Coco, Kennedy, Kunst und Kaiser

Rolf Hochhuth lässt in Chanels Atelier Ikonen der 1960er Jahre diskutieren

Von Anne Amend-SöchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Amend-Söchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich schreibe ja gerade ein Stück, in dem Marlene, Coco Chanel, Jackie O. und Picasso die Hauptrollen spielen“, äußerte sich Hochhuth vor etwas mehr als vier Jahren in einem Interview mit Moritz von Uslar. Hochhuth, inzwischen 86 Jahre alt, ganz offensichtlich fit und streitbar wie eh und je, hat mittlerweile den Maler durch den Komponisten ersetzt, denn anstelle von Pablo Picasso ist Igor Strawinsky mit von der Partie. Am 6. Juni 1968, just an dem Tag, als Robert F. Kennedy, Jackies Schwager, ermordet wird, treffen sich in Coco Chanels Pariser Atelier vier Berühmtheiten der 1960er Jahre. In lockerer Abfolge diskutieren sie über Themen, die dem Autor des Stückes bekanntermaßen am Herzen liegen: politische Entwicklungen der Nachkriegszeit im Allgemeinen und die Rolle des Staates bei der Ermordung ihm unbequemer Menschen im Besonderen, daneben die Interdependenz von Kunst- und Regierungsform sowie die Unbeständigkeit, konkret die wechselnden Stilrichtungen in Mode und Kunst.

Vor dem eigentlichen Beginn der „2 Akte für 6 Spieler“ heißt es jedoch, sich durch acht Seiten Autorenrede zu kämpfen, eine Mischung aus Hintergrundinformationen und Bühnenanweisungen, in der große Skepsis gegenüber den USA durchklingt. Hochhuth konzentriert sich nicht nur auf das folgende Stück, sondern bewegt sich sprunghaft und nicht immer motiviert durch verschiedene Zeitebenen, so etwa von 1968 in das Jahr 2013 hinein, als Edward Snowden den „Terror des Weißen Hauses“ zu spüren bekam. Dann fokussiert er Coco Chanel, ihre Flucht aus Frankreich in die Schweiz im Jahre 1944 und ihre Liebe zur Belle Epoque, insbesondere zur Kaiserin Eugénie, deren Porträt inmitten ihrer acht Hofdamen, 1855 von Franz Winterhalter gemalt, unbedingt Teil des Bühnenbildes sein müsse. Das Gemälde sei nach dem Siegeszug der Moderne in Europa „schmachvoll als Kitsch“ abgekanzelt worden. Darüber hinaus, so eine These Hochhuths, die im Stück selbst immer wieder einmal variiert wird, „haben nirgendwo auf der Welt Demokratien auch nur annähernd ähnlich die Künste gefördert“ wie etwa das französische Kaiserpaar im Paris des Zweiten Kaiserreichs oder die Hohenzollern im Berlin des 19. Jahrhunderts.

Im ersten Akt geben sich zunächst Coco Chanel und Jackie Onassis ein Stelldichein, Jackie als Kundin der Chanel, die nach vierjähriger Trauerzeit erstmals wieder Farben tragen wird. Die Rede kommt auf den Maler und Bildhauer Aristide Maillol, der Kollaboration bezichtigt, anscheinend vom französischen Staat ermordet, dann auf das „Gegenstandslose“ in der Kunst, das nur noch als Stoffmuster tauge – „Wie viele Paul Klee-Bilder schmücken jetzt den Po schön gewachsener Damen!“ – und schließlich auf das Attentat an John F. Kennedy, für das ein Unschuldiger verantwortlich gemacht worden sei. Als Marlene Dietrich eintrifft, plätschert das Gespräch lose weiter, touchiert insbesondere die Vergänglichkeit der Mode und die „Kunstsinnigkeit der Fürsten“. Mit Strawinsky, der das Quartett vervollständigt, geht es noch einmal hin zum Thema Mord an Kennedy und zur Rolle der Geheimdienste, bevor der Wunsch des Komponisten, das Leben der Minna Wagner als Musical zu vertonen und schließlich Adolf Hitlers vermeintliche Impotenz, die ein Ziegenbiss in seiner Kindheit verursacht habe, im Zentrum stehen.

