Ingrid Bergman – eine Frau mit vielen Facetten

Thilo Wydra erzählt das Leben das schwedischen Filmstars neu

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 100. Geburtstag von Ingrid Bergman vor zwei Jahren brachte nicht nur ihr Konterfei auf das offizielle Plakat der Filmfestspiele von Cannes, sondern auch einen umfangreichen Bildband von ihrer Tochter Isabella Rossellini als Herausgeberin hervor sowie einen Film mit selbstgedrehten Aufnahmen aus ihrem Leben unter dem Titel I am Ingrid Bergman, die ihre vier Kinder kommentierten. Außerdem hat sie ihre Autobiografie in Zusammenarbeit mit Anthony Burgess veröffentlicht. Daneben liegen weitere Monografien anderer Autoren vor.

Weshalb lohnt es sich also, die vorliegende Biografie zu lesen? Vor allem deshalb, weil Thilo Wydras Gespräche, insbesondere mit ihren Kindern, aber auch anderen ihr nahestehenden Personen in Zusammenhang mit der erstmaligen Auswertung von Archivmaterial aus den amerikanischen Wesleyan Cinema Archives aus ihrem Nachlass ein ausgewogeneres und stellenweise auch kritischeres Bild von Bergman zeigen, als das in den bisherigen Veröffentlichungen der Fall war.

Die Lebensstationen der Schauspielerin sind aus den vorhergehenden Publikationen bereits bekannt: ihr behütetes Heranwachsen als Vollwaise nach dem Tod ihrer Eltern Justus Bergman und Friedel Adler in Stockholm und Hamburg, die ersten Ehejahre mit Ehemann Petter Lindström und der Tochter Pia sowie der sich schon früh einstellende Erfolg in Schweden und die Dreharbeiten für die Ufa in Berlin. Es folgte der Weggang nach Hollywood mit dem Karriere-Durchbruch unter der Regie Alfred Hitchcocks und anderer namhafter Regisseure in Filmen wie dem Klassiker Casablanca (1942), Spellbound (1945) und Under Capricorn (1949), deren Höhepunkt für die Schauspielerin eigentlich die langersehnte Traumrolle der Jeanne d’Arc auf der Bühne und im Film darstellen sollte.

Der erwartete Erfolg des Films traf aber nicht ein und Bergmans Karriere geriet ins Stocken; in ihrer Ehe kriselte es nach mehreren vorangegangenen Affären unter anderem mit Co-Stars bereits seit längerem. Dies war für sie Anlass für den Ausbruch aus ihrer Ehe und den 1948/49 erfolgten Weggang nach Italien an der Seite des italienischen Meisterregisseurs Roberto Rossellini, was langjährige schmerzhafte Verwicklungen mit ihrem zurückgelassenen Ehemann und ihrer Tochter samt internationalem Medienskandal nach sich zog.

Zusätzlich angeheizt wurde dieser durch den Umstand, dass Bergman von Rossellini die erst nachträglich rechtlich legitimierten Kinder Robertino und die Zwillinge Isabella und Isotta Ingrid bekam. Die Aufnahme der sechs Filme (unter anderem Stromboli 1950 und Viaggio in Italia 1954), die sie mit Rossellini drehte, blieb bei Kritik und Publikum lange davon überschattet. Erst die spätere Generation der französischen Nouvelle Vague-Regisseure brachten diesen filmischen Werken Wertschätzung aufgrund ihrer neuartigen Darstellung der inneren Zerrissenheit moderner Menschen entgegen.

Die nunmehr zweite Ehe Bergmans scheiterte in den späten 1950er Jahren neben dem mangelnden Erfolg ihrer Filme mit Rossellini wohl auch an der mentalen Unvereinbarkeit zwischen den verschiedenen Lebenswelten der nordischen Protestantin und des katholisch geprägten Italieners. Auch diese Ehe zog es nach sich, dass sie die Kinder bei ihrem geschiedenem Ehemann lassen musste: Rossellini wollte den neuen Mann an ihrer Seite, den schwedischen Regisseur Lars Schmidt, partout nicht akzeptieren, geschweige denn ihm seine Kinder überlassen.

Zeitgleich begann die zweite und abschließende Karriere Bergmans in Frankreich, Amerika und England in Theater und Film unter der Obhut von Regisseuren wie Jean Renoir, mit dem sie leider nicht ihren besten Film drehte, nämlich Elena et les hommes. Gekrönt wurde diese Phase von herausragenden Werken wie Cactus Flower (1969) und vor allem Höstsonaten (1978) unter der Regie Ingmar Bergmans. Am Ende ihres Lebens, das von einer tödlich verlaufenden Krebserkrankung überschattet wurde, konnte Bergman auf drei gewonnene Oscars verweisen.

Auch wenn ihr erster Ehemann tief verletzt gegenüber einem ihrer Biografen äußerte, sie sei in Wirklichkeit Kettenraucherin gewesen und eine schwere Trinkerin, zudem promiskuitiv, sie hätte ihre Kinder verlassen und eigentlich nur am Schauspielen Interesse gehabt, sprechen ihre liebevoll-differenzierten Einlassungen über Mutter Ingrid und deren Schauspielkunst gegen ein solches Urteil – das im Übrigen (mit wenigen Abstrichen) beispielsweise auf eine Kollegin wie Romy Schneider ebenso zutreffen würde. Diese umriss die zugrundeliegende Problematik einst mit den Worten, die Schauspielerei sei nun einmal kein bürgerlicher Beruf; Ingrid Rossellini charakterisierte ihre Mutter schlicht als „Spielerin“.

Zur Person Ingrid Bergman gehört auch, dass das Starsystem Hollywoods aus der in Wirklichkeit breitschultrigen, kräftig gebauten und ihre männlichen Filmpartner meist um Haupteslänge überragenden blonden Darstellerin in ihren Filmen häufig eine zarte und anlehnungsbedürftige Frau machte. Die Tränen, die sie in zahlreichen Hollywood-Melodramen vergoss, waren auch nicht echt, sondern aus Glyzerin und sie selbst meinte, sie hätte Angst gehabt, diese niemals loszuwerden. Ohne dieses tugendhafte Leinwandimage wäre der Schock in den Köpfen ihres Publikums über ihren Ehebruch mit Rossellini und ihre unehelichen Kinder mit ihm vermutlich niemals so heftig gewesen, wie angedeutet.

Thilo Wydras Verdienst ist es daher, in seinen Worten das unvergessliche Porträt der komplexen Persönlichkeit Ingrid Bergmans geschaffen zu haben, die eben diese Charaktereigenschaften zum festen Bestandteil ihrer Rollen werden ließ und der ihre Arbeit über alles ging: eben auch über die Erwartungen und Ansprüche ihrer drei Ehemänner und vier Kinder.

Titelbild

Thilo Wydra: Ingrid Bergman. Ein Leben.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017.
752 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783421046734

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