Gefährten im Graben

Seit die Menschen Krieg gegeneinander führen, missbrauchen sie Tiere als Kampfgenossen – Malin Gewinner und Rainer Pöppinghege über Tiere im Krieg

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hunde als Fallschirmjäger, Fledermäuse, die Minibomben abwerfen, ferngesteuerte Käfer mit Minikameras: Das klingt nach einem skurrilen Hollywoodstreifen – als hätten sich einst Walt Disney und Stanley Kubrick für einen bizarren Antikriegsfilm zusammengetan. Doch sind diese Beispiele alles andere als Fiktion. Denn schon immer wurden Tiere zu alle möglichen militärischen Zwecken eingesetzt. Allein in den beiden Weltkriegen starben zig Millionen Pferde, Esel oder auch Kamele, die als Lasttiere dienen mussten. Seit 2004 gibt es für ihr Opfer immerhin ein eigenes Mahnmal im Londoner Hyde Park: „Animals in War – They had no choice“, sie hatten keine Wahl, lautet die Inschrift.

In einer Enzyklopädie stellt die Berliner Autorin Malin Gewinner nun in Die Anthropomorpha. Tiere im Krieg all jene Tierarten vor, die jemals vom Menschen rekrutiert worden sind. Die Lektüre der reich bebilderten und gut lesbaren Darstellung überrascht und schockiert gleichermaßen. Das beginnt schon mit der schieren Anzahl der militärisch eingesetzten Tierarten. Malin Gewinner kommt auf 32 Arten aus sieben verschiedenen Klassen, die Liste reicht vom Glühwürmchen bis zum Wal. Verblüffend ist auch der menschliche Erfindungsreichtum bei der Nutzbarmachung animalischer Fähigkeiten oder Verhaltensweisen: Weinbergschnecken zum Beispiel dienten im Ersten Weltkrieg der US-Army als Senfgasdetektoren. Und Mäuse werden von Israel wegen ihres feinen Geruchssinns als Security-Scanner für Sprengstoffe eingesetzt.

Auch gab es offenbar keine Epoche, in der sich der Mensch keine tierischen Alliierten gesucht hätte. Schon in der Steinzeit wurden Bienennester in gegnerische Höhlen geworfen, und in der Antike konnte man mit ein paar Kriegselefanten ganze Armeen in die Flucht schlagen. Freilich nur so lange, bis der Gegner auf die Idee kam, Schweine mit Pech zu bestreichen, anzuzünden und auf die Elefanten loszulassen, um diese in Panik zu versetzen.

Es scheint dringend nötig, über den anhaltenden Missbrauch von Tieren zu militärischen Zwecken nachzudenken. Zumal in einer Zeit, in der Philosophen Tierrechte begründen und immer mehr Menschen aus ethischen Gründen auf tierische Produkte verzichten. Schon 2014 befand sich unter der Flut an Gedenkbüchern zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs Rainer Pöppingheges Kulturgeschichte Tiere im Ersten Weltkrieg. Im Gegensatz zur breiter aufgestellten Enzyklopädie Gewinners widmet sich der Paderborner Historiker vor allem der infrastrukturellen Bedeutung der tierischen Mitstreiter als Folge der systematischen Ressourcennutzung auf so gut wie allen Kriegsschauplätzen. Viele Pferde- oder Hundebesitzer im Deutschen Reich stellten ihre Tiere dem Militär zur Verfügung in der Annahme, dass es ihnen an der Front besser gehen würde als an der Heimat, wo sich die Versorgungslage immer mehr verschlechterte. Pöppinghege warnt dabei vor einem vorschnellen Urteil: „Der zivile Alltag ist in Zeiten der Massentierhaltung ungleich grauenvoller, quälender und todbringend. Während der Kriegsjahre empfanden sich viele Zeitgenossen in einer besonders engen Gemeinschaft mit Tieren. Vielleicht war der Erste Weltkrieg so etwas wie eine groß angelegte Renaturierung des zivilisierten Menschen im Kontakt mit seinen Artverwandten.“

Beide, Pöppinghege wie Gewinner, fokussieren einen interessanten Widerspruch. So wurden Tiere einerseits von den Militärs aller Nationen als bloße Mittel eingesetzt, ohne Rücksicht auf Verluste. Doch andererseits sei es im Kriegsalltag selbst zu einem verblüffenden Phänomen gekommen: Das hierarchische Verhältnis bröckelte, Soldaten, etwa im Ersten Weltkrieg, vermenschlichten Pferde oder Hunde nicht nur, sie nahmen sie faktisch als „Kameraden“ wahr, als Gefährten im Graben. Einzelne Tiere bekamen sogar Medaillen verliehen, wie die Taube „Cher Ami“, die 1918 mit einer von ihr übermittelten Nachricht 194 US-Soldaten das Leben rettete. Selbst die Nazis verliehen 3.000 deutschen Pferden eine Ehrenplakette mit der Aufschrift „Kriegskamerad“.

Gleich mehrere Gründe führen die Autoren dafür an, dass es ausgerechnet im Krieg zu einem Verhältnis auf Augenhöhe komme. Allein, dass Tiere im Einsatz oft ungewöhnliche Schutzkleidung oder Apparate tragen müssen, erleichtere ihre Vermenschlichung, ihre Anthropomorphisierung. So wurden im Ersten Weltkrieg Tauben zu Spionagezwecken Minikameras umgeschnallt und Pferde trugen an der Front monströs wirkende Gasmasken. Zudem erfüllten Tiere in lebensgefährlichen Situationen das Bedürfnis nach emotionaler Nähe und bildeten mit den Soldaten eine Art „Opfergemeinschaft“. Rasch werden in solchen Situationen vom Soldaten Wünsche und Hoffnungen auf das als „unschuldig“ geltende Tier projiziert, erinnert Malin Gewinner.

Allerdings: Auch diese Unschuld ist den Tieren im Krieg nicht sicher. Viele Soldaten glaubten, ihre tierischen Mitstreiter wären besonders an einem Sieg über den Feind interessiert. Umgekehrt konnten Tiere auch zu „Verrätern“ werden: wie jener Foxterrier, den deutsche Soldaten in einer französischen Dragonerkaserne fanden – und der nach der Einnahme umgehend die nationale Loyalität gewechselt haben soll.

Titelbild

Rainer Pöppinghege: Tiere im Ersten Weltkrieg. Eine Kulturgeschichte.
Rotbuch Verlag, Berlin 2014.
144 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783867892001

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Titelbild

Malin Gewinner: Die Anthropomorpha. Tiere im Krieg.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017.
154 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783957573353

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