Fremde und vielberufene Vorfahren?

In einem umfangreich bebilderten Band wird das ‚Ritterliche Troja‘ in Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts vorgestellt

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Hütet Euch vor den Trojanern…“ Auch wenn dieses Zitat in den Kontext der in jüngster Zeit vielzitierten ‚Fakes‘ gehört, da sich ja bekanntlich vor Geschenken der Griechen zu hüten sei, passt es zum einen in die Gegenwart mit ihrer teils verwässerten Rezeption der Ilias, aber auch in die oft nicht ganz eindeutige, weil durch nur wenig fundierte Informationen definierte Sicht des Mittelalters auf den Troja-Stoff. Während letztere freilich zu entschuldigen ist, erscheint es als peinliche Verkehrung der Gegebenheiten, wenn ausgerechnet Computer-Schadprogramme als ‚Trojaner‘ bezeichnet werden; schließlich waren diese ja die Leidtragenden eines eingeschleppten ‚Geschenks‘. Troja ist also auch heute noch – wenngleich nicht immer positiv – im Gedächtnis, selbst wenn die Kenntnis spezifischer Feinheiten und Bedeutungen, so etwa des ‚Danaergeschenks‘, unter Umständen nicht mehr so geläufig sind.

Sei es drum, Costanza Cipollaro und Michael Viktor Schwarz, beide in Wien am Institut für Kunstwissenschaft tätig, haben mit dem vorliegenden Band ein mehr als ansprechendes Produkt zum Feld der Troja-Rezeption in mittelalterlichen illustrierten Handschriften herausgegeben. Das Buch stellt eine Reihe hochrangiger, illuminierter Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts in den Fokus. Die Handschriften entstanden im mediterranen Raum Italiens und Spaniens, aber auch in Zentraleuropa. Die mittelalterlichen Vorstellungen von Belagerung und Kampf der Griechen und den heldenhaften, letztlich aber erfolglosen Verteidigungsanstrengungen der Trojaner, transferiert in den Rahmen mittelalterlicher Ritterkultur mit ihrem Kodex von Liebe und Krieg, wurden in den vorliegenden Texten in attraktive Text-Bild-Objekte verwandelt, die, so ist es auf dem Buchumschlag zu lesen, „neuen Formen visuellen Erzählens den Weg bereiteten“.

Die Anregung für den vorliegenden Band ging, so ist dem Nachwort zu entnehmen, von der Tagung ‚Res gestae – Res pictae‘ aus, die im Jahre 2013 unter Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Institut für Kunstgeschichte der Wiener Universität stattfand. Die Ergebnisse wurden für die Publikation explizit auf die Troja-Thematik hin gebündelt. Das erscheint umso naheliegender, da viele der bedeutenden illustrierten Troja-Handschriften zu den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek zählen. Damit allein war also eine fundierte Arbeitsbasis gegeben, die durch illustrierte Handschriften anderer Provenienz ergänzt und erweitert wurde.

In insgesamt sieben Beiträgen wird der geneigten Leserin beziehungsweise dem geneigten Leser ein ‚ritterliches Troja‘ nahegebracht, das selbstverständlich mit der antiken Grundlage nicht vollkommen übereinstimmt, dabei aber mehr über die Zeit der Entstehung des jeweiligen Manuskripts als über den Kampf zwischen Griechen und Trojanern an den Dardanellen aussagt. Bereits im einleitenden Beitrag des Herausgebers Michael Viktor Schwarz werden ‚Worte, Bilder, Publikum‘ des Mittelalters in stringentem Argumentationsgang vor- und dargestellt. Wird hier unter anderem mit einem knappen, aber auch auf das Gesamtthema zielführenden Exkurs über Giottos Freskenmalerei auf das eigentliche Thema erst hingeleitet, erweist sich ‚Invenzione e reinvenzione negli exemplari miniati del Roman de Troie tra Francia e Italia‘ der Herausgeberin Costanza Cipollaro als eine kompetente Einführung in den Gegenstand. Dass dabei jedoch nicht nur der italische Raum in den Blick genommen wird, zeigt der hier angestellte Vergleich zwischen der französischen Buchmalereitradition und dem in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrten Exemplar des ‚Troja-Romans‘.

Auch der Beitrag Susan L’Engles, ‚Three Manuscrpipts of the ‚Roman de Troie‘, widmet sich einem Manuskriptvergleich, in diesem Fall einem Vergleich zwischen den Exemplaren des ‚Roman de Troie‘ aus der Österreichischen Nationalbibliothek, der Russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg sowie der Französischen Nationalbibliothek in Paris. In ihrem Beitrag geht die Autorin neben rein stilistischen Vergleichen auch der Frage der Auftraggeberschaft nach. Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass das Wiener Exemplar in sechs ganzseitigen Abbildungen gezeigt wird. Dem dezidierteren Vergleich dienen überdies 26 weitere, kleinere Abbildungen.

