Stets im Interesse des Autors

Conrad Ferdinand Meyer und Betsy Meyer korrespondieren mit ihrem Verleger über Korrekturen, Rezensionen und den Hausbau

Von Karin S. WozonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin S. Wozonig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin über die gar zu schnell erscheinenden Kritiken selten erfreut, denn es ist gewöhnlich nichts dahinter“, schreibt der Leipziger Verleger Hermann Haessel an seinen Autor Conrad Ferdinand Meyer am 17. Oktober 1881. Nicht nur sei nichts dahinter, wenn einer allzu schnell ein Urteil fällt. Eine solche Rezension habe sogar einen klaren wirtschaftlichen Nachteil, wie Haessel bei Erscheinen einer (positiven) Besprechung der dritten Auflage von Meyers Gedichtzyklus Huttens letzte Tage durch den Nachwuchsgermanisten Adolf Frey schreibt: „Solche Arbeiten gleichen der Butter und den Salbölen für die Autoren, den Verlegern nutzen sie nicht. Es ist bis jetzt daraufhin nicht 1 Ex. verlangt worden. Wohl erwarte ich aber das Verlangen eines Dutzend von Kritikastern um Freiexemplare, die sich nun aus Frey’s Kritik rauben, was sie brauchen können und die geschenkten Ex. sofort an die Antiquare verkaufen.“ Adolf Freys Rezension wurde in der Deutschen Rundschau gedruckt, bevor die ersten Exemplare des Buchs die Druckerei verlassen hatten. Das war möglich, weil Frey als Korrektor an den Druckfahnen gearbeitet hatte. Er war eine Notlösung und wurde vom Verleger nicht besonders geschätzt, aber C. F. Meyers Schwester Betsy, die die Korrekturen bei den vorangegangenen Publikationen ihres Bruders gemacht hatte, war den beiden – Autor und Verleger – als Ko-Autorin und zuverlässige Mitarbeiterin abhandengekommen. Das gespannte Verhältnis zu ihrer Schwägerin war der Auslöser dafür, dass sich Betsy Meyer nach ihrer Arbeit an der Novelle Der Heilige Ende 1880 zurückzog und erst Anfang der 1890er Jahre wieder mit ihrem Bruder zusammenarbeitete. Betsy Meyer war nicht nur „Conrads Sekretär“, wie sie im Februar 1880 an Haessel schreibt, sondern übersetzte während der Arbeit für ihren Bruder auch Christus. Sieben Reden des Philosophen Ernest Naville. Das Buch erschien bei Haessel fast zeitgleich mit Der Heilige. Betsy Meyer bekam für die Übersetzung 150 Mark in Gold und 20 Freiexemplare, C. F. Meyer für Der Heilige 600 Mark und 25 Freiexemplare.

Sowohl bei den Korrekturen der Texte ihres Bruders als auch bei der eigenen Arbeit geht Betsy Meyer akribisch vor und stößt dabei manchmal auf Unverständnis wegen ihrer „übergewissenhaften Ängstlichkeit“ (B. Meyer an Haessel, 17. März 1880). Um die Frage, ob der König im Dativ ein „e“ am Ende hat oder nicht, kümmert sich ihr Bruder trotz Nachfrage nicht, Betsy Meyer entscheidet selbst: „So wie das Buch nun gedruckt ist, begegnet man darin dem König und dem Könige in angenehmer Abwechslung.“ Gelegentlich kann die „letzte Revision“ des „genauen Frl. Betsy“ (Haessel) nicht mehr berücksichtigt werden. Auch orthographischen Kummer ist Betsy Meyer im Umgang mit ihrem Bruder gewöhnt und besitzt diesbezüglich „gar keine Grundsätze mehr“. Als ihr Haessel seine „Regeln deutscher Rechtschreibung“ schickt (die Herausgeber des Briefwechsels konnten nicht eruieren, welche das waren), ist Betsy zufrieden, wenngleich sie sich wieder an die in der reformierten Rechtschreibung getilgten „h“ in Heimath, Blüthe et cetera gewöhnen muss, denn der Verleger ist bei der Rechtschreibung konservativ. Für die Zusammenstellung vonGedichten C. F. Meyers für eine Buchausgabe wird Meyers Cousin Fritz, ein Anhänger der reformierten Orthographie, als Kopist und Korrektor eingesetzt. Haessel schreibt am Beginn der Zusammenarbeit erbost an ihn: „So wollen Sie vor der Hand nicht weiter corrigiren.“ Meyer interveniert und Haessel ist zufrieden: „Tier [statt Thier] […] ‚instruiert!‘ Pfui Teufel! […] Gott sey Lob und Dank, daß wir diesen Unsinn für unser schönes Buch los sind.“

Überhaupt das Thema Korrekturen: Es dominiert den Briefwechsel, wobei C. F. Meyers Briefe an Haessel von Anfang 1881 bis zum 24. März 1883 mit zwei Ausnahmen nicht überliefert sind. Die Herausgeber rekonstruieren minutiös, wann welche Druckbögen zwischen Kilchberg und Leipzig hin- und hergegangen sind, und das sind viele. Haessel spricht gegenüber Betsy Meyer von „C. F’s Verbesserungsdrang“. Nachdem Meyer an der dritten Auflage des Hutten wochenlang korrigiert hat, wird Haessel ungeduldig und schreibt: „Ich finde, daß Sie sich große Arbeit auferlegen, was mich ängstigt und erfreut. Die Setzer verlieren die Geduld, da sie Alles immer wieder umwerfen müssen.“ Teuer sei das und eigentlich wäre er nicht verpflichtet, die Mehrkosten zu übernehmen. „Dem Rechte nach ist das M[anu]s[kript] fertig in die Hand des Verlegers zu geben […]“. Als C. F. Meyer bei den Korrekturen des Gedichtbandes in den Druckbögen noch Wörter austauscht, prophezeit Haessel, er würde an dem Buch nichts verdienen. Bis zu vier Mal sei ein Bogen an ihn, Meyer, geschickt worden, der Drucker wolle aufgeben und dass jetzt, kurz vor dem endgültigen Druck noch Fehler entdeckt würden, sei die Folge der „ungewöhnlich vielen Aenderungen“. Auf diese Klage seines Verlegers reagiert C. F. Meyer offenbar harsch, denn ein paar Tage später schreibt Haessel: „Ihre Interessen standen mir stets über den Meinigen, was leicht zu erkennen ist. Darum sollten Sie nicht gleich so gar bös seyn, wenn nicht scheinbar Alles nach Ihrem Willen geht.“

