Eine unmögliche Liebe

Helmut Böttiger hat ein sensibles Buch über Paul Celan und Ingeborg Bachmann geschrieben

Von Sebastian MuschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Musch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beide gehören sie zu den Fixsternen im Kanon der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur und haben sich über Jahrzehnte geliebt. Paul Celan und Ingeborg Bachmann trafen sich 1948 in Wien und verbrachten sechs Wochen miteinander, die sie beide über Jahrzehnte aneinander fesselte. Hier prallten zwei Menschen aufeinander, die bei aller Ähnlichkeit doch so unterschiedlich waren. Er wurde in Cernowitz, dem Jerusalem am Pruth, geboren, das sich im Jahre 1948 unter sowjetischer Besatzung befand. Beide Elternteile, wie die meisten Cernowitzer Juden, wurden im Holocaust ermordet. Auf verschlungenem Wege schlug er sich nach Wien durch, wo er rasch in der Literaturszene reüssierte. Sie stammte aus der österreichischen Provinz, die für ihren stürmischen Geist bald zu eng wurde; ihre Familie hatte sich früh dem Nationalsozialismus zugewandt. Die ersehnte Freiheit suchte Ingeborg Bachmann nun in der Metropole Wien. Auch sie konnte bald erste literarische Erfolge feiern. Kurz nach ihrer Begegnung in Wien schickte Celan sein berühmtes Gedicht In Aegypten an Bachmann. Es ist bereits ein erster Hinweis, dass sie einander fremd sind und es auch bleiben werden. Bei aller Liebe konnten Bachmann und Celan nie länger zusammen sein, sie kamen aber auch nicht voneinander los. Ihre jeweiligen Œuvres hinterließ diese intime intellektuelle Verbindung vielfältige Spuren, die sich in der gegenseitigen Bezugnahme, den versteckten Anspielungen und Zitaten zeigen. Ein geheimer Dialog unter den Augen der Öffentlichkeit, dessen Dimensionen Helmut Böttiger in seinem Buch Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan kunstvoll herausgearbeitet hat.

Für lange Zeit war dies eine beinahe unbekannte Geschichte. Erst die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und Bachmann im Jahr 2008 bei Suhrkamp unter dem Titel Herzzeit hat der breiteren Öffentlichkeit die Existenz und Tragik dieser Liebesgeschichte vor Augen geführt. Bereits dieser Band kam nicht ohne die Korrespondenzen zwischen Celan und Max Frisch einerseits sowie Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange andererseits aus. Celan und Frisch, der lange mit Bachmann liiert war, bemühten sich über Jahre um eine Freundschaft, die aber am gegenseitigen Unverständnis scheiterte. Die jeweiligen späteren Partner Celans und Bachmanns sind durch vielfältige Anknüpfungspunkte ebenfalls Teil dieser Geschichte. Folgerichtig spielen auch in diesem Buch Frisch und Celan-Lestrange eine wichtige Rolle. Böttiger, der ja bereits mehrere Bücher über Paul Celan veröffentlicht hat und auch schon zu Ingeborg Bachmann gearbeitet hat, gefällt auch hier als ungemein kundiger Erzähler, der souverän mit seinem Erzählpersonal jongliert und Biografien und Werk kunstvoll verwebt.

Mit Leerstellen geht Böttiger offen um. Manche Briefe sind verlorengegangen und ihr Inhalt nur in Anspielungen spürbar. Telefonate, welche die Zeit zwischen den Briefen überbrücken, werden später nur beiläufig erwähnt, und sind, ebenso wie persönliche Begegnungen, in ihrer Natur ephemer, ihre genauen Abläufe bleiben damit zum Teil spekulativ. Hoch- und Missstimmungen sind im Nachhinein nicht mehr deutlich dechiffrierbar. Bereits die Initialzündung dieser Liebe, jene sechs Wochen im Jahre 1948 in Wien, der Urstoff ihrer Privatmythologie, bleibt für alle Außenstehenden ein dunkler Fleck.

Ein minder feinsinniger Autor wäre vielleicht der Versuchung erlegen, diese Leerstellen mit Gerüchten,  Munkeleien und Andeutungen auszufüllen. Wo die historische Rekonstruktion schwierig ist, besonders wenn es um etwas so intimes wie eine Liebesbeziehung geht, schlägt die Fantasie ja manchmal hanebüchene Kapriolen. Böttiger entgeht dieser Falle. Vorsichtig tastend und dennoch mit Urteilskraft, weist er kenntnisreich auf die Verschränkungen hin, arbeitet die Bezugnahmen in einzelnen Gedichten heraus und betont die biografischen Bezüge. In interpretatorisch starken Passagen zeigt er, dass sich Bachmann und Celan wieder und wieder in den einzelnen Bildern ihrer Gedichte aufeinander bezogen haben und hier auch ihre Liebe verhandelten. Es ist zum Teil, als kommunizierten sie durch ihre Gedichte, übermittelten geheime Botschaften, auch in veröffentlichten Texten, die letztendlich aber nur den beiden verständlich blieben.

Eine weitere Stärke des Buches besteht in den geistesgeschichtlichen Panoramen, die vom Whoʼs who der Nachkriegsliteratur bevölkert sind. Böttiger schreibt ja nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch Literaturgeschichte. Besonders deutlich wird das im Kapitel, das sich mit der Tagung der Gruppe 47 im Jahre 1952 befasst. Celans Auftritt dort, fester Bezugspunkt in der Skandalgeschichte der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, wird prägnant und mit Urteilskraft diskutiert. Böttiger trägt hier die verschiedenen Perspektiven zusammen, um so ein konzises Bild der Tagung zu zeichnen. Ebenso sicher werden Celans Erfahrungen mit dem Antisemitismus der deutschen Literaturszene, die Goll-Affäre, seine verschiedenen Liebschaften und schließlich das Abgleiten in die Geisteskrankheit beurteilt. Auch wenn dies alles bereits vielfach in der Fachliteratur seziert wurde, gewinnen diese Aspekte durch die Gegenüberstellung mit dem Lebensweg Bachmanns an Plastizität. Das Gleiche gilt für ihre Biografie. Bachmanns gescheiterte Ehe mit Max Frisch und ihre Tablettensucht sind eng mit der Liebe zu Celan verknüpft. Warum Böttiger die jahrelange Affäre mit dem Berliner Judaisten Jacob Taubes nicht erwähnt, bleibt allerdings unklar. Dennoch gelingt es ihm, lebendige Porträts von Celan und Bachmann zu zeichnen.

Zu dieser Liebesgeschichte gehört, leider, auch das bittere Ende. Celan begeht 1970 Selbstmord. Unter diesem Eindruck fügt Bachmann dem eigentlich abgeschlossenen Schlüsselroman Malina noch ein Kapitel hinzu: Die Legende der Prinzessin von Kagran. Unschwer erkennbar wird hier die Beziehung mit Celan allegorisiert. Celan taucht hier als Der Fremde auf, ganz so, wie er mehr als 20 Jahre zuvor Bachmann in In Aegypten als Die Fremde bezeichnet hatte. Bachmann stirbt 1973 in Rom unter ebenfalls tragischen Umständen. Helmut Böttiger hat der Liebe zwischen den beiden mit seinem Buch ein literarisches Denkmal gesetzt.

Titelbild

Helmut Böttiger: Wir sagen uns Dunkles. Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017.
270 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783421046314

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