Der 2. Akt führt alle in Chanels Garten, an Picassos Les Demoiselles d’Avignon vorbei. Von Strawinsky am Klavier begleitet, singt Marlene Dietrich das Lied Dem unbekannten Soldaten, das Hochhuth von Herbert Grönemeyer vertonen ließ. Dabei sollen auf der Bühne unbedingt zwei Aquarelle von Menzel zur Schlacht von Königgrätz zu sehen sein. Noch einmal geht es hier um die Rolle der Kunst in der Demokratie – um Demokraten, „zehnmal reicher als die Fürsten“ und vermeintliche Todfeinde der Demokratie. In Deutschland gebe es diese ohnehin nicht, denn die große Koalition sei das „Anti-Demokratische schlechthin“, nur „Absprache-Quatsch“. Strawinsky problematisiert seine aktuellen Kompositionen, eine Heimkehrer-Ballade von Boris Pasternak, Marlene rezitiert Sonette, bevor auch Johann Wolfgang von Goethe erwähnt wird, der in Weimar deshalb sofort das schönste Haus am Markt besessen habe, weil der 18-jährige Herzog, der Goethe aus Frankfurt mitgebracht habe, seine 36-jährige Mutter an ihn habe loswerden wollen. Und just in dem Moment, als Jackie sagt, dass sie nun endlich wieder Farbe tragen wolle, tritt der Pariser Militärattaché der amerikanischen Botschaft in das Atelier, um ihr mitzuteilen, dass ihr Schwager ermordet worden ist.

Hochhuth wirbelt ein breites Potpourri an Themen auf, als deren Kern immer die Schelte der Demokratie auszumachen ist. Gegenüber monarchisch geprägten Staatsformen, insbesondere gegenüber Staaten, in denen es Monarchie und Parlament gibt, gerät ihre reale Ausprägung in Hochhuths Augen weit ins Hintertreffen. Ohne jegliche Distanzierung trägt er diese Botschaft im Brustton der Überzeugung in diversen Einsprengseln vor und spiegelt sie in den Gesprächen seiner Dramatis Personae. Manches erzeugt Neugierde (Bemerkungen zu Kennedy und Maillol), manches wirkt belustigend (Anekdoten um Minna Wagner, Goethe und Hitler), manch anderes leicht verschwurbelt, zumindest unbegründet (Abqualifizierung der Impressionisten, Absage an die abstrakte Kunst).

Aufschlussreich könnte die Frage nach der Gattung sein: Dokumentartheater? Episches Theater? Thesentheater? Letzteres ganz bestimmt, vor allem jedoch Diskussions- und Kommentartheater und trotz der ernsten Themen ein bisschen Boulevardstück. Die lyrischen Einschübe bilden zudem eine willkommene Abwechslung in den Diskussionen, Hochhuths Kommentare hingegen wirken eher sperrig. Diese auf der Bühne umzusetzen, dürfte nicht einfach sein. Allerdings stehen ihnen ganz klassisch die drei Einheiten der Zeit, des Ortes und der Handlung gegenüber, deren Beachtung eine Aufführung wiederum erleichtert.

Aber Einheit der Handlung? Besser als von „Einheit“ wäre es allemal, von „Statik“ einer Handlung zu sprechen, die sich mit nur wenigen Worten zusammenfassen lässt. Denn leider bleibt die Diskussion ohne Spannung, nichts ist zu spüren von der symmetrischen Eskalation, die beispielsweise Yasmina Rezas Stücke explodieren lässt. Die Figuren breiten die Belesenheit ihres Schöpfers aus. Dass diese mitunter kuriose Früchte trägt, dürfte deutlich geworden sein. Und dennoch: Hochhuth initiiert das Nachfragen, das Nachforschen, er regt an, macht hellhörig, bleibt, so wie Birgit Lahanns gleichnamiger Titel seiner Biografie, ein „Störenfried“.

Und so nimmt es nicht wunder, dass im französischen Wikipedia-Eintrag zu Aristide Maillol der Passus, dass der Künstler von der französischen kommunistischen Partei getötet worden sei, getilgt werden soll. Noch weniger erstaunt es, dass zu den 3.000 geheimen Kennedy-Dokumenten, die am 26. Oktober 2017 veröffentlicht wurden, gesagt wird, dass das wirklich Geheime in ihnen, sollte es jemals in Schriftfassung existiert haben, schon längst gelöscht worden sei.

Titelbild

Rolf Hochhuth: Bei Coco Chanel. Jackie, Marlene, Strawinsky.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017.
128 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783499273247

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch