Von einem, den sein komfortables Genfer Leben ankotzt

„Das Jahr der Frauen“, Christoph Höhtkers dritter Roman mit der Hauptfigur Frank Stremmer

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was soll man von einem halten, der sich Anfang des Jahres vornimmt, in den kommenden zwölf Monaten pro Monat „eine Frau zu verbrauchen“? Prostituierte ausgenommen. Ist das ein Sexsüchtiger, ein Beziehungsgestörter, ein Irrer? Mag sein, dass Frank Stremmer, Deutscher Anfang 40, mit Wohnsitz und Arbeitsplatz in Genf, ein bisschen von alledem ist, doch das reicht bei weitem nicht aus, diese komplexe und äußerst ungewöhnliche Romanfigur zu charakterisieren. Sein Schöpfer, der Schriftsteller Christoph Höhtker, lebt ebenfalls seit einigen Jahren in Genf, weiß also, worüber er geografisch schreibt.

Stremmer arbeitet bei der GEF, der Global Enhancement Foundation, einer weltweit geachteten Nichtregierungsorganisation, die es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, unterschiedlichste internationale Akteure zusammen zu bringen, Austausch unter ihnen zu ermöglichen und zu fördern, weswegen ihr Leitspruch auch folgerichtig „Communicating for a better tomorrow“ lautet. Stremmer, der sich selbst als „Textproduktionslastesel“ bezeichnet – eine von vielen treffenden ironischen Wortschöpfungen Höhtkers ‑, ist für das Unternehmensblatt „GEF latest“ in der Abteilung Interne Kommunikation zuständig. Wir schreiben das Jahr 2013, das letzte vollständige Arbeitsjahr des Gründers und Executive Chairmans (EC) der GEF, Raphael Gonzales-Blanco. Dieser hat es sich zum Ziel gesetzt, unter anderem einige für ihn wichtige Reisen zu unternehmen, um an den Zielorten eigene Niederlassungen zu besuchen und noch einmal wichtige Meetings abzuhalten. Stremmer und sein Kollege Lynberg sollen ihn dabei begleiten, ebenso seine direkte Vorgesetzte Liz Stevenson. Grund dafür ist das sogenannte „Valparaiso“-Projekt, Gonzales-Blanco benötigt seine Kommunikationsleute für ein Denkmal: Sie sollen seine Biografie schreiben.

Was diese Arbeitsplatzbeschreibung mit der oben genannten Idee der zwölf Frauen in einem Jahr zu tun hat? Nun, Stremmer ist ein Mann, der beruflich offenbar unterfordert ist, ein Mensch, der sich außer für Frauen, Drogen und (eigene) Texte kaum für etwas intensiv interessiert oder gar begeistert. Er muss sich also Ziele setzen, Herausforderungen kreieren. Er lebt allein, trifft ab und zu in der Tiefgarage den von ihm so genannten „Freizeitmann“, einen Nachbarn, mit dem er ein paar Floskeln austauscht, das warʹs. Doch Höhtker psychologisiert erfreulicherweise kein bisschen, das überlässt er dem Leser, der in Stremmer einen Nihilisten mit Selbst- und Weltekel sehen kann, einen Erotomanen mit Hang zu Zynismus. Die psychologische Einordnung, wenn diese denn überhaupt möglich ist, delegiert der Autor an eine bemitleidenswerte Romanfigur, den Psychotherapeuten Dr. Niederegger, bei dem Stremmer unregelmäßig Termine wahrnimmt und den er in eine Wette zu zwingen versucht ‑ eben die Geschichte mit den zwölf Frauen. Sollte er, Stremmer, die Wette (in die  der Arzt gar nicht eingewilligt hat, doch mit solchen Kleinigkeiten hält sich Stremmer gar nicht erst auf) gewinnen, dürfe er sich anschließend umbringen. Das birgt zwar einiges dramatisches Potential in sich, wirkt aber über die Länge des Romans nicht wirklich als ernst gemeinte Option.

Trotzdem macht sich Stremmer mit Eifer an die Umsetzung seines Plans, findet gleich im Januar über ein Datingportal eine Zürcher Künstlerin ‑ so kann es weitergehen. Höhtker beschreibt weitere Treffen mit unterschiedlichen Frauen, so ganz genau erfährt der Leser nicht immer, ob diese Treffen Erfolg haben, manche Kontakte stellt Stremmer während der Reisen mit dem EC Gonzales-Blanco her, andere kommen online zustande, in einem Fall erleidet der eher erfolgsverwöhnte Frauenheld Schiffbruch. Doch Das Jahr der Frauen stellt dieses Thema nicht unbedingt in den Vordergrund. Der Roman ist keine Freude für Voyeure oder „Stellensucher“, so plump ist Höhtker natürlich nicht, auch wenn er die eine oder andere explizite Szene einbauen muss. Vielmehr zeigt der Autor, der mit diesem Buch bereits den dritten Teil rund um Frank Stremmer vorlegt (2013 erschien Die schreckliche Wahrheit des Lebens an meiner Seite im Berlin Verlag, 2015 folgte Alles sehen im Ventil Verlag), einen Expat, der für seine Umgebung, seinen Job, seinen Chef nichts als Verachtung übrig hat, der sich – schönes Symbol – seit geraumer Zeit mit einer Kurzgeschichte um das Thema Zwiebel schwertut und der blitzgescheit Menschen in seinem Umfeld mit fiktiven Kurzbiografien ausstattet, die als erzählerisches Mittel enorm viel zur Vielseitigkeit dieses Buches beitragen. Das ohnedies sehr kurzweilig und formal variantenreich ist, da Höhtker häufig E-Mails einbaut, Gedichte einer verflossenen Geliebten, an der er noch immer leidet, zitiert, ganze Passagen – vor allem aus der Berufswelt – in englisch und seltener in französisch schreibt.

Das hält den Roman auf recht hoher Betriebstemperatur und fordert dem Leser durchaus Aufmerksamkeit und Konzentration ab, was reich belohnt wird, da Das Jahr der Frauen äußerst unterhaltsam und spielerisch ist. Dass der Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017 gelandet ist, verwundert nicht, eher schon, dass er es nicht auf die Shortlist geschafft hat, wo er durchaus hingehört, was allerdings einigen Mut seitens der Jury erfordert hätte. Denn Das Jahr der Frauen tut stellenweise weh, pfeift dann und wann auf Moral, ist gerade deshalb sehr erfrischend und muss Vergleiche mit Büchern von Michel Houellebecq oder Christian Kracht nicht scheuen. Durch seine handwerklich großartigen, inhaltlich oftmals irritierenden Dialoge empfiehlt sich dieses Buch geradezu, verfilmt oder auf die Bühne gebracht zu werden. Und gegen Ende gibt es noch eine beinahe schon an Denis Johnson erinnernde Afrikaepisode – auf die ganz zu Anfang des Romans bereits verwiesen wird ‑, die dem Buch fast einen politthrillerhaften Drall gibt.

Titelbild

Christoph Höhtker: Das Jahr der Frauen. Roman.
Weissbooks, Frankfurt am Main 2017.
250 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783863371180

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