Der Schein der bürgerlichen Ordnung

In „Die Königin schweigt“ zeigt Laura Freudenthaler, wie das Schweigen ganze Generationen von immer wiederkehrenden Traumata heimgesucht werden lässt

Von Jana FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fanny aber wusste, dass es in ihrer beider Leben, ihrem und des Sohnes Leben, nur eine scheinbare Ordnung gab, weil sie der verlassene, klägliche Rest der Königsfamilie waren. Fanny wusste, dass in ihrem Haus diese Löcher von Leere herrschten, um die sie und Toni sich herumbewegten, und dass es außerdem einen Abgrund von Schweigen gab, seit Toni so gut wie gar nicht mehr mit ihr sprach.

In ihrem Debütroman Die Königin schweigt erzählt Laura Freudenthaler anhand der Biographie einer alten Dame, Fanny, mit klarer und präziser Sprache von einer Generation, die ganz klar zu unterscheiden wusste zwischen jenem, über das man sprechen durfte, und jenem, das sich nur in einem Seufzen, in einem Nebensatz, artikulieren ließ. Die jüngere Generation, im Roman verkörpert durch Fannys Sohn Toni, kritisiert zwar ihre Elterngeneration für jenes Schweigen, das über Themen wie den Tod oder die Gewalt innerhalb der Familie gelegt wurde, schafft es aber ebenso wenig, diese Grenze zu queren. Und so setzt sich die Unterteilung zwischen Sagbarem und Unsagbarem auch in der eigenen und ihrer folgenden Generation fort, und wird durch die ständige Wiederkehr des Verdrängten am Leben erhalten, auch wenn es immer wieder Versuche gibt, aus diesem alten Muster auszubrechen.

Doch nicht nur durch die sprachlichen Äußerungen der ProtagonistInnen von Die Königin schweigt zieht sich eine Grenze, welche die Aussagen in sagbare und unsagbare unterteilt, sondern die eigene Lebenszeit Fannys wird ebenfalls von einer Grenze durchzogen: die zwischen einer verdrängten Vergangenheit und einer leblosen Zukunft. So baut sich die eigene Vergangenheit wie eine Wand vor Fanny auf, ist durch Schicksalsschläge in eine Welt verwandelt worden, die man besser nicht mehr betritt, und die Zukunft erscheint ihr als eine Welt, in der man zu existieren genötigt ist, ohne ein Anrecht auf Freiheit und Selbstbestimmtheit zu besitzen. Es gilt die Verhaltensnormen einzuhalten und die Erwartungen, die an die eigene Person gestellt werden, zu erfüllen.

Es gab Ereignisse, die offiziell geschahen, und zugleich gingen immer auch Dinge vor, die unsichtbar waren […] Sie ahnte, dass der Vater genau diese unsichtbaren Vorgänge gemeint hatte, wenn er sagte: Über gewisse Dinge spricht man nicht.

Dass durch diese Löcher des Schweigens die Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden, da die erlebten Schicksale nie an die Oberfläche der Sprache gelangen können und somit immer und immer wieder aufs Neue verdrängt werden müssen, zeigt Laura Freudenthaler auf eindrückliche Weise. Mit kurzen Sätzen, in denen jedes Wort einen genauen Platz erhält, führt uns die Autorin gekonnt vor Augen, welche Macht im Schweigen liegt und mit welcher Ohnmacht die einzelnen Menschen vor diesem Schweigen stehen, das seine hohen Mauern aus nie aufgearbeiteten Traumata um sie gebaut hat.

Doch nicht nur das zeigt uns dieser Roman. Er zeigt uns auch, dass es immer wieder Menschen gibt, die versuchen hinter die Fassade zu schauen und das Schweigen, das wir über die erschütternden Erlebnisse des Lebens legen, aufbrechen. Ein solcher Mensch ist für Fanny ihre Enkelin. Während Fannys Beziehung zu ihrem Sohn Toni immer von einem Abgrund aus Schweigen durchzogen war, gelingt es Fanny sich der eigenen Vergangenheit durch das natürliche Interesse ihrer Enkelin wieder anzunähern, indem sie ihrer Enkelin in Form von kürzeren und längeren Geschichten von ihrem früheren Leben erzählt. Diese mystifizierten Erzählungen ermöglichen es nicht nur Fanny, den Schleier, den sie über ihre eigene Vergangenheit gelegt hat, ein wenig zu lüften, sondern sie formen gleichzeitig den Rahmen des Erzählten und so sitzen wir Leserinnen und Leser neben Fannys Enkeltochter und lauschen den Erzählungen über Königinnen und kleine Chinesen und bekommen ein immer vollständigeres Bild davon, wie es zu jenem Schweigen der Königin gekommen war.

Manchmal war ihr unheimlich, wie sich das Kind in den Geschichten zurechtfand, die sie ihm erzählte. Es war darin zuhause, so wie Fanny im Dorf zuhause gewesen war, und es sprach so vertraut von den Personen aus den Geschichten, als gehörte es selbst dazu. Und es gehörte ja dazu. Gemeinsam hatten sie aus der Vergangenheit, von der das Kind nichts wusste und die doch seine eigene war, eine Märchenwelt gemacht, und oft ergänzte das Kind Fannys Erzählungen, fügte einen Namen hinzu oder erwähnte eine Nebenhandlung, die damit verbunden war. Fanny hatte die Enkeltochter schon manchmal aufgefordert, selbst zu erzählen, weil sie neugierig gewesen wäre, die Geschichten aus dem Mund des Kindes zu hören, doch das verstummte sogleich, als wäre es beleidigt worden. Auch wenn sie die Märchen gemeinsamen bewohnten, so blieb doch Fanny die Erzählerin.

Mit Die Königin schweigt ist der jungen Autorin ein Debüt gelungen, das mit großem Gefühl für und Wissen über das Leben eben das literarisch artikuliert, was sich eigentlich dem Erzählt-werden entzieht, da es die Abwesenheit von Sprache bedeutet: das Schweigen und die Stille.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Laura Freudenthaler: Die Königin schweigt. Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2017.
206 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783990590010

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