Bewundert, begehrt, vom Aussterben bedroht

Über Helen Macdonalds Biografie eines Räubers: „Falke“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2014 sorgte die Falknerin Helen Macdonald mit ihrem Buch H is vor Hawk (dt. H wie Habicht) Furore. Nach dem Tod ihres Vaters erwirbt Helen Macdonald, die heute als Naturforscherin und Historikerin in Cambridge arbeitet, einen Habicht und richtet ihn ab. Dies und die Trauerbewältigung beschreibt sie in H wie Habicht in einer Mischung aus Roman, Autobiografie und Naturbeschreibung.

Nun liegt ihr zweites Buch Falke. Biografie eines Räubers in deutscher Übersetzung vor. Erstmals veröffentlicht wurde es bereits 2006, vor dem Tod ihres Vaters. Anders als in ihrem Habicht-Buch verschränkt Macdonald hier jedoch keine literarischen Genres miteinander, sondern verfasst eine Monografie über den wendigen Greif. Inhaltlich nimmt sie den Gedanken auf, dass „wir Menschen die Natur als Spiegel benutzen“ und knüpft so thematisch an H wie Habicht an. Entstanden ist nicht nur eine „Biografie“ des Falken, sondern auch ein intensiver Bericht über das Verhältnis des Menschen zu diesem Tier.

Das Buch vermittelt einerseits eine Fülle historischen und zoologischen Wissens und hinterfragt andererseits stereotype Zuschreibungen, die mit dem Falken seit Jahrtausenden verknüpft sind: Mut, Intelligenz, Eleganz. Macdonald widmet sich vor allem den Großfalken: Wanderfalken und Wüstenfalken, worunter auch die Gerfalken zählen, die vom Mittelalter bis heute als „wertvollste diplomatische Geschenke“ dienen. Das Buch geht zu den Anfängen der Falknerei zurück und weiß einiges über die Falknerei der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit zu berichten.

Ein ganzes Kapitel widmet die Autorin dem militärischen Einsatz von Falken. Hier verweist sie auf das Sprichwort „Die Falkenjagd ist die Schwester des Krieges“. Tatsächlich wurden Falken auf unterschiedlichste Weise zu Kriegszwecken eingesetzt: Um die Kommunikation des Feindes zu stören, wurden Falken auf die gegnerischen Brieftauben angesetzt. Im aktuelleren Geschehen werden sie eingesetzt, um Rollfelder frei von Vögeln zu halten.

Helen Macdonald stellt klar: „Die Ideologie der militärischen Luftherrschaft“ wird „durch die Falknerei in ein Bild der Natur gekleidet.“ Hinter diesem Greenwashing konstatiert sie die Absicht, Luftkriege als legitim, weil natürlich hinzustellen. Schließlich, so die dahinterstehende Ideologie der Militärs, findet „das natürliche Verhalten der Falken“ seine „biologische Entsprechung“ in der Kriegsführung in der Luft.

Krieg und Falken sind für die Tiere eine unglückselige Angelegenheit; sie wurden nicht nur ideologisch missbraucht, sondern auch für Kriegszwecke getötet. So wurden während Zweiten Weltkriegs wilde Wanderfalken an der englischen Küste dezimiert, da sie die heimkehrenden britischen Nachrichtentauben erbeuteten.

Der Falke – so Macdonald – ist ein symbolischer Archetyp. Zwar ist die einzelne Spezies nicht physisch unsterblich, aber „Ein Falke ist ein Falke“. Ob Dschingis Khans Gerfalke oder der von Heinrich VII.: Es handelt sich gleichsam um denselben Vogel, der über die Jahrhunderte immer schwerer mit symbolischem Gewicht beladen wurde.

Helen Macdonald schreibt die Biografie eines Tieres, das ihr sehr am Herzen liegt. Ihre Falken-Biografie setzt früh an: Mit der evolutionären Abspaltung der Falconidae von den habichtartigen Greifvögeln vor 80 Millionen Jahren. Die Autorin folgt ihren Spuren bis in die jüngste Vergangenheit und Gegenwart. Eine Zeit der Bewunderung und Bedrohung: 1960 rollt der erste Ford Falcon vom Band; 1964 stirbt in den USA eine Wanderfalkenart aus. Später werden Falken mühsam aufgezogen und ausgewildert, während sie anderswo durch Umweltgifte zugrunde gehen.

In ihrem Buch greift die Falknerin Helen Macdonald das gesamte Spektrum auf: kritisch, wissenschaftlich solide und mit großem sprachlichen Vermögen.

Titelbild

Helen Macdonald: Falke. Biographie eines Räubers.
Übersetzt aus dem Englischen von Frank Sievers.
Verlag C.H.Beck, München 2017.
240 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406705748

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