Von einer Prinz-Prinzessin namens Hannibal

Melanie Laibl und Michael Roher erzählen und zeichnen ein Märchen aus heutiger Zeit

Von Jörn MünknerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörn Münkner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der deutschsprachige Kinderbuchmarkt ist reich an alten und neuen Titeln. Es gibt weniger geglückte, aber auch ganz wunderbare Bücher. Für fast alle Interessen und Geschmäcker findet sich etwas, vom Märchen und der Indianererzählung, vom Reiseabenteuer bis zur Depressionsgeschichte. Ein Themenbereich, der bis vor Kurzem weniger populär war, betrifft die Unfestigkeit geschlechtlicher Identitäten. Genau dieses Phänomen adressiert das Bilderbuch Prinzessin Hannibal von Melanie Laibl und Michael Roher, das im Wiener Luftschacht-Verlag für zeitgenössische Literatur erschienen ist.

Das Autorenduo präsentiert eine Geschichte, deren Plot der erste Satz zusammenfasst: „Es war einmal ein Prinz, der wollte lieber eine Prinzessin sein.“ Wie dieses Wollen zu Tatendrang führt, welche Aktivitäten der junge Protagonist, Prinz Hannibal Hippolyt Hyazinth, unternimmt, um sein Ziel zu erreichen, wird auf 28 unpaginierten Seiten vermittelt. Da sind zum einen die Vorstellungen, was ein Junge „normalerweise“ tut und will, zumal wenn er der Thronnachfolger ist und sein erster Vorname den antiken Feldherrn mit den Elefanten und der Alpenüberquerung heraufbeschwört. Hannibal interessiert weder das Spiel mit Zinnsoldaten noch das Anlegen von Kettenhemden oder das Lärmen mit Trompeten, geschweige denn sein Vorname. Statt „links, zwo, drei, vier mit Leutnant im Florett“, begeistert ihn „eins, zwei und drei mit Mademoiselle Menuett“. Zum anderen muss Hannibal seine Herzenswünsche mit sich selbst ausmachen, denn Herr König und Frau Königin sind so eingespannt, dass sie ihrem Sohn keinen Rat zu geben verstehen.

Ein Märchen aus heutiger Zeit wird hier präsentiert. Die Quest des jungen Prinzen veranschaulicht, wie es sein kann und wie es sich anfühlen mag, wenn man naturgegeben nicht hat, was man sich wünscht. Bei Hannibal ist es das andere Geschlecht, das sich nicht etwa dadurch erlangen lässt, dass man Zwergen den Haushalt besorgt, auf einer Erbse schläft oder kirschrote Ochsenfrösche küsst. Zu diesen Einsätzen raten ihm fünf seiner sieben Schwestern. Anhand der unerfüllbaren Voraussetzungen, die diese richtigen Prinzessinnen nennen, machen sie Hannibal zugleich, frei- oder unfreiwillig, auf die Zumutungen aufmerksam, die sich nach einer „prinzesslichen“ Verwandlung ergeben können: Königstochter zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Die zwei anderen Schwestern haben indessen einen praktikablen Lösungsvorschlag: Der Bruder brauche sich nur entsprechend zu kostümieren, denn in jedem Prinzen stecke „von sich aus ein Fünkchen Prinzessin […], das man zum Lodern bringen könne, wann immer man es wolle.“ Hannibal, der ohnehin begnadet Quadrille zu tanzen versteht, wirkt dank dieses Kunstgriffs tatsächlich so authentisch weiblich, dass er nicht nur für eine  Prinzessin gehalten wird, sondern sich auch selbst „zum Greifen nahe“ wie eine fühlt.

In diesem Märchen – längst nicht nur für Kinder – melden sich auf jeder Seite auch alltägliche(re) Herausforderungen und Belange: etwa die Schwierigkeiten, alle Aufgaben unter einen Hut zu bekommen, sich im respektvollen Miteinander zu bewähren und den eigenen Herzenswünschen nachhaltige Aufmerksamkeit zu schenken. Das Buch bedient eine poppige Schablonenästhetik, die Bilder muten wie Scherenschnitte an, die vor allem in rot, schwarz, unterschiedliche Blautöne und beige gesetzt sind. Die Schriften der Textblöcke mit Initialen wechseln, wodurch der dynamische Eindruck des Layouts verstärkt wird. Die Geschichte, die mit Sicherheit nicht nur für „Helden in Blümchenstrumpfhosen“ interessant ist, bietet gute Unterhaltung und regt zum Nachdenken über die Normalität einer Alteritätsempfindung an, wie sie Prinz Hannibal erlebt. Der zeitgenössische, anspruchsvolle wie auch flippig-kolloquiale Sprachgebrauch hilft, die Frage zu beantworten, für Personen welchen Alters sich die Thematik empfiehlt: Zu jung können die Leser, sollten aber auch die Betrachter nicht sein. Moderne Utensilien, extravagante Kostüme und „schräge“ Figuren tragen zu tollen Bildern bei. Ein König, der mit Handy telefoniert, sich dabei die Nägel rot lackiert und dem der Bart seine mit Rouge verzierten Wangen ornamentiert, zitiert Conchita Wurst. Die Königinmutter belegt exotische Fernkurse und ihr Perlendiadem ziert das Fledermaus-Logo von Batman. So übersetzt sich das Märchen vom Prinzen, der in einen Frosch verwandelt und durch den Kuss einer Prinzessin re-naturiert wurde, in die Geschichte vom jungen Dragqueen-Prinzen, und zwar als Märchen von den spezifischen Metamorphosen unserer Zeit, die wieder Neues hervorbringen. Wo im Buch „Ende“ steht, ist folgerichtig „und Anfang“ hinzugefügt.

Titelbild

Melanie Laibl: Prinzessin Hannibal.
Mit Illustrationen von Michael Roher.
Luftschacht Verlag, Wien 2017.
32 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783903081123

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch