Ruhestörer

Michael Wolffsohn erzählt eine deutschjüdische Familiengeschichte

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine „genetische Ikonensperre“ bescheinigt der Historiker Michael Wolffsohn seiner Familie. Sein Buch Deutschjüdische Kinder. Eine Weltgeschichte meiner Familie legt ein beredtes Zeugnis davon ab. Von dem Großvater und „Über-Vater“ Karl Wolffsohn über den Onkel Willi/Zeew bis zu Michael Wolffsohn selbst zieht sich diese Linie der Aufmüpfigkeit und des fehlenden Untertanengeistes. Dass der Autor im vorliegenden Buch die Geschichte einer jüdischen Familie aus Deutschland zur „Glücksgeschichte“ macht, ist ebenfalls ein hochprovokativer Gestus.

Michael Wolffsohns Buch ist eine Familiensaga, eine Autobiografie, ein Bekenntnis und eine Bilanz, die er mit bemerkenswerter Konsequenz sowie Eloquenz jenseits aller Klischees zieht. Deutschland ist in seiner Darstellung nicht mehr „das Land der Mörder“, sondern „das Gelobte Land“, und die Juden, die den Holocaust überlebt haben, nicht mehr Opfer und Traumatisierte, sondern „Glückskinder“. Mit der immer wiederkehrenden Bezeichnung „deutschjüdisch“ plädiert Wolffsohn für eine „Symbiose“ – so wie sie beispielsweise schon von seinem Großvater Karl mit seinem Geschäftspartner, dem ehemaligen preußischen Finanzminister Albert Südekum, praktiziert wurde. Der Name von Michael Wolffsohns Großmutter Recha, deren Bild jedem Leser nach der Lektüre des Buches unvergesslich bleibt, ist ebenfalls Programm. Zwischen dem alten, verbrecherischen und dem neuen, demokratischen Deutschland, zwischen Israel (damals Britisch-Palästina), wohin seine Familie während der NS-Zeit ausgewandert war, und Deutschland sich bewegend, findet der Historiker Wolffsohn immer „helle Flecken“ und hoffnungsvolle Momente, welche – Heinrich von Treitschke zum Trotz – in der Frage gipfeln: „Warum auch sollte ein Jude kein Deutscher sein können und umgekehrt?“

Wolffsohns Buch zeigt aber ein „relatives“, schwer erkämpftes Glück. Die Jeckes – die aus Deutschland nach Israel eingereisten Juden – fühlen sich dort nicht wohl und halten eine „jeckisch egoistische Distanz zu den zionistischen Aktivisten und Kämpfern“. Die Berliner Grande Dame Sabta (Oma) Recha findet am viel zu einfachen Leben in Israel auch keinen Gefallen. Für den Enkel Michael selbst gilt: „Israel empfand und empfinde ich als faszinierend, teils sogar als beispielhaft, aber ich bin dort nicht zu Hause.“ Aber der „Exodus aus Zion“ und die Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1954 bringen Enttäuschungen und Kämpfe en masse – etwa den Kampf gegen die „eisernen Wände des Unwillens und Böswillens“ bei der Rückerstattung des arisierten Vermögens des Großvaters und Großbürgers Karl Wolffsohn. Innerjüdische Konflikte sowie genau dokumentierte Anfeindungen, Konflikte und Schlammschlachten, die Michael Wolffsohn mit deutschen Politikern und weiteren Zeitgenossen austragen musste, nehmen einen wichtigen Platz im Buch ein, sind Ruhestörungen, die für Spannung sorgen und Denkanstöße geben.

Licht und Schatten wechseln einander ab. Man erfährt viel über das Judentum, den Zionismus, die deutsche Wirtschaft im 20. Jahrhundert, die Karl Wolffsohn wie viele andere Juden mit seinen Innovationen maßgeblich prägte, oder über die deutsche Universitäts- und Medienlandschaft, aus der sein Enkel Michael seit Jahrzehnten nicht wegzudenken ist. Zu den mit Liebe und Dankbarkeit, oft aber auch mit Humor und feiner Ironie gezeichneten Porträts seiner Vorfahren gesellen sich Bilder bekannter deutscher Politiker wie Helmut Kohl oder Peter Struck sowie „deutschjüdischer Spitzenvertreter“ wie Heinz Galinski, Ignatz Bubis und andere mehr. Auch hier ist Wolffsohns Narration trotz autobiographischen Duktus’ um Sachlichkeit und Faktizität bemüht, zugleich jedoch scharfsinnig und in manch einer verstörenden Äußerung gnadenlos kritisch und unbestechlich.

Eine beträchtliche Asymmetrie erkennt der Autor beispielsweise im deutsch-israelischen Verhältnis: Während die Israelis das heutige Deutschland „außerordentlich schätzen“, zählt Israel für zu viele Deutsche „zu den drei unbeliebtesten Staaten weltweit“. Trotz manch eines dunklen Fleckes, trotz manch eines Dunkelmannes in der Gegenwartsgeschichte trennen „Lichtjahre“ das neue vom alten Deutschland. Wolffsohns Buch ist ein Plädoyer für ein demokratisches, offenes Deutschland ohne Ghettomauern, Orthodoxie, Ideologie und Denkverbote. Es zeugt nicht nur vom wolffsohn’schen „Willen zur positiven Interpretation des Ur-Negativen“, sondern spiegelt auch die „Geschichtsmagie“ des neuen „Rechts- und Wohlfahrtsstaates“ Deutschland, in dem das Glück des Widerspruchs möglich ist. Die bei den Wolffsohns beliebte Maxime „Versöhnung durch Wahrheit“ sowie die Erkenntnis, dass „wer sich abkapselt“, „von Fortschritt und Entwicklung abgehängt“ wird, hätten nicht eindrucksvoller illustriert werden können als in dieser brisanten, vielschichtigen sowie kunstvoll geschichteten Familien- und Zeitgeschichte.

Titelbild

Michael Wolffsohn: Deutschjüdische Glückskinder. Eine Weltgeschichte meiner Familie.
dtv Verlag, München 2017.
432 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783423281263

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch