Vom erotischen Rausch fasziniert das Thema verfehlt

Stephan Porombkas „Es ist Liebe“ ist ein enttäuschend oberflächlicher Appell

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit den schier unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten, die sich über ein Smartphone und seine Apps von Facebook bis Tinder ergeben, entsteht eine neue Form der Liebe, behauptet Stephan Porombka in seinem neuen Buch Es ist Liebe. Mit den sozialen Netzen sei ein „Labor für Liebesfragen“ entstanden. Porombka berichtet vom Testen der Optionen, vom Gestalten neuer Beziehungen und von der Schnelligkeit, die dabei möglich und meist nötig ist. Über Twitter gesendete Kurznachrichten müsse man als moderne Liebesbriefe sehen. Räumliche Distanz habe keine Bedeutung, weil man sich über Snapchat zeigen oder gleich per Skype live verbinden könne. Die Herausforderung sei, dass „so viele Sachen nicht mehr so klar sind“ – ein Gefühl von Haltlosigkeit und Ziellosigkeit droht. Was sich in den verschachtelten Räumen der sozialen Netzwerke entwickeln, welche Erregung der Austausch von kurzen Texten, Sprachnachrichten, Fotos und Filmen auslösen und welche Bedeutung dieser schnelle Austausch für das Erkunden der eigenen Sexualität haben kann, erklärt Stephan Porombka mit leidenschaftlicher Ergriffenheit: „Vielleicht siehst Du Wesen, die sich Sachen zeigen oder miteinander über Sachen sprechen, von denen Dir nicht klar war, dass man sie überhaupt zeigen und besprechen und mit ihnen experimentieren kann.“ So entsteht ein enthusiasmierter Gedankenstrom.

Unterbrochen wird dieser von roten Trennseiten. Insgesamt 83 Seiten des 175 Seiten umfassenden Buches sind flächig rot gefärbte Kacheln, in denen in weißer Schrift ein Satz, ein Halbsatz oder nur einzelne Wörter prangen. Das Buch ähnelt damit der Optik der Bild-Zeitung. Auch stilistisch kokettiert Porombka mit dieser, indem er Sätze möglichst kurz hält, inhaltliche Tiefe vermeidet und prägnante Aussagen wiederholt und weiter zuspitzt. Absätze bestehen häufig nur aus einem einzigen Satz, sodass ungewöhnlich wenige Worte in dem Buch ihren Platz finden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich der Autor nicht sicher war, ob seine Pointen und Appelle im Gedächtnis der Leser nachhallen, und er sie deswegen nach dem Abschluss einer Argumentationskette als Absatz für sich alleine stehen lassen, mehrfach wiederholen und sie dabei mit zunehmender Euphorie und Erregung hervorheben und herausrufen musste.

Porombka unterscheidet in seinem Text zwischen dem Leser, den er mit „Du“ anspricht, und denen, die nicht verstehen, dass mit den Smartphones eine neue Form der romantischen Liebe entsteht („sie“). Indem er seinen Leser duzt, versucht er nicht nur, Nähe herzustellen. Er legt auch die Zielgruppe seines Buches fest – vornehmlich den Teenager, der frustriert ist vom Rechtfertigungsdruck gegenüber seinen Eltern, wenn er fast ununterbrochen auf sein Smartphone starrt: „Dein ganzes Denken ist so eigenartig fest mit diesem Gerät verbunden, Du kommst gar nicht mehr so richtig davon los.“ Sein „dringender Rat“ an die Leser zu Beginn des Buches ist, der Diskussion mit Kritikern – wie den Eltern – aus dem Weg zu gehen: „Dreh Dich einfach um. Und geh weg./ Lass Dich gar nicht drauf ein.“ „Sie“ wollten nur alles „schlechtreden“. Anschließend beginnt ein wütender Rausch von Imperativen: „Frag sie“, „Frag sie immer weiter./ Frag nach ihren Erfahrungen mit Twitter./ Frag nach ihren Erfahrungen mit Instagram“. Eine ganze Reihe von Absätzen beginnt mit der Aufforderung, was „Du“ sagen solltest. Dieser Rausch gipfelt in Ausrufen wie „Bullshit“ und Provokationen: „Wie viele Nacktfotos haben Sie eigentlich von anderen bekommen? Haben Sie die gespeichert? Könnte ich wenigstens die mal sehen?“ Hernach bildet der Autor eine neue Gemeinschaft aus dem Leser und sich („wir“), die zusammen eine neue „Utopie der nächsten großen Liebe“ entwerfen und eine Form objektiver Glückseligkeit erreichen können. Jeder könne doch „mindestens eine verdammt gute Tindergeschichte“ erzählen.

Das Buch enttäuscht. Seine bekannte Grundthese, dass mit der engen Verbundenheit über Smartphones neue Formen der Nähe entstehen, Liebe gefunden und genährt werden kann, wird mit Ablauf der Zeit und den älter werdenden Digital Natives immer unumstrittener. Schließlich kennt heute nicht nur „jeder“ eine „verdammt gute Tindergeschichte“, sondern auch ein Paar, das sich über das Internet kennengelernt hat. Mit seinem appellativen Gedankenstrom, den Rechtfertigungen und dem letztlich auf nackte Erotik und Pornoclips zusteuernden Text beweist Stephan Porombka am Ende nur, welche Risiken die Liebe in den sozialen Netzen im Jahr 2017 bereithält. Um zu zeigen, welche Parallelen es zwischen der Romantik und dem 21. Jahrhundert gibt und dass die Romantik nicht im Netz endet, hätte es der Geschichten der Liebe bedurft und keiner oberflächlichen Kurzbeschreibung der Unterschiede zwischen Instagram, Snapchat und Partnerbörsen in wenigen Zeilen mit der „erstaunlichen Entdeckung“: „In jeder Schachtel wird anders geschrieben. Whatsapp funktioniert anders als Snapchat.“ Banale Erkenntnisse reihen sich und bilden eine naive Collage: „Das Schreiben über die Liebe explodiert. Noch nie haben Liebende sich gegenseitig so viel geschrieben.“ Liebe muss gestaltet werden, erkennt er. In seinem Buch jedoch zeigt er lediglich die Gestaltung der Lust und resigniert sogar: „Es ist ein verwirrender Ort, für den es keine letzten Regeln gibt“. „Es ist verwirrend geil“ wäre ein passender Buchtitel.

Titelbild

Stephan Porombka: Es ist Liebe.
Carl Hanser Verlag, München 2017.
176 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783446256705

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