Männliche Krisenerfahrung zur Zeit der Weimarer Republik

Änne Söll untersucht die Männerporträts von Otto Dix, Christian Schad und Anton Räderscheidt

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

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Wann ist ein Mann ein Mann? Von welchen Faktoren und Attributen hängt es ab, dass man als männlich wahrgenommen wird? In Zeiten des neuen Körper- und Jugendkults mag die Antwort recht schnell kommen: jung, durchtrainiert und dabei muskulös, gepflegt und braungebrannt, erfolgreich und durchsetzungsfähig – das sind wohl heutzutage die gängigsten Eigenschaften, die ein Mann haben muss. Oder vielleicht doch nicht? Gibt es auch andere Männlichkeitskonzepte, die die eben aufgezählten Eigenschaften als Stereotype entlarven? Das liegt nahe, da uns ‚die neuen Medien‘ ein bestimmtes Männlichkeitsbild vorgeben, das es zu reproduzieren gilt. Das Resultat ist ein Männlichkeitsschema, das jede Art von Individualität ausklammert. Mehr und mehr Männer fragen sich, welchem Konzept und Ideal sie folgen sollen – die Krisenhaftigkeit der Männlichkeit greift um sich. Das das nicht nur ein gegenwärtiges Problem ist, beweist Änne Söll mit ihrer Untersuchung Der neue Mann?.

Im Mittelpunkt von Sölls Studie stehen die Männerporträts von Otto Dix, Christian Schad und Anton Räderscheidt, die im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik entstanden sind. Söll fragt in ihrer Untersuchung, welche Männlichkeitskonzepte die Porträts transportieren. Sie geht dabei konsequent davon aus, dass „Männlichkeit“ kein festes Konzept ist, sondern immer wieder neu verhandelt werden muss. Söll bedient sich Edgar Forsters Resouveränisierung-Konzepts. „Männlichkeit“ ist dabei kein fest umrissenes Stereotyp, sondern es existieren viele verschiedene, historisch geformte „Männlichkeiten“, die miteinander konkurrieren und in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Diese geformten Männlichkeitskonzepte müssen sich zeitbedingt anpassen, sich demonstrieren und reproduzieren, wenn sie bestehen wollen. Männlichkeit ist demzufolge nicht homogen, sie befindet in einer ständigen Krise, in der sie sich immer wieder neu behaupten muss und ihre Souveränität (zurückzu)gewinnen versucht. Besonders interessant ist dabei die von Söll ausgewählte Zeit des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik, da hier nicht nur die Gesellschaft in einer besonderen Krisensituation, sondern auch der Mann sich in einer ebensolchen befindet. Der Erste Weltkrieg erhebt den Soldaten zum Ideal der Männlichkeit, während die Frauen in der Abwesenheit der Männer ihre Rollen auszufüllen versuchen. Während der Kriegs erwacht und erstarkt ein neues Selbstbewusstsein der Frau, das unter dem Stichwort der „Neuen Frau“ firmiert, gleichzeitig wird die Angst des Mannes, das er obsolet werden wird, geschürt. Ein Geschlechterkampf entbrennt, wobei vor allem der Mann versucht, seine Souveränität zurückzugewinnen.