In der Korrespondenz geht es nicht nur um Verlags-, sondern auch um Bauprojekte, denn Meyer beginnt 1881 mit einer Erweiterung seines Hauses in Kilchberg. Bei seinem Versuch, den Autor zur zügigen Arbeit an der dritten Hutten-Auflage zu motivieren, greift Haessel zu einem naheliegenden Gleichnis: „Denken Sie doch nur, lieber Freund! daß es mit einem Gedicht, wie mit dem Baue eines Hauses ist. Sie mögen sich Alles noch so genau überlegt haben, so werden Sie sich zuletzt immer sagen, wenn der Bau fertig ist: ja das und jenes hättest Du anders machen können. In diesem und jenem Bauen wird man nie fertig.“

Auch in anderer Hinsicht strapaziert C. F. Meyer seinen Verleger, nämlich bei den Marketingmaßnahmen; „gescheidter“, auf jeden Fall „nobler“ wäre es, würde er sich gar nicht um das Schicksal seiner Bücher kümmern, meint der Autor, aber das geht nicht. Immer wieder gibt er dem Verleger Tipps und Hinweise, wie Werbung gemacht werden könnte und verteilt selbst großzügig Bücher. Zu den von Meyer verteilten Freiexemplaren von Der Heilige kommt noch eine Reihe von Rezensionsexemplaren, die der Verleger verschickt. Meyer gibt dazu Anweisung: „Haben Sie Recensirex. an die N. Zürcher Zeitg gesendet? U: Betty Paoli vergeßen Sie nicht! Vischer u: Geibel, Heyse u: Lingg sind besorgt?“ Die österreichische Kritikerin Betty Paoli, die als eine der ersten Notiz von Meyer genommen und schon 1874 Das Amulet positiv besprochen hat, schreibt offenbar begeistert über Der Heilige an Haessel, der den (verschollenen) Brief an Meyer weitergibt. Meyer kommentiert: „Ich hoffe, die ‚andächtigen Schauer‘ der guten Betty Paoli werden sich in einem Wienerblatt zu einer Recension verdichten.“ (Das ist nicht passiert; nach Jörg Jenatsch, über den sie 1877 schreibt, verfasst Paoli Ende 1881 eine Rezension zur dritten Auflage von Huttens letzte Tage.) Außer über Rezensionen macht sich Meyer auch Gedanken darüber, wem er Freiexemplare zukommen lassen könnte, vom König von Bayern über Bismarck bis zu Richard Wagner. Dem Verleger ist das peinlich, nach seinen Einwänden verwirft Meyer den Plan. Im Oktober 1882 erscheint der Band Gedichte, Meyer erhält fünfzig Freiexemplare und macht eine weitere Liste von Empfängern von Rezensionsexemplaren für Haessel. Der schreibt: „Nur beiläufig erwähne ich, daß ich jetzt schon weit über 100 Ex. der Gedichte gratis vertheilt habe.“

Die zwei Jahre, die der Briefwechsel umfasst, sind für den Autor C. F. Meyer äußerst produktiv und bringen dem Leipziger Verleger die Genugtuung, dass sich seine schweizerische Entdeckung endgültig auf dem deutschen Markt durchsetzt. Die Briefausgabe enthält neben den Briefen und dem Apparat auch Verträge und auf circa 100 Seiten Rezensionen, die im Briefwechsel von Relevanz sind. Sie sind durch ein Verzeichnis mit Verweis auf die entsprechenden Briefstellen erschlossen. Ausgewählte Titelblätter, Verträge und Briefe finden sich in einem separaten Teil mit Abbildungen, der circa 40 Seiten umfasst. Sehr praktisch ist das beigelegte Lesezeichen, das alle verwendeten Siglen und Abkürzungen wiedergibt. Die Leserin muss ohne Sach- und Personenregister auskommen und wird diesbezüglich auf den letzten Teilband vertröstet, einige Lücken lassen sich durch die Website zur Historisch-kritischen Ausgabe schließen. Die interessantesten und kurzweiligsten Briefe der Sammlung stammen von Betsy Meyer und nach ihrem Rückzug bleibt hauptsächlich die Perspektive des Verlegers auf die Aspekte Buchherstellung, Werbung und Verkaufsförderung übrig. Auch für Einblicke in die Unterstützernetzwerke und die literarischen Cliquen der Zeit taugt diese Korrespondenz, die ein Fundus für Details zur Werk- und Lebensgeschichte C. F. Meyers ist.

Titelbild

Conrad Ferdinand Meyer / Betsy Meyer / Hermann Haessel: Conrad Ferdinand Meyers Briefwechsel. Band 4.3 – Verlagskorrespondenz. Briefe 1880 bis 1882.
Besorgt von Stephan Landshuter, Wolfgang Lukas, Matthias Osthof und Elisabeth Rickenbacher, unter Mitarbeit von Rosmarie Zeller.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
565 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783835316256

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