Mehr Sonne und Freiheit für Frankfurt an der Oder
Christian Bangels Debüt „Oder Florida“ ist ein witzig-melancholischer Wenderoman mit einem sympathischen Helden
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFrankfurt/Oder 1998. Der 20-jährige Matthias Freier schlägt sich als Nachwuchsjournalist durchs Leben. Für das Stadtmagazin „0335“, das er gemeinsam mit seinem agilen Freund, dem Werbeagenturchef Fliege, herausgibt, interviewt er mehr schlecht als recht dubiose B-Promis und hofft auf den großen Durchbruch. Der rückt tatsächlich näher, als ihn sein Kumpel in einen revolutionären Plan einweiht: Mithilfe von Masseneintritten in die SPD sollen die Machtverhältnisse in der Stadt an der polnischen Grenze zugunsten eines eigenen Bürgermeisterkandidaten gekippt werden. Und Freier darf sich schon einmal mit dem Gedanken anfreunden, als Wahlkampfmanager und Pressemann des neureichen Autohaus- und Supermarktbesitzers Günther Franziskus, in dem Fliege den geeignetsten Kandidaten für sein Vorhaben ausgemacht hat, eine rosige Zukunft vor sich zu haben.
Mit Oder Florida hat der 1979 in Frankfurt/Oder geborene und seit 2012 als „Chef vom Dienst“ für die Online-Ausgabe der Zeit arbeitende Christian Bangel seinen ersten Roman publiziert. Dabei hat er in seine Hauptfigur Matthias Freier viel von sich selbst hineingelegt – und in die Geschichte der Unterwanderung der Frankfurter SPD durch junge, kreative Kräfte viel von der realen Nachwendegeschichte der ehemaligen DDR-Bezirksstadt an der Oder.
Als Schlüsselroman sollte das Buch dennoch nicht gelesen werden. Denn zum einen spielt seine Handlung nicht nur im Osten des neuen Deutschlands und zum anderen gibt es auf humorvoll-nachdenkliche Weise nicht allein Einblicke in die Befindlichkeiten der Menschen an einem konkreten Ort zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt, sondern versucht eine Annäherung an ein ganzes, 40 Jahre lang geteiltes und nach 1990 langsam wieder zusammenwachsendes Land.
Der Plan jedenfalls, die Frankfurter SPD im Handstreich per Masseneintritt zu übernehmen und dann einen eigenen Bürgermeister an die Stelle des durch seine DDR-Vergangenheit belasteten Amtsinhabers zu setzen, geht nicht auf. Zumal sich der eigene Kandidat in der Öffentlichkeit mit seinen neoliberalen Ideen und der Vorstellung, es läge einzig und allein an der Mentalität der Menschen, wenn es im Osten nicht vorwärts ginge, nicht gerade beliebt macht. Immerhin sieht der einflussreiche Mann in seinem Pressesprecher und Wahlkampfhelfer auf Zeit einen Menschen, dem es mit entsprechender Hilfe gelingen könnte, die neuen Zeiten für sich zu nutzen: „Du bist erst zwanzig, aber du kennst dich mit Computern aus, und du kannst schreiben. Solche Leute braucht der Markt. Multiqualifizierte, junge Aufsteiger. Was dir fehlt, ist der Biss.“
Also beißen lernen – und das kann man natürlich am besten im Westen des Landes, wo sich jeder schon seit Jahrzehnten zu seinem Glück durchbeißen muss. Weil Matthias Freier der Boden in Frankfurt ohnehin schon zu heiß unter den Füßen geworden ist, Stress mit den örtlichen Neonazis droht und er am liebsten seiner Freundin Nadja folgen würde, die ihr Glück fern der Heimat sucht, lässt er sich auf einen Deal mit Günther Franziskus ein: Er soll für ein paar Monate in die USA gehen, dort einen Zoofachmarkt für den agilen Geschäftsmann gründen und, wenn er Erfolg hat, mit 100.000 Mark belohnt werden. Zum Kennenlernen der Branche vermittelt Franziskus ihn aber zunächst für zwei, drei Monate an einen befreundeten Unternehmer in Hamburg.
Natürlich scheitert Freiers Karriere als Udo (= unser dummer Ossi) im „Zooniversum“ des Franziskus-Geschäftsfreundes Jan-Philipp Strössner, einst der „Tony Blair der Hamburger FDP“, inzwischen steinreicher Besitzer mehrerer „Tempel für Tierliebhaber“. Als zu demütigend empfindet er die Art und Weise, wie aus ihm ein Jünger der liberalen Marktwirtschaft gemacht werden soll. Genau im richtigen Moment erinnert er sich an die Worte seiner Mutter: „Im Osten haben sie gesagt: Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Und die Wessis haben gesagt: Jeder ist seines Glückes Schmied. Es war beides Kokolores. Es sind die Faulen und die Fiesen, die regieren. Von den Ehrlichen wird keiner zum Millionär.“
Oder Florida ist ein Buch über das Deutschland nach der Wende – witzig-melancholisch und mit einem zeitlichen Abstand geschrieben, der es erlaubt, inzwischen auch die tragischen Momente des ersten Jahrzehnts nach der deutschen Wiedervereinigung mit zumindest einem lachenden Auge zu sehen: Arbeitslosigkeit und Perspektivverlust, daniederliegende Industrie und das Wiederaufleben faschistischen Gedankenguts, Ostalgie als Verzweiflungsreaktion und das Entstehen neuer, innerer Gräben anstelle der alten Zonengrenzen. Es gehört damit – auch wenn es künstlerisch nicht ganz deren Höhe erreicht – in eine Reihe mit Ingo Schulzes neuem Roman Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst (2017) oder Thomas Brussigs Beste Absichten (2017). Sie alle liefern Zeitgeschichte aus neuen Blickwinkeln. Und nachdem der so genannte „Wenderoman“ eine Weile lang nur eine Randerscheinung in der deutschen Gegenwartsliteratur war, scheint er nun zwar noch kein Revival zu erleben, aber zumindest auf dem Wege zu einem solchen zu sein. Ausgestattet mit einem gewandelten Selbstbewusstsein nicht nur seiner Autoren, sondern auch seiner Helden.
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