen an das Wesen des Erzählens und des – inneren wie empirischen – Nachdenkens darüber. Wagner bezeichnet die Auswahl als „verzwickt einfach“. Große Stimmen kommen dabei zu Gehör: die Erzählerneuerin Ilse Aichinger, Jorge Luis Borges, Alfred Döblin, die Denkerneuerer Roland Barthes und Theodor W. Adorno. Entstanden ist ein aufschlussreiches Kompendium, wie sich die Narratologie zu einer ernsthaften Wissenschaft entwickelte und sich die Herangehensweisen um das 20. Jahrhundert änderten. Ein schöner Stichwort- und Zitatgeber für die einschlägige Aufsatzkultur zum Metier zumal.

Eine Einführung in die Literaturtheorie bietet das gleichnamige Werk von Claas Morgenroth. Die literaturtheoretischen Erwägungen seit Platon und Aristoteles bis zu den Gender Studies werden in zehn Großkapiteln referiert und gegeneinandergestellt. Dass sich angesichts der höchst unterschiedlichen Denk- und Forschungsansätze sowohl ungeahnte Einklänge wie auch harsche Konkurrenzen und Dissonanzen ergeben, wird triftig gezeigt und in der jeweiligen Untersuchungsrichtung gedeutet. Die weite Fächerung beweist dabei zugleich die immanente Schwierigkeit, sich einer Kunst wie der Literatur mit wissenschaftlichen Mitteln zu nähern. Die Vielzahl der Blicke indes kann man auch als Versuch einer zunehmend sich verdichtenden, wenngleich nie zu Ende kommenden Quadratur des Kreises auffassen: Die Irratio, die jedem Kunstwerk unweigerlich innewohnt, jener rätselhafte Rest wird in immer feinerer Näherung umschlungen, ohne ihn je ganz auszudeuten. Die Vehemenz dieser Annäherung ist, wie das Buch zeigt, tief und beeindruckend.

Noch etwas knapper, dafür umso reicher mit Beispielen und Vignetten ausgestattet, kommt Bernd Stieglers Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften daher. Das Buch ist die Verschriftlichung einer dreizehnteiligen Vorlesung zum Thema; es arbeitet mit Abbildungen, Referenztexten, zugleich spürt man dem Werk noch ein Verhallen mündlicher Darbietung nach, was es in gewisser Hinsicht lebendiger und als Einführung nachgerade ideal macht. Am Beispiel der großen Denker der Neuzeit wird ein Überblick gegeben, wie sich die Geisteslehren über die Jahrhunderte und Jahrzehnte ihrem jeweiligen Gegenstand nähern. Für ein einführendes Studium der Materie ist es sicherlich das empfehlenswerteste und vollständigste Buch. Alle drei Werke liegen in erschwinglichen Broschuren vor.

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Karl Wagner (Hg.): Moderne Erzähltheorie. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage.
nap - new academic press, Wien 2015.
440 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783700318743

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bernd Stiegler: Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften. Eine Einführug.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2015.
172 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783825243159

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Titelbild

Claas Morgenroth: Literaturtheorie. Eine Einführung.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2016.
217 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783825241698

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