Geheimer Deal zwischen Stasi und RAF

Frank Wilhelm dokumentiert und untersucht die Unterstützung der terroristischen Vereinigung durch die DDR

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zur Geschichte der RAF gehört auch die lange nicht bekannte Tatsache, dass die DDR in den 1980er Jahren mutmaßlichen Terroristen und Helfershelfern ein Asyl anbot – und das in einer Zeit, als die SED-Führung um internationale und völkerrechtliche Anerkennung bemüht war. Trotzdem gewährte man zehn „kampfesmüden“ RAF-Aussteigern nicht nur Asyl, sondern auch eine neue Legende, mit der sie über Jahre hinweg mit falschem Namen und neuer Biografie in der DDR leben konnten. Erst nach der politischen Wende, mit der Auflösung der Stasi-Zentralen im Juni 1990, wurden sie enttarnt und festgenommen. Die Hintergründe dieser Stasi-RAF-Connection waren jedoch lange Zeit weitestgehend unbekannt.

Der Journalist der Tageszeitung „Nordkurier“ Frank Wilhelm enthüllt nun in seiner Dokumentation „RAF im Osten“, wie die Staatssicherheit den höchst geheimen Deal einfädelte. Auf knapp 200 Seiten beleuchtet Wilhelm detailliert und faktenreich das DDR-Leben der Linksterroristen der zweiten Generation. Dafür hat er in Stasi-Archiven recherchiert und zahlreiche Dokumente und Akten gefunden, mit denen er das Leben der RAF-Aussteiger nachzeichnen konnte.

Zunächst setzt sich Wilhelm mit dem internationalen Terrorismus und der DDR auseinander. Obwohl der Terrorismus offiziell ablehnt wurde, tolerierte man die Terroristen aus der BRD und dem arabischen Raum. Diese unterschwellige Sympathie resultierte daraus, dass man in dem westdeutschen Staat den gleichen politischen Feind wie diese sah.

Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen die Geschichten von Silke Maier-Witt – „eine der wenigen Ex-Terroristen, die sich zu ihren Taten bekennt und darüber spricht“, so Wilhelm – sowie Henning Beer, der ebenfalls nach seiner Festnahme im Juni 1990 die Beteiligung an vier Terrorattentaten gestand und darüber umfangreiche Aussagen machte. Für Silke Maier-Witt erfand die Stasi den fingierten Lebenslauf von „Angelika Gerlach“. Gleichzeitig erhielt sie offiziell die Staatsbürgerschaft der DDR. Zunächst „delegierte“ man sie nach Hoyerswerda, wo sie als Hilfskrankenschwester im Bezirkskrankenhaus arbeitete. Doch wegen „sicherheitsrelevanter Probleme“ (sprich Enttarnung) wurde sie nach Erfurt geschickt, wo sie später ein Fernstudium an der Medizinischen Fachschule aufnahm. Als Inoffizielle Mitarbeiterin des MfS war sie „zentrale Verbindungsperson“ zu den anderen RAF-Aussteigern in der DDR. Nach einer erneut drohenden Aufdeckung ihrer Identität (der Bundesnachrichtendienst war ihr auf die Spur gekommen) wurde aus „Angelika Gerlach“ in Erfurt „Sylvia Beyer“ in Neubrandenburg.

Am Beispiel von Maier-Witt schildert Wilhelm den irrwitzigen Aufwand der Stasi, damit Tarnungen nicht aufflogen und bekannt wurde, was der Arbeiter-und-Bauern-Staat in Zeiten der offiziellen Entspannungspolitik zwischen Ost und West hinter den Kulissen trieb. So wurde der Ex-RAF-Kämpferin auf Kosten der Stasi sogar die etwas schiefe Nase gerichtet und ein anderes Outfit verpasst. An den Biografien von Susanne Albrecht, Inge Viett und Henning Beer zeigt der Autor ebenfalls, wie die Stasi die RAF-Aussteiger nicht nur mit einer neuen Identität sondern auch mit Wohnungen, Arbeitsplätzen und Finanzmitteln versorgte. Dabei wurden meist Wohnorte weit weg von der Westgrenze ausgesucht, denn die Nähe zur Bundesrepublik stellte ein Sicherheitsrisiko dar. Selbst um die Liebes- und Ehebeziehungen seiner RAF-Zöglinge kümmerte sich das MfS.

Schon wenige Tage nach der Festnahme der RAF-Aussteiger in der DDR begann die Diskussion darüber, wer aus der SED- und Stasi-Führung von diesem Deal gewusst hat. Stasi-Chef Mielke war von Anfang an eingeweiht. Entsprechende Belege für Erich Honecker wurden bislang nicht gefunden. Wilhelm geht allerdings davon aus, dass der erste Mann im Staat auch über eines der größten Staatsgeheimnisse der DDR Bescheid wusste.

Im Abschlusskapitel „Die RAF und noch kein Ende“ geht Wilhelm dem Verdacht nach, dass drei der damals in der DDR Untergetauchten (Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg), die bis heute von der Bildfläche verschwunden sind, vermutlich verantwortlich sind für einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindliche Justizvollzugsanstalt im hessischen Weiterstadt (1993) sowie einen Überfall auf einen Geldtransporter in Duisburg (1999). Zwei misslungene Überfälle in Stuhr bei Bremen sowie in Wolfsburg im Jahr 2015 sollen ebenfalls auf ihr Konto gehen. Wahrscheinlich sei ihnen einfach das Geld ausgegangen, vermutet Wilhelm. Die Namen, Decknamen, IM-Namen und Aufenthaltsorte der RAF-Terroristen in der DDR listet noch einmal ein Anhang auf, der durch eine kurze Chronologie des Terrors sowie zwei Interviews (mit Silke Maier-Witt und dem RAF-Experten Tobias Wunschik) komplettiert wird.

Neben den Lebenswegen der Ex-RAF-Terroristen geht es Frank Wilhelm vor allem um die Gründe der geheimen Beziehungen zwischen Stasi und RAF. Trotz der ideologischen Gemeinsamkeiten gab es aber nur zögerliche Kooperationen, da die DDR-Seite terroristische Aktivitäten auf ihrem eigenen Staatsgebiet befürchtete. Auf den 200 Seiten werden alle wichtigen Aspekte, Akteure, Ereignisse und Rahmenbedingungen mit einbezogen. Zugleich kommen zahlreiche Zeitzeugen wie Nachbarn, Kollegen und Bekannte zu Wort. Wo Fragen noch offen bleiben, ist dies nicht dem Autor anzulasten. Vielleicht bringen später wieder zusammengesetzte Akten des MfS noch mehr Licht in das Dunkel der Stasi-RAF-Connection. Wohltuend verzichtet Wilhelm auf Spekulationen und jegliche Polemik; er macht aus dem sicher bizarren Thema keine journalistische Agenten-Story, sondern hält sich stets an die Fakten.

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Frank Wilhelm: RAF im Osten. Terroristen unter dem Schutz der Stasi.
Nordkurier Mediengruppe, Neubrandenburg 2016.
200 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783946599128

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