Fast schon erbaulich

Michel Houellebecq führt uns in Schopenhauers Gegenwart

Von Caroline MannweilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Mannweiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Quantitativ gesehen steckt in dem kleinen Bändchen In Schopenhauers Gegenwart mehr Schopenhauer als Houellebecq – was ja aber nicht unbedingt ein Nachteil ist. Das würde wahrscheinlich sogar Houellebecq so sehen, denn er gibt selbst zu, in seinem Leben keine philosophischen Gedanken produziert zu haben und so wie er das einschätzt, werden ihm die auch nicht mehr kommen. Sei’s drum, die, die ihn mögen, mögen ihn ohnehin eher wegen seiner Romane und die, die ihn nicht mögen, tun dies zwar auch wegen seiner Romane, mehr noch aber wegen seiner teilweise doch etwas abstrusen ‚Thesen‘, die er, wenn er sich denn einmal nicht literarischer Formen bedienen muss, produziert. Von solchen ‚Thesen‘ sieht Houellebecq in Schopenhauers Gegenwart weitgehend ab und liefert sogar in gewisser Weise eine Apologie für alles, was er je in Interviews von sich gegeben hat. Denn wer ein ordentlicher Künstler sei, so erfahren wir in Schopenhauers Gegenwart, könne Interviews nicht wirklich ernst nehmen und sie folglich nur als Spiel praktizieren, bei dem man eben irgendwelche Antworten erfindet – ein schöner Beleg für eine Vermutung, die nicht wenige Leser seiner Interviews schon immer gehegt haben.

Ob sich daraus aber folgern lässt, dass es Houellebecq lieber sähe, wenn man ihn nicht so ernst nähme, darf bezweifelt werden. Denn die Abwertung des „Künstlerinterviews“ geht bei Houellebecq mit einer starken Aufwertung des Künstlers einher, womit Houellebecq nicht nur sich meint, sondern eben alle ‚wahren‘ Künstler. Die Ausdrucksweise mag in diesem Fall erlaubt sein, denn Houellebecq nutzt Schopenhauer nicht zuletzt als Gewährsmann für einen durchaus emphatischen Kunstbegriff. Dabei schließt er recht unumwunden von Schopenhauers Ausführungen zur Schau der Idee, in der das Subjekt „aus aller Relation zum Willen getreten ist“ auf die Bedeutung der „klaren Kontemplation“, der nun einmal, so Houellebecq, gerade der Künstler in besonderer Weise fähig ist. Es sei die „Veranlagung zur passiven und gleichsam gefühllosen Betrachtung der Welt“, die den Künstler ausmache und die, da angeboren, auch nicht erlernbar sei, weshalb „die bestmögliche Reform der Kunsthochschule darin [bestünde], sie zu schließen.“

Von dieser Auffassung mag man nun halten, was man will, in erster Linie spricht sie für Houellebecqs Selbstverständnis als Künstler, dem diese Aufgabe qua Talent, ja man möchte sagen, qua Genius zufällt. Dies ist nun aktuell keine ganz leicht zu vertretende Auffassung, wenn sie auch zumindest insofern abgemildert erscheint, als Houellebecqs Genius ein dezidiert „passiver“ ist – für nietzscheanischen Willen zur Macht gänzlich unempfänglich. Wie überhaupt Nietzsche in Schopenhauers Gegenwart nicht besonders gut wegkommt. Houellebecq hielt ihn früh für unmoralisch (sieh an!), wenn ihm auch seine „Geisteskraft“ imponierte. Dass er eine solche auch bei Schopenhauer vorfindet, ist evident: „[Schopenhauer] stellte die Wahrheit systematisch über die Originalität, was für jemanden von seinem Niveau alles andere als einfach gewesen sein muss.“

Bekanntlich hat Houellebecq mitunter einen anderen Weg gewählt, und doch dürfte nach der Lektüre von Schopenhauers Gegenwart klar sein, dass Houellebecq sein Werk durchaus als Dienst an der Wahrheit oder zumindest als grundsätzlich ‚positiven‘ Beitrag zur Gesellschaft verstanden wissen möchte. Denn er beschließt den Text – und man darf vermuten wohl überlegt – mit einem längeren Passus, in dem Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit Menschen, die trotz „angeerbten Vermögens“ weder philanthropisch noch in irgendeiner Weise künstlerisch oder wissenschaftlich tätig sind oder diese Aktivitäten zumindest unterstützen, als „bloß[e] Tagedieb[e] und verächtlich“ bezeichnet. Ein überraschendes Ende für einen Essay, den man erst einmal nicht im Verdacht sah, ein Appell für Wohltätigkeit oder bildungsbürgerliches Engagement zu sein. Aber ein bisschen darf man ihn ruhig so lesen.

Dass damit natürlich kein politisches Engagement gemeint ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Zu solchen Zugeständnissen an emanzipatorische Ideale lässt sich ein Houellebecq schlicht nicht bewegen: „Auch wenn die Welt als Ganzes inakzeptabel ist, darf man durchaus eine spezielle Verachtung für das Leben im Besonderen empfinden. Nicht für das ‚menschliche Leben’ – für das Leben.“ Nun ist Houellebecq nicht der erste, und wohl auch nicht der letzte etwas pessimistisch gestimmte Mensch, der in Schopenhauer Trost finden konnte. Und auch wenn seine illustren Vorgänger wie Kafka oder Beckett nicht gleich Essays über ihre Schopenhauer-Lektüre verfassten, so kann man es Houellebecq kaum verdenken, dass er andere an seiner persönlichen Trosterfahrung teilhaben lassen möchte. Seine Freude über die zitierten Schopenhauer-Passagen ist dem Text deutlich anzumerken, und wer Schopenhauer schätzt, wird diese Freude bereitwillig mit ihm teilen. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Michel Houellebecq: In Schopenhauers Gegenwart.
Übersetzt aus dem Französischen von Stephan Kleiner.
DuMont Buchverlag, Köln 2017.
79 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783832198824

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