Wie Jane Austen und Franz Kafka doch noch den Nobelpreis erhalten

Eine Randbemerkung

Von Dieter LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Lamping

Mr. Ishiguro erhält den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. Wem der Name wenig sagt, wer auch die Romane dieses Autors nicht kennt, ja nicht einmal deren Verfilmungen, darf dennoch ein wenig gerührt sein. Sara Danius, die Sprecherin des Nobelpreis-Komitees, erklärte vor laufenden Kameras, wie man sich diesen Ishiguro vorstellen müsse: als einen Mix aus Jane Austen und Franz Kafka. Vermutlich ein kräftiger Schuss Jane Austen und ein kleiner Schuss Franz Kafka, das Ganze gut geschüttelt, und schon ist Kazuo Ishiguro angerührt. Anthony Hopkins darf ihn servieren.

Ist es nicht ein bisschen so, als hätten nun auch Jane Austen und Franz Kafka den Literaturnobelpreis erhalten? Verdient haben sie ihn ja längst. Kann man vielleicht aus den zweifellos mit Bedacht gewählten Worten von Frau Danius sogar schließen, dass sie dieses Jahr auch im Gespräch waren? Aber vermutlich hatte Frau Danius die Handy-Nummer von Jane Austens Agenten nicht. So konnte sich das Komitee nicht sicher sein, dass die Lady in den Pausen zwischen den Dreharbeiten zu irgendwelchen neuen BBC-Verfilmungen irgendwelcher ihrer Romane auch die Zeit haben würde, nach Stockholm zu kommen. Nun, das wollte man nicht wieder haben. Und von Franz Kafkas Agenten hatte Frau Danius nicht einmal den Namen. „Max Brod“, wurde ihr wahrscheinlich zugeflüstert. Aber, wo zum Teufel, steckt der? Bei einer Kur mit seinem Freund in einem böhmischen Dorf? Oder am Toten Meer? Nein, auch das war zu riskant. Also Mr. Ishiguro.

Wenn er am 10. Dezember den Preis entgegennimmt, werden auch Jane Austen und Franz Kafka im Geiste anwesend sein. Und wer weiß: Vielleicht finden ihre Geister ja etwas aneinander, nachdem Frau Danius sie miteinander bekannt gemacht hat. Gewiss, Herr Kafka mit seinen Fledermausohren ist kein Mr. Darcy, aber seine gutgeschnittenen grauen Anzüge könnten gleichwohl die Zustimmung von Ms Austen finden. So dürfte er ihr schon seine Aufwartung zum Tee machen.

Und Dr. Kafka, wenn er ihren Geist bemerkt, mag sich überlegen, ob er sich nicht noch einmal verlobt. Sie wohnt sehr weit weg, ein Treffen ist praktisch ausgeschlossen. Eine gute Voraussetzung für eine Verlobung, mit angeschlossenem Briefwechsel. Dessen Potenzial schätzt er spontan auf etwa 600 Postkarten. Den ersten Satz hat er sofort im Kopf: „Sehr geehrtes Fräulein! Für den leicht möglichen Fall, daß Sie sich meiner auch im geringsten nicht mehr erinnern können, stelle ich mich noch einmal vor“.  Den Titel weiß er auch bereits: Briefe an Jane. Das klingt fast nach Ishiguro. Frau Danius täte gut daran, sich schon einmal den Titel und den ersten Satz zu merken, für die Beratungen im nächsten oder übernächsten Jahr.

Die Glosse ist der erste Beitrag zu Dieter Lampings neuer Kolumne: Randbemerkungen eines Lesers.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz