Sentimentale Stimmungsautomaten?
Hildegard Kernmayer und Erhard Schütz sammeln elegante Feuilletons über das Feuilleton und das Feuilletonistische
Von Karin S. Wozonig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelbstreflexionen und „Verteidigungen des eigenen Tuns“ aus Feuilletonistenfeder haben die Herausgeberin Hildegard Kernmayer und der Herausgeber Erhard Schütz in ihrer Anthologie Die Eleganz des Feuilletons. Literarische Kleinode versammelt und den Texten Kurzbiografien, Anmerkungen sowie ein ausführliches Nachwort zur „Geschichte und Poetik“ des Genres mitgegeben. Den Stoff für die in dieses Buch aufgenommenen Texte liefern das Feuilleton, der Feuilletonismus und die Befindlichkeit der Feuilletonisten. Und die Leserin staunt: So elegant und witzig kann die schreibende Selbstvergewisserung, so geistreich und anregend ein journalistisches Produkt des täglichen Bedarfs sein.
Bei den vorliegenden Texten handelt es sich um „Literarische Kleinode“ und damit um das Beste des Genres; kaum einem gereicht das hohe Tempo, das typisch für das Feuilleton ist, zum Nachteil. Feuilletons werden schnell geschrieben, zahlreich sind daher auch die Klagen über die mangelnde Qualität dieser journalistischen Produkte in allen Zeiten. Arnold Hahn (1881–1963) zum Beispiel fragt 1926: „Wer rettet unseren ehrwürdigen alten Planeten vor der gänzlichen Verfeuilletonisierung?“ und spricht von einer „Rotte geschwätziger Feuilletonisten“ und „Stimmungsautomaten, die nach alten Vorschriften sentimental werden“. Von ihnen grenzt sich der echte Feuilletonist ab. Alois Nagler, 1907 in Graz geboren und ab den 1930er Jahren in den USA als Theaterwissenschaftler tätig, vergleicht den „wahren“ Feuilletonisten mit dem guten Schauspieler. Aus „innerem Zwang“ sei er Feuilletonist: „Ein Feuilleton wird umso wertvoller sein, je leuchtender und bunter die Farben der dahinterstehenden Gestalterpersönlichkeit durch es hindurchdringen.“ Feuilletonisten wie Alfred Polgar, Karl Kraus, Ferdinand Avenarius oder Hermann Bahr beklagen sich auf besonders hohem Niveau über das niedrige ihrer Zunft. Metadiskurs und Praxis verbindend, sind ihre Texte Plädoyers für das Feuilleton, die Form, die der Moderne gerecht wird. So manche kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Schreiben mündet geradezu in eine Anleitung für das Verfassen von Feuilletons, wie im Gesprächsstück von Theodor Lessing, im Original schlicht Feuilleton betitelt, von den Herausgebern mit dem Schlüsselsatz überschrieben: „Ich denke bei den ernstesten Dingen immer an Fräulein Alma“. Das Fräulein Alma ist die Alma von der Odeonsbar, die nach dem Willen des Feuilletonisten beim Lesen seines Textes glauben soll, was er schreibt, „verstände sich von selbst, und sie könne das auch“. Denn das Feuilleton „muss das Letzte so sagen, dass Fräulein Alma meint, es sei oberflächlich.“
Die Stoffwahl und Themensuche für ein Feuilleton als Thema für das Feuilleton gewährt Einblick in die Werkstatt des Schreibenden. Für Alois Nagler ist es ein Kennzeichen des echten Feuilletonisten, dass er „nie um einen Stoff verlegen“ sei, ihn „springen die Themen an“. Und doch finden sich in der Sammlung auffallend viele Texte, in denen es darum geht, dass dem Feuilletonisten nichts einfällt. Egon Erwin Kisch versucht es mit einem Feuilleton in Escher-Manier, in dem er eingangs schildert, wie er im Kaffeehaus auf Helene wartet und sich Papier und Tinte geben lässt, um ein Feuilleton zu schreiben. Nach dieser Einleitung fährt er fort:
Ich werde jedenfalls als Titel das Wort „Feuilleton“ hinschreiben. Das passt immer. Hab schon.
Jetzt werde ich aufschreiben, dass ich im Kaffeehaus sitze, auf Helene warte, mich zu einem Feuilleton entschlossen, beim Kellner Papier bestellt und den Titel „Feuilleton“ gesetzt habe […]. Ich halte jetzt in der Beschreibung meiner Arbeitsleistung bei den Schlussworten „Hab schon“ des vorigen Absatzes.
Kisch findet, es „wäre ganz hübsch, einige Spalten lang immer hinter mir her zu laufen, mir immer näher auf die Fersen zu rücken, ohne mich aber ganz einholen zu können“, zieht dann aber aus den Annoncen in einer Zeitung doch noch anderen Stoff für sein Feuilleton. Sophie von Uhde (1886–1956) beendet ihr Feuilleton, in dem es um die in gewisser Weise erfolglose (de facto aber doch erfolgreiche) „Jagd nach einem Feuilleton“ auf den Straßen Berlins an einem Tag „geistiger Pleite“ geht, so: „Und geschlagen tut man, was man vor sechs Stunden hätte tun sollen: man geht heim und legt sich ins Bett, Zuflucht der Lebensuntüchtigen, man zieht mit Aplomb die Decke über die Nase und träumt von einem wunderschönen, fix und fertigen, süßen, kleinen Feuilleton.“ Einen unfeuilletonistisch ernsthaften Abriss der Geschichte des Feuilletons, wiederum mit skeptischem Blick auf die eigene Gegenwart und die Zukunft des Genres, gibt Hermann Bahr in Das Feuilleton 1926, in dem er die „glänzenden“ Feuilletons von Hugo Wittmann (1839–1923), den „letzten Klassiker des Wiener Feuilletons“, würdigt.
Im informativen Nachwort zeigen die Herausgeber, dass die Vergänglichkeit des Genres und das Verdikt der Oberflächlichkeit, auch seitens der Schreibenden, durchaus mit hohen Qualitätsansprüchen gepaart sein konnte, die eine zweite Publikation in Buchform begründete. Von der Ablehnung aus ideologischen Gründen erfährt man hier ebenso, wie von der Funktion des Feuilletons als (Selbst-)Versicherung im Kleinen bei Erschütterungen und Umbrüchen im Großen. Kernmayer und Schütz konstatieren, dass das „Leichte“ „nicht einfach herzustellen“ sei; kulturgeschichtlich sei der Bereich unter dem Strich, der übliche Platz des Feuilletons, heute interessanter als die Nachrichten und Kommentare darüber. Die Feuilletons „haben die Läufte der Zeit seismographisch festgehalten wie die conditio humana“, womit eine Sammlung wie die vorliegende sogar über das große Lesevergnügen hinaus gerechtfertigt ist.
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