Die Bilder von Dix, Schad und Räderscheidt zeugen von diesen unterschiedlichen Männlichkeitskonzepten, die Söll sorgsam herausarbeitet. In drei großen Kapiteln untersucht sie unter anderem die Selbstdarstellungen der Künstler während des Ersten Weltkrieges und ihr Verhältnis zur Mode, Körperkultur, Sexualität und zu ihren Individualisierungsstrategien. Die Schwerpunkte sind gut durchdacht ausgewählt, da sie sich in den jeweiligen Diskurs der Zeit einordnen lassen. Söll verzichtet, das letzte Kapitel ausgenommen, auf biografische Interpretationen und versucht mithilfe von Ratgeberliteratur und anderen Publikationen der Zeit die Resouveränitätsstrategien der Künstler herauszuarbeiten. Das heißt Söll rekapituliert den jeweiligen Diskurs und versucht dann die jeweiligen Porträts zu verorten – eine klare und schlüssige Herangehensweise. An Sölls Untersuchung sieht man, dass nicht immer ein kompliziertes Gedanken-Theorie-Gerüst als Grundlage dienen muss, damit man interessante Ergebnisse gewinnt – manchmal reichen schon ganz einfache Herangehensweisen aus. Die gewonnenen Einsichten mögen auf den ersten Blick überdeutlich sein, denn Söll stellt heraus, dass die jeweiligen untersuchten Bestandteile, wie die Codierung von Anzügen oder das geschminkte Gesicht, durch den jeweiligen Kontext der anderen Bildbestandteile variieren. Damit ist nichts anderes gemeint, als dass zum Beispiel der schwarze Anzug sowohl modisch sein kann, wenn der jeweilige Träger jung und athletisch wirkt, während der Anzug aber auch ein historisches Zitat sein kann, wenn der Träger ältlich wirkt, und somit unmodisch wird. Ähnlich verhält es sich auch mit der Schminke: Wenn sie eher weiß und dezent aufgetragen ist, wirkt der Mann nobel und wie ein Künstler, während in Verbindung mit geckenhafter Mode und einer Überschminkung des Gesichts der Mann seine Männlichkeit verliert und wie eine Frau wirkt. Diese kontextabhängigen Ergebnisse der jeweiligen Diskurse mögen zwar klar sein und sind auch bei dieser Methode der Untersuchung von Anfang an zu erwarten, aber sie werden brisant, wenn man sich immer wieder vor Augen führt, dass die jeweiligen Diskurse Teile der männlichen Resouveränisierung, das heißt Bestanteile eines bestimmten Männlichkeitsbildes der jeweiligen Künstler sind, das eben sehr fragil ist und sich ständig ändert, damit es sich eben in der jeweiligen, spezifischen Situation behaupten und notfalls anpassen kann. Das führt uns Söll eindringlich vor Augen. Daher ist auch nicht damit zu rechnen, dass es ein einheitliches Ergebnis für jeden Künstler gibt.

Die Leistung von Sölls Untersuchung liegt nicht im letztendlichen Ergebnis begründet, indem sie dem Leser das eine umfassende Männlichkeitsbild gibt, sondern eben in der Methode, die einzelnen Bestandteile sichtbar zu machen und in den Zeitkontext einzuordnen. Auch ist positiv zu berücksichtigen, dass sich Söll einen Korpus historischer Publikationen zurechtgelegt hat, auf den sie immer wieder zurückgreift. Damit werden die sichtbar gemachten Bestandteile nicht beliebig oder zufällig, vielmehr beweist die Autorin, dass sich Dix, Schad und Räderscheidt als aktive Rezipienten mit dem jeweiligen historischen Diskurs auseinandergesetzt haben. Gekrönt wird die feine Studie noch durch die zahlreiche Abbildungen der besprochenen Porträts, wobei aber nur rund die Hälfte in der Mitte des Buches als farbige Abbildung vorhanden ist, die restlichen Abbildungen sind im Text als Schwarz-Weiß-Bilder vorhanden, warum auch immer. Hier hätte man sich alle Bilder als farbige Reproduktionen gewünscht. Auch ist das Vor- und Zurückblättern, wenn man sich die Porträts vor Augen führen möchte, weil sie eben nicht immer an der dazugehörigen Stelle im Text stehen, unpraktisch. Daneben ist manchmal etwas verwirrend, dass Söll im Text davon ausgeht, dass die Betrachter der Bilder entweder rein männlich oder weiblich sein müssen, da sie manchmal über ganze Passagen hinweg von Betrachterinnen oder nur von Betrachtern ausgeht. Woher diese Vermutung kommt, ist fraglich. Dies ist aber der einzige Kritikpunkt an dieser sonst vorzüglichen Studie.

Titelbild

Änne Söll: Der Neue Mann? Männerporträts von Otto Dix, Christian Schad und Anton Räderscheidt 1914-1930.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016.
319 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770558612

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