Mit ‚Side by side with the Trojans‘ kommt noch einmal Michael Viktor Schwarz zu Wort, der die Rolle des Betrachters im Zusammenhang mit dem Wiener Exemplar des ‚Troja-Romans‘ in den Blick nimmt. Auch dieser Beitrag zeichnet sich durch ganzseitige Abbildungen der Wiener Handschrift aus, macht überdies einen Schlenker in die Gegenwarts-Cineastik und zeigt – das erscheint mir denn auch zielführender – stilistische Vergleiche zu zeitnahen Handschriftenillustrationen anderer Texte des 14. Jahrhunderts auf.

Rosa María Rodríguez-Porto nimmt mit ‚Dark and Elusive Fortune‘ Aspekte des gefühlsbetonten Lesens des ‚Roman de Troie‘ im 14. Jahrhundert in den Blick. Dabei werden, sowohl im Text als auch durch Bildbeispiele belegt, interessante Parallelen zu anderen mittelalterlichen Vorstellungen und ikonographischen Symbolen herangezogen, so etwa im Fall des ‚Glücksrades‘, aber auch auf die mittelalterliche Adaption der Überlieferung um Oreste eingegangen.

Auf die Illustrationen des Künstlers Martinus Opifex konzentriert sich Katharina Hranitzky in ihrem Beitrag ‚Gar coesttnlich illuminatur darynne von materi ze materi‘. Die Auswahl der Abbildungen aus den insgesamt 334 Darstellungen dieser „umfangreichsten und prächtigsten aller Miniaturzyklen zur Geschichte vom Untergang Trojas, die im deutschsprachigen Raum hergestellt wurden“ macht klar, welche Freude am Visualisieren des Troja-Sujets Auftraggeber, aber eben auch ausführender Künstler gehabt haben müssen.

Die in allen Beiträgen anklingende Frage nach Bedeutung und Funktion der Buch-Illustrationen soll ein Zitat aus dem lesenswerten Beitrag Lieselotte Saurma-Jeltschs, der sich mit drei illustrierten Troja-Büchern beschäftigt (Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘ sowie die Wiener beziehungsweise Gießener Ausgabe des ‚Elsässischen Trojabuchs‘), verdeutlichen: Demnach „fordern und befördern die Bilder in allen […] Handschriften eine jeweils eigene Lesart der trojanischen Kriege. Sie tragen dazu bei, die Erneuerung zu erreichen, in deren Rahmen der Stoff – in Konrads Worten – zu neuem Glanz erblühen soll. In diesem Sinne ist der Begriff ‚image narratrive‘ durchaus verwendbar, wenn man darunter die aktive Rolle der Bilder im Prozess der Neuschöpfung eines Stoffes in einer Handschrift verwendet“. Dem ist wenig hinzuzufügen, werden mit dieser Ausführung doch sowohl das Troja-Sujet als solches sowie auch seine mittelalterlichen Adaptionen und Neuschöpfungen adäquat beschrieben.

Wenn, wie es griffig formuliert wurde, das ‚Mittelalter überall‘ sei, so gilt dies sicherlich auch für das Phänomen Troja, das seit der Antike immer wieder rezipiert und den jeweiligen eigenen kulturellen Bedürfnissen gemäß adaptiert wurde. Im vorliegenden Band liegt der Fokus explizit auf reich illustrierten mittelalterlichen bis frühestneuzeitlichen Beispielen der Rezeption des Troja-Komplexes. Dies allein, vor allem auch angesichts der hervorragenden Qualität dieser Abbildungen, macht schon den Reiz der ‚Mären‘ aus. Allerdings sollte die Publikation trotz der Dominanz eben dieser Illustrationen nicht als eine Art ‚Bilderbuch‘ missverstanden werden; die Beiträge sind allesamt lesenswert, ein zwanzigseitiges Literaturverzeichnis sowie ein knappes, aber angemessenes Register runden den uneingeschränkt positiven Eindruck ab. Obgleich sich das Ganze definitiv nicht im ‚Low-Price‘-Niveau bewegt, auch ‚Nicht-Trojaner‘ sollten sich die Anschaffung ‚Aller Mären‘ ans Herz legen lassen.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Costanza Cipollaro / Michael Viktor Schwarz: Allen Mären ein Herr / Lord of all Tales. Ritterliches Troja in illuminierten Handschriften/Chivalric Troy in Illuminated Manuscripts.
Böhlau Verlag, Köln 2017.
280 Seiten, 75,00 EUR.
ISBN-13: 9783205201